Fachkraft KI: Mit Large Action Models zu mehr Produktivität?
Die Begeisterung über die Funktionen von Sprachmodellen wie ChatGPT ist noch nicht abgeklungen, da dürfte sich bereits der nächste KI-getriebene Game Changer andeuten: Die sogenannten LAMs.
LAM steht für Large Action Models. Diese könnten künftig arbeitsintensive Prozesse automatisieren.
Automatisierung auch ohne Schnittstellen
Wie stark der Impact auf die Organisation ganzer Wirtschaftszweige sein könnte, zeigt sich etwa im Gesundheitswesen. Der Facharzt, der die Diagnose seiner Patienten heute händisch aufnimmt, dann in ein klinikeigenes Datensystem überträgt, von wo aus das Rezept per Fax an die Apotheke geht und dort wiederum zur Weiterbearbeitung ausgedruckt wird, dürfte schon bald passé sein. Zumindest, wenn es nach KI-Unternehmern wie Enes Witwit geht. Der Mathematiker hat nach seinem Studium in Heidelberg und Stationen unter anderem beim deutschen Technologieriesen SAP, eine KI-Lösung namens uiAgent entwickelt, mit der Unternehmen, ihre Arbeitsabläufe automatisieren können sollen. Und dass auch dort, wo bisher fehlende Schnittstellen zwischen den Anwendungen, bisher entgegenstanden. „Wir bieten eine offene, modulare Plattform, die sich auf die Workflows im Unternehmen anpassen lässt. Wir schaffen Schnittstellen, wo keine sind“, erklärt Witwit die Idee hinter dem KI-Modell. Native Anwendungen oder bisher geschlossene Unternehmenssoftware können so systemübergreifend kommunizieren und automatisiert Daten austauschen.
Digitale Arbeitskraft für mehr Produktivität
Dass das Potenzial für Automatisierungslösungen wie von uiAgent groß ist, zeigen Untersuchungen wie jene des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Besonders markant ist der erwartete Einfluss der KI-Automatisierung auf das verarbeitende Gewerbe, IT, Kommunikation, aber auch im Baugewerbe. Auch weil der Nachholbedarf zum Teil groß ist. Doch im Unterschied zu früheren technologiebasierten Umwälzungen des Arbeitsmarktes, sind es jetzt vor allem die Hochqualifizierten mit Hochschulabschluss, auf die sich die vielfach prognostizierte Automatisierungswelle auswirkt. So geht eine McKinsey-Studie davon aus, dass bis 2030 rund 30% der aktuellen Arbeitsstunden durch neue Technologien gesteuert werden. Nichtsdestotrotz soll die Produktivität um bis zu 3 Prozent zulegen. „Eine der Hauptberufsgruppe der Zukunft werden Manager für digitale Arbeitskräfte sein“, prognostiziert Witwit und meint damit vor allem Personen, die sowohl IT-Erfahrung als auch die Fachqualifikationen für ihre jeweilige Branche mitbringen.
Der Wettlauf hat begonnen
Nicht zuletzt die neu aufgelegten EU-Förderprogramme für KI-Innovationen deuten auf den verschärften internationalen Wettbewerb, um die besten Lösungen in der Automation und Prozessoptimierung zu erzielen. Auch aus Angst abgehängt zu werden, investiert mittlerweile ein Großteil der Unternehmen vor allem in die Implementierung von Large Action Modelle, so eine Studie der Plattform ABBYY. In den USA ist das Vertrauen in die KI-Lösungen demnach am größten. Von dort aus operiert mittlerweile auch KI-Unternehmer Enes Witwit mit seinem fünfköpfigen Team. Und das mit guten Gründen. „Hier gibt es ein Meer an Investoren und Business Angels mit großem Faible für KI und Automatisierung“, begründet Witwit die Auswahl des Unternehmensstandorts in New York. Viele Business Angel zeigten sich zudem risikofreudiger, gleichzeitig sei die Zusammenarbeit mit Mitarbeitern flexibler und von viel Kommittent für die Sache geprägt.
Die Antwort auf Fachkräftemangel und demografischen Wandel
Spätestens mit den anstehenden Personierungswellen in der Baby Boomer Generation über die kommenden Jahren dürfte für die Mehrheit der Firmen der Einsatz von Large Action Modellen wie uiAgent zum New Normal avancieren. Bisher sind es vor allem die großen Unternehmen ab 250 Mitarbeitern, die hierzulande auf KI setzen. Das dürfte auch daran liegen, dass viele KMUs erst herausfinden müssen, wo Prozessautomatisierung überhaupt sinnvoll implementiert werden kann. „Derselbe KI-Agent, der später für die Automatisierung sorgt, kann auch die Prozesse im Unternehmen verstehen“, erklärt Witwit die Doppelfunktion der hauseigenen KI-Modelle. In einer Art Status-Quo-Analyse wird dabei grafisch visualisiert, wie häufig Mitarbeiter zwischen welchen Systemen wechseln. So ermittelt die KI, wo das Potenzial für Prozessoptimierung am größten ist.
Hype oder berechtigter Optimismus?
Die Resonanz vieler Unternehmen auf Plattformen wie uiAgent ist auf beiden Seiten des Atlantiks zumeist positiv. Vorbehalte etwa hinsichtlich der Risiken durch Cyberangriffe und Datenverlust, versucht Witwit mit einer strengen Compliance, die regelmäßig von externen Rechtsdienstleistern geprüft wird, zu begegnen. Tatsächlich könnte die Anfälligkeit für Fehler und Datenlecks durch eine stärkere Automatisierung sogar sinken, etwa weil der Faktor Mensch weniger Gewicht für die Datenintegrität bekommt. So ist die Sorge vor Missbrauch der KI durch interne Mitarbeiter bei den meisten IT-Verantwortlichen mittlerweile größer als die Skepsis wegen eines möglichen Compliance-Risikos, wie etwa aus der Befragung von ABBYY hervorgeht. Mit Blick auf den aktuellen KI-Hype rät Witwit dennoch zur Vorsicht. Zwar werde sich die Net Profit Margin bei vielen börsennotierten Firmen erhöhen, interessant seien aber vor allem Unternehmen mit physischen Alleinstellungsmerkmalen, die nicht so einfach durch KI-Anwendungen ersetzt werden könnten. „Auf Chiphersteller wie Nvidia zu setzten wäre mir persönlich zu riskant, weil die Lieferkette fragil ist“, so Witwit. Für sein eigenes Unternehmen blickt er hingegen optimistisch in die Zukunft. „Bis zum Ende des Jahres wollen wir auf 30 Mitarbeiter wachsen und drei bis vier Großkunden erreichen.“ Im Fokus stehen für Witwit nicht zuletzt einige große Player aus Deutschland.
Eine Analyse von Seyit Binbir