Die Auto-Matik
Seltsam. Die Börse krebst vor sich hin, hat mal einen Aussetzer wie jüngst in New York mit fast 700 Verlustpunkten, alle werden ärmer, und irgendwie hat es doch den Anschein, als sei das Publikum nur noch mäßig interessiert. Haben inzwischen dauernde Krisen auch nur noch eine Aufmerksamkeitsspanne wie Piraten im Indischen Ozean? Das wäre tragisch.
Aus Amerika jedenfalls sind genau die Nachrichten zu hören, die unser Wirtschaften in den nächsten Wochen und Monaten bestimmen werden. Denn auch ohne öffentliche Erregung macht der Schrecken nicht halt. Die Autoindustrie ist ein handgreifliches Beispiel. Verzweiflung in der Chefetage charakterisiert momentan Ford, Chrysler und GM. Das Verfahren um die Rettung der einst „Großen Drei“ zieht sich. Taktische Fehler auf allen Seiten verzögern eine energische Lösung, und ein Vertrauenssignal kann daher natürlich nicht kommen. Auch wenn die Bosse jüngst in Washington weit weniger hochtrabend auftraten als beim ersten Mal (da sind seitdem eine Menge Boni gestrichen und Privatflugzeuge stillgelegt worden – der Hohn der Umwelt war denn doch auch zu deutlich gewesen). Mit Imbissen an der Strecke und vergleichsweise kleinen Gefährten schafften es die Chefs bis zur politischen Meile am Capitol Hill. Geschmeckt hat es keinem von ihnen, aber warum soll es ihnen besser gehen als den übrigen Essern. Und trotzdem: Immer noch sind die Skeptiker in Washington nicht überzeugt, ob man den wankenden Riesen 34 Milliarden Dollar als Erste Hilfe zustecken sollte. Die großen Fragen der Modellpolitik sind nicht geklärt, das Umsteuern solcher Tanker dauert eine ganze Weile, und die Bugwelle bremst ganz ordentlich. Derweil stapeln sich in den Warenlagern weit bessere Qualitäten als die Brummer der Detroiter American-Way-Of-Life-Produzenten. Das macht wirklich besorgt. Wenn die Leute keine günstigen Toyotas wollen, und am anderen Ende auch keine Hightech-BMWs mehr, ja was dann?
Ratlos in Washington, ratlos in Frankfurt: Die Notenbanken haben die vergangene Woche um einen Rekord bereichert. Noch nie gab es eine so drastische Zinssenkung. Damit hat zumindest der Tanker EZB abrupt die Richtung gewechselt und Fahrt aufgenommen. Die Finanz- und Wirtschaftskrise gewinnt nämlich wegen einer unguten Automatik ebenfalls an Tempo. Das neueste Schreckenswort ist die Deflation, in Deutschland ein weit zu gering geschätztes Phänomen des Grauens. Die vollen Lagerhäuser der USA sind das Menetekel, die Kaufzurückhaltung wird auch bei uns bald weitere Firmen in den Konkurs treiben. Die Arbeitslosenzahlen folgen. Soviel Geld man auch in den Markt drückt – wenn der Konsument kein Vertrauen hat (Zahlen dazu nächste Woche, man ducke sich), dann kauft er nicht, zumal Sonderangebote und Schnäppchen ja so schöne Worte sind. Die Rache des Marktes wird fürchterlich sein. Wer nichts mehr absetzen kann, geht unwiderruflich pleite, und man müsste, wollte man das staatlicherseits verhindern, sogar kerngesunde Unternehmen heute subventionieren, bis die Gefahr vorüber ist. Die aber besteht mindestens so sehr aus irrationaler Furcht wie aus wirtschaftlichen Fakten. Noch keine Bundesregierung, von den Gründerjahren mal abgesehen, hatte eine solche Herausforderung vor sich, diese Prophezeiung sei hier erlaubt. Und noch deutet nichts darauf hin, dass man in Berlin ebenso herzhaft umsteuert wie die EZB dies getan hat. Weiter wird fein ziseliert an läppischen Summen herumgefeilt, während der bürokratische Aufwand hoch bleibt und der politisch alberne Zank laut. Man glaubt man lebt in Zeiten, in denen das Wünschen noch geholfen hat. Die Kunst aber wäre es, Staatsgeld einzusetzen nach der Devise „Shock and Awe“. Und es dann, wenn es denn geholfen hat, schleunigst und massiv wieder einzuziehen und zu verknappen. Das ist ein Kunststück auf hohem Seil ohne Sicherheitsnetz, und in Berlin übt man noch nicht mal für den Trapezakt. Die Zeiten für Improvisationstheater aber sind auf dieser Bühne wirklich vorbei.