Gefühlte Zukunft
Bei der Bahn scheinen ja nun geordnete Verhältnisse einzukehren. In insgesamt recht kurzer Frist hat der Staatskonzern einen neuen Vorstandsvorsitzenden bekommen, der alte hat sich in den Urlaub verabschiedet und verfolgt von dort aus die Abwicklung seines Vertrages, der ja noch ein erkleckliches Weilchen gelaufen wäre – und damit natürlich gewisse finanzielle Ansprüche garantiert.
Und da gibt es nun ein paar Merkwürdigkeiten in der öffentlichen Wahrnehmung. Ein Vertrag ist ja eine ziemlich nüchterne Sache, mit Recht und Gesetz hat der zu tun und mit komplizierten Klauseln, die staubtrocken alles Denkbare regeln sollen. Die Diskussion, die nun aber losgebrochen ist, als das „Handelsblatt“ darauf hinwies, dass Hartmut „Bahnchef“ Mehdorn ordentlich Geld haben möchte auf Basis seines geschlossenen Vertrages, die ist kein bisschen von kühler Rechtskenntnis geprägt, sondern von gefühltem Recht und Schuld und Unrecht. Explosionsartig lassen sich Politiker vernehmen, aufgepeitscht durch gewerkschaftliche Empörungsdarsteller, dass Mehdorn ja nun nichts mehr verdient habe, verzichten solle, keine Millionen in den Rachen geworfen bekommen dürfe. Wetten, dass niemand die Repräsentanten des Volkes für ihre Entrüstung schelten wird? Es kommt halt immer gut an, das diffuse Gerechtigkeitsempfinden des kleinen Mannes mal so richtig laut zum Besten zu geben. Dabei wäre es eigentlich von gewählten Abgeordneten oder gar Regierungsmitgliedern zu erwarten, dass sie dieses ungesunde Volksempfinden mal anreichern mit Fakten und Zahlen. Das aber führt nicht zur Robin- Hood-Plakette der „Bild-Zeitung“ oder gar zu mehr Wählerstimmen. Die Empörten eint das Gefühl, dass Mehdorn weitere Zahlungen so irgendwie halt “nicht verdient“ habe. Wie gesagt, das Gefühl. Denn was die Tatsachen sind, steht in dem bisher nicht öffentlich bekannten Vertrag. Den allerdings sollten einige der betreffenden Politiker wohl kennen, denn die Politik hat ihn ausgehandelt und unterschrieben. Und wenn Mehdorn tatsächlich Schuld hat an den unsäglichen Spitzelvorgängen im Molochunternehmen Deutsche Bahn, dann muss man erst mal sehen, ob dies auch Gehaltsabzüge rechtfertigt. Der Rest ist – Gerichte. So ist das in unserem Staatswesen. Herr Mehdorn ist nicht verpflichtet, auf Ansprüche zu verzichten. Ob man ihm die Millionen gönnt, tut nichts zur Sache. Und wenn er nun verzichtet? Die Gewerkschaften, die ihm nun hinterher treten, wären die Ersten, die das als Schuldeingeständnis werten würden. Wenn Mehdorn noch klar denken kann, tut er also gewiss nichts dergleichen.
Die Zukunft der Bahn aber steht offenbar auch im Zeichen des Gefühlten. Die Gewerkschaften, soweit sie im Aufsichtsrat vertreten sind, haben den künftigen Bahnlenker tatsächlich zu einer Art Vorstellungsgespräch gebeten und ihn anschließend für gut befunden. Man hat dort nämlich so das Gefühl, dass Bahnchef Grube das Unternehmen im Sinne der Gewerkschaften steuern wird, – also ohne unziemliche Zumutungen, ohne Börsengang, ohne Trennung von Schienennetz und Fahrbetrieb. Das entsprechende Papier, das die Vertreter der Arbeiterklasse abgezeichnet haben wollten, ist allerdings noch ohne Grubes Unterschrift. Es hätte aber auch mit der Signatur nur gefühlte Bedeutung, denn Gewerkschaften bestimmen nicht die Vorstandspolitik. Sie haben nur so das Gefühl, sie müssten das. Und sie empfinden einen Börsengang als irgendwie nicht so gut für die Wohlfühlbahn der alten Schule. Wenn man sich die Meldungen der letzten Tage so ansieht, kommt man aber auch wie von selbst zu dem Schluss: Was ein Glück, dass die Bahn nicht an der Börse ist. Mit diesem Papier im Depot hätte der Anleger bestenfalls in eine gefühlte Zukunft investiert.