Jedem Ende wohnt ein Zauber inne
Mario Draghi, der Wizard unter den Zentralbankchefs, unbeirrbar auch im Irrtum, hat seinen Kurs der Umverteilung des Vermögens von den Bürgern hin zu „Zombiebanken und konkursreifen Staaten“, wie Prof. Hans-Werner Sinn formuliert, just gekrönt. Reinhard Schlieker analysiert, was die aktuelle Zinsentscheidung der EZB bedeutet.
Mario Draghi, der Wizard unter den Zentralbankchefs, unbeirrbar auch im Irrtum, hat seinen Kurs der Umverteilung des Vermögens von den Bürgern hin zu „Zombiebanken und konkursreifen Staaten“, wie Prof. Hans-Werner Sinn formuliert, just gekrönt. Nach der aktuellen Zinsentscheidung der EZB steht sie da: die dicke, fette, hohle 0.
Von Reinhard Schlieker
Seinen Umverteilungskurs verfolgt Draghi, als sei es sein Lebenswerk, Europa sturmreif zu schießen und einst in die Geschichte einzugehen als derjenige, der nach jenem fatalen 20. Jahrhundert dem Alten Kontinent im 21. pekuniär den Rest gegeben hat.
Märchenhafte Macht, glaubt Draghi, stehe ihm zu Gebote – dabei kann und will er offenbar lediglich Gold zu Stroh spinnen. Mit Negativzins, Anleihenkaufprogramm (neu: Version 3.0), Bargeldrepression von oben – angefangen beim 500-Euro-Schein – will er sein Glück erzwingen, was für die meisten europäischen Bürger ein Unglück bedeutet. Die EZB lebt explizit in dem Auftrag, die Geldwertstabilität zu erhalten, notfalls gegen den Willen von Sankt Schlendrian, der weiche Währungen braucht, um sich selbst verwirklichen zu können. Draghis Amtszeit ist geprägt durch die Abkehr von diesem Prinzip.
Die EZB, einst geründet als gemeinsame Institution der Eurostaaten nach dem Vorbild der Bundesbank, als ein Zugeständnis an den „Norden“ vereinbart, damals in Maastricht, verfolgt einen Weichwährungskurs, bemäntelt mit dem Streben nach der allgemein als zuträglich empfundenen Inflationsrate von ugefähren zwei Prozent. Der Irrglaube, der herrscht, drückt sich in dem vermessenen Versuch aus, seitens einer Notenbank den volkswirtschaftlichen Zustand eines halben Kontinents bestimmen zu können. Hybris paart sich mit jener Tradition einer Wirtschafts- und Finanzpolitik, die Geldentwertung nicht fürchtet, sondern fördert. Dass dies der Kurs der südlichen europäischen Mitgliedsländer inklusive Frankreichs ist, dürfte kein Zufall sein, und eine Mehrheit im EZB-Rat haben jene praktisch garantiert. Dagegen steht der deutsche Horror vor Schubkarren mit wertlosen Banknoten, die auf dem Weg von der Sparkasse zu Bäcker die Hälfte ihres Wertes einbüßen – eine Erfahrung von Hyperinflation, die dem Volk offenbar in die Gene gewandert ist.
In der Tat: Etwas Ungerechteres als eine solche Inflation gibt es kaum, sie nimmt denen, die keine sonstigen Möglichkeiten haben, und gibt jenen, die schon haben – Immobilien, Unternehmensanteile. Und natürlich dem Staat, der, traditionell gern tief im Schuldenstatus, längst vergessen hat, wessen Geld er eigentlich ausgibt. Nicht seines jedenfalls. Vielleicht bog der deutsche Weg schon vor vielen Jahrzehnten um die falsche Kurve, als das Naturell des Volkes es vorzog, eine stabile Währung zu haben statt sich listig auf Tauschgeschäfte aller Art, grinsendes Austricksen des Staates und Sparformen schwarzer Natur zu verlegen. Da verläuft nun heute der finanzkulturelle Äquator.
Die Deflation, die niemand sieht
Dass Draghi mit seinem Kampf gegen eine Deflation, die außer ihm kaum jemand sieht, gezogenen Schwertes und erhobenen Hauptes gegen eine Art Windmühle ausreitet, droht ihn zur Karikatur zu machen: Mario von der traurigen Gestalt rettet Europa notfalls auch gegen seinen Willen. Faszinierend beinahe die Entschlossenheit, mit welcher der per Gesetz unabhängige Vertreter der ebenso unabhängigen EZB verbissen den Misserfolg leugnet und statt einer mutigen Korrektur nur „more of the same" im Waffenschrank findet. Völlig entfallen scheint ihm zu sein, dass Unternehmen nur dann investieren, wenn es neben bezahlbarem Fremdkapital auch wirtschaftliche Erfolgsaussichten gibt. Ironischerweise schürt die EZB genau jene Unsicherheit über die Zukunft, die ein Unternehmen vom Investieren abhält.
Die Banken werden derweil von dem Notenbank-Teil der EZB praktisch bestraft, wenn sie keine Kredite ausreichen – eine andere Abteilung des gleichen Hauses hingegen, die Bankenaufsicht, rühmt sich, leichtfertige Geldvergabe verhindern zu können durch Regulierung und Mindestanforderungen. Das muss man nicht verstehen, es genügt, es zu wissen. Versicherungen, Pensionskassen und Anleger sehen ihre Geschäftsmodelle in den letzten Sonnenuntergang reiten: Wie es Kunden eines Tages ergehen wird, wenn sie sich ihre Renten und künftigen Krankenkassenbeiträge ausrechnen wollen, das betrachten wir lieber nicht so genau, es dürfte hässlich werden.
Die Reaktion der Kapitalmärkte am Donnerstag, der ein schwarzer war, spricht Bände. Schwankungen des Leitindex DAX um 500 Punkte: das ist kein Zeugnis für eine ruhige Hand souveräner Notenbanker, es ist die Bestätigung, dass kaum jemand dem gigantischen Finanzexperiment Draghis über den Weg traut, in dem wir alle Versuchsgegenstand sind. Statt Zuversicht auszustrahlen, wirkt die EZB wie aufgescheucht, überbietet sich selbst mit der Verabreichung von Medizin, deren Wirkungen wenn, dann nur allmählich einsetzen, und deren Nebenwirkungen nicht einmal erforscht sind. Völlig ausgeblendet werden Dinge, die sich aus einem Hochhaus in Frankfurt am Main gar nicht beeinflussen lassen: Der Rohölpreis etwa, das Auftreten von Krisen und Völkerwanderungen jenseits des Herrschaftsgebiets von „Super-Mario“.
Vielleicht wird es uns eines Tages noch übrigbleiben zu sagen: „Wir sind damals dabeigewesen“. Dann wird aber nicht so sehr Stolz als vielmehr unheimlicher Schauder in der Stimme mitschwingen.