Die Twitter-Falle
Es gab mal eine, nun ja, nicht schöne, aber aufschlussreiche Bemerkung aus der Führungsetage der „Bild“-Zeitung, zu Zeiten des Bundespräsidenten Christian Wulff: „Wer mit der „Bild“ im Aufzug nach oben fährt, der fährt mit ihr auch nach unten“. Die Erkenntnis über die Wechselhaftigkeit des Daseins ist natürlich aus der deutschen Provinz weder zum Internetgiganten Twitter, noch zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika vorgedrungen.
Es gab mal eine, nun ja, nicht schöne, aber aufschlussreiche Bemerkung aus der Führungsetage der „Bild“-Zeitung, zu Zeiten des Bundespräsidenten Christian Wulff: „Wer mit der „Bild“ im Aufzug nach oben fährt, der fährt mit ihr auch nach unten“. Die Erkenntnis über die Wechselhaftigkeit des Daseins ist natürlich aus der deutschen Provinz weder zum Internetgiganten Twitter, noch zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika vorgedrungen.
Von Reinhard Schlieker
Wohl aber, in Dollar und Cent, zu den Aktionären des als „Soziales Netzwerk“ bezeichneten Nachrichtenportals Twitter. Es geht im Aufzug bergab, denn genau das ist es, was Donald Trump widerfahren dürfte, wenn sich die neue Mode durchsetzt, die Twitter-Chef Jack Dorsey für ganz normal, der Präsident jedoch, nahe der Raserei, für eine politisch motivierte Zumutung hält: Das Hinzufügen von Anmerkungen an offensichtlich unwahren Tweets inklusive aus der Luft gegriffene Behauptungen.
Hier war es das ominöse Raunen des amerikanischen Oberbefehlshabers über die Anfälligkeit des US-Briefwahl-Systems für Betrug und Fälschung. Was Twitter bekanntlich veranlasste, auf zusätzliche Quellen zu verweisen, die das anders sehen. Ausgerechnet die Unlieblingsmedien Trumps, nämlich unter anderem CNN und Washington Post. Ob Dorsey direkt involviert war, weiß man nicht – wenn ja, hat er die empfindlichen Verluste der Twitter-Aktie aber vorhersehen müssen. Was bedeutet, dass die erwartbare Reaktion des Präsidenten, alle Kräfte in Bewegung zu setzen, um eine Gesetzesvorschrift zu finden, mit der man Twitter zähmen könnte, einkalkuliert gewesen sein muss.
Twitter genießt wie andere Netzwerke, darunter Facebook, ebenfalls an der Börse kurzzeitig abgestraft, ein Privileg: Nicht als Verlagshaus zu gelten, sondern als Plattform und daher nicht verantwortlich gemacht werden zu können für Inhalte, die dort erscheinen. Alles andere würde auch eine gewaltige Kontrollabteilung erfordern und das Erscheinen von Tweets und Antworten zeitlich stark verzögern. Was das Ende des Geschäftsmodells bedeuten würde. Angesichts dieser Gefahr muten einige Prozentpunkte Kursverlust fast noch maßvoll an. Was wiederum heißt, dass in Anlegerkreisen die Drohungen Trumps als wenig substanzhaltig gesehen werden.
Tatsächlich bräuchte er für eine weitgehende Gesetzesänderung wohl auch die Zustimmung des US-Kongresses. Trump gelang es zwar, innerhalb von 24 Stunden eine Vorschrift aus dem Hut zu ziehen, die es zu ändern gelte. Der Rest des Verfahrens würde allerdings etwas länger dauern. Und mitbetroffen wären am Ende auch sicher einige Freunde des Präsidenten, wie etwa der stets ehrerbietige Mark Zuckerberg von Facebook. Da Donald Trump schon seit seiner Wahl so halbwegs per Twitter regiert, und 80 Millionen oder so Follower hat, darunter womöglich US-Wahlberechtigte mit Brief oder ohne, wäre eine Zügelung des Netzwerks wahrscheinlich eine Art Selbstschussanlage. Umgekehrt könnte Twitter Gefallen daran finden, den Präsidenten regelmäßig zu korrigieren – allerdings eine personalaufwendige Angelegenheit angesichts der schieren Zahl der zweifelhaften Schüsse aus Trumps Hüfte.
Im Wahrheitsbusiness herrschen halt harte Zustände. Was ist aber nun mit dem Motiv des Donald Trump, überhaupt so gereizt auf das Vorhaben des Staates Kalifornien zu reagieren, angesichts der Corona-Pandemie weitgehend auf Briefwahl zu setzen? Es geht um die Vergabe eines Sitzes im Repräsentantenhaus, noch längst nicht um die US-Präsidentenwahl. Aber „Corona“ ist ohnehin ein Reizwort, und Trump vermutet wohl instinktiv, dass seine Anhänger eher nicht jene sind, die sich um eine Briefwahlmöglichkeit bemühen würden. Schon die Registrierung als Wahlberechtigter erfordert einen gewissen Antrieb, und dass dazu noch weiterer Schriftaufwand betrieben werden müsste, könnte manche Trump-Follower wohl entmutigen.
Auf der anderen Seite hat Twitter für sich selbst wohl die Büchse der Pandora geöffnet: Mit einem unbändigen Trump will man nicht, ohne einen solchen Influencer aber kann man nicht (mehr). Dass die Sozialen Netzwerke (wobei „Sozial“ in den USA eigentlich nur meint: nicht beruflich, sondern gesellig, und nichts mit dem deutschen „sozial“ im Sinne von fürsorglich zu tun hat) davon leben, dass möglichst Empörendes von mehr oder weniger wichtigen Leuten abgesondert wird und zu weiterer Empörung führt, lässt den Richtigstellungsversuch ausgerechnet bei Donald Trump merkwürdig erscheinen. Wie dem auch sei: Bei Durchsicht auch der hiesigen Twitterperlen der einheimischen Politik lässt sich manches finden, was nicht gerade hochgeistig daherkommt. Nur der unbedingte Wille zur Absonderlichkeit scheint noch zu fehlen; da twittert der Führer der Freien Welt uneinholbar. Jedenfalls ist die Zeitfraßmaschine Twitter weit aufwendiger zu verfolgen als ihr Aktienkurs, beides jedenfalls sollte man sich nicht gleichzeitig antun.
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