Es ist noch nicht zuende
Die Zeiten eines stetigen Aufwärtstrends an den Börsen scheinen erst einmal vorbei – bemerkenswert an den Crashs der letzten zehn Tage waren dabei die Zwischenerholungen: Sie schienen keinem erkennbaren Muster zu folgen. Ist das ein beruhigendes Zeichen? Oder ganz im Gegenteil ein besonders schlechtes?
Die Zeiten eines stetigen Aufwärtstrends an den Börsen scheinen erst einmal vorbei – bemerkenswert an den Crashs der letzten zehn Tage waren dabei die Zwischenerholungen: Sie schienen keinem erkennbaren Muster zu folgen. Ist das ein beruhigendes Zeichen? Oder ganz im Gegenteil ein besonders schlechtes?
Von Reinhard Schlieker
Was Deutschland betrifft, sind die scharfen Abwärtsbewegungen recht schwer zu erklären, zumindest in ihrem Ausmaß. Denn sie wurden begleitet von den mittlerweile fast gewohnten Rekorddaten aus der Realwirtschaft: Exporte in schwindelnden Höhen, das war die vorläufig letzte Meldung aus dieser Rubrik. Zuvor Ähnliches aus der heimischen Industrie, vom Arbeitsmarkt, vom Mittelstand und so weiter und so fort. Angehobene Prognosen in der Folge, was die Ausrede an der Börse entkräften würde, dass der Aufschwung vielleicht schon auf tönernen Füßen stehe.
Unterfüttert sind die zahlreichen Top-Börsenkurse der Top-Unternehmen durch eine solide Dividendenrendite, die schon mal fünf Prozent erreichen kann – die Saison beginnt ja nun und wird den Beweis bringen, dass keine Anlageform derartige Erträge liefern kann – freilich reist das Risiko stets Erster Klasse und ganz behaglich mit, während es unter den Füßen der Anleger schon mal rumpeln mag auf holpriger Strecke. Wenn hohe Renditen durch starke Kursverluste noch mehr in die Höhe getrieben werden, dürfte man für das nächste Jahr wohl schon mal an einen Dividendenausfall denken, und die paar Prozent werden leicht von einem Kurssturz ausgelöscht.
Aber: Es ist ja noch nicht zuende. Was man auf den Einbruch der Börsen ebenso beziehen kann wie auf den Wirtschaftsaufschwung. Anders sieht es dieser Tage in den USA aus. Dort sind schneller und stärker steigende Zinsen durchaus im Bereich des Möglichen, und die Konjunkturdaten geben das auch her. Zudem war der Dow-Jones-Index viel riskanter in die Höhe geschossen als etwa der heimische DAX. Wenn man in den vergangenen Monaten sagte, der deutsche Markt müsse ja nicht jede Übertreibung mitmachen, so gilt das aber auf dem Weg nach unten sicher genauso, wenn nicht noch mehr: Hierzulande immerhin wissen Aktienanleger, dass eine Zinserhöhung in weiter Ferne liegt, auch wenn die Bondrenditen bereits eine Steigerungskurve aufweisen. Weiterhin bleibt Geld billig, und die EZB wird auch angesichts einer gewissen Erholung in Italien oder Griechenland ihren Kurs nicht in Frage stellen. Bleibt also neben dem allgemeinen Risiko, das der ganzen Sache nun mal anhaftet, noch die Lemming-Theorie: Was der Dow Jones macht, ob aus Furcht oder Einsicht, zieht sich nächtens um den Globus.
Eine oft unterschätzte, weil so abstrakte und für den Privatanleger nahezu unsichtbare Beschleunigung eines jeden Trends liegt im Computerhandel. Das Fallen bestimmter Marken, das Durchrauschen durch vorab gesetzte Stop-Loss-Kurse lösen Handelsaufträge aus, die im Einzelfall inhaltlich nicht nachzuvollziehen sind. Das macht das Geschehen mitunter so unheimlich. Dem privaten Aktiensparer bleibt eigentlich nur eine der Weisheiten des legendären André Kostolany: Beim Spazierengehen mit dem Hund bleibt jener immer mal wieder zurück, springt dann am Herrchen vorbei nach vorn und lässt sich wieder zurückfallen: Im Bild Kostolanys ist der Hund die Börse, sein Herr die Realwirtschaft. Nicht immer auf gleichem Stand – bei der Heimkehr aber sind die beiden in jedem Fall zusammen. Nur wann das ist, muss täglich neu ausgehandelt werden, denn Kostolany hat uns das nicht gesagt.