Kraut & Rüben von Amazon & Co.
Gibt es eigentlich einen Markt? Und wenn nicht, können wir ihn erschaffen? Das scheint das Motto von Jeff Bezos, dem Gründes des inzwischen unbestreitbar etablierten Onlinehändlers Amazon zu sein. Nach dieser Prämisse macht sich der Amerikaner jeweils auf zu neuen Ufern. Anfänglich ein telefonbasierter Buchlieferant, übernahmen seine Amazonier weltweit bestehende Firmen und erweiterten das Geschäftsmodell. Wer erinnert sich da noch an „Telebuch.de“ aus Regensburg?
Gibt es eigentlich einen Markt? Und wenn nicht, können wir ihn erschaffen? Das scheint das Motto des inzwischen unbestreitbar etablierten Onlinehändlers Amazon zu sein. Nach dieser Prämisse machen sich die Amerikaner jeweils auf zu neuen Ufern. Anfänglich ein telefonbasierter Buchlieferant, übernahm Amazon weltweit bestehende Firmen und erweiterte sein Geschäftsmodell. wer erinnert sich noch an „Telebuch.de“ aus Regensburg?
Was gebraucht wird, wird gebracht: Ob Bücher und Elektronik zum Anfassen oder Filme und Musik virtuell – Amazon hat es. Dabei testet man stets in aussagekräftigen Märkten ohne Selbstverpflichtung zum Erfolg – und in Berlin wird das jetzt praktiziert. Am Ausgang der Lernkurve wartet dann ein Beschleunigungsstreifen, und auf dem zieht man an der verblüfften Konkurrenz vorbei. In Berlin wird es jetzt wohl auch exekutiert. Gewinne zu machen ist Amazon-Chef Jeff Bezos dabei meist nichts weiter als eine störende Ablenkung. Erst mal geht es ums Dabeisein.
Diese Philosophie könnte Amazon im übersättigten deutschen Lebensmittelhandel zugute kommen, wenn man, wie allgemein erwartet wird, nach Ostern zusammen mit DHL loslegen wird und frische Lebensmittel unters Volk bringen will, unter Umgehung des stationären Handels. Mit 170 Milliarden Euro Umsatz, aber magerer Marge, hat das deutsche Supermarktwesen ein paar Besonderheiten, und zu denen gehört, dass erst ein Prozent davon durch Online-Bestellung und Lieferung erzielt werden. Ein Teil davon entfällt auf gepackte Taschen, die der Kunde nach Feierabend in Schließfächern vorfindet; nur das wenigste wird an die Haustür geliefert. In Berlin soll sich das nun ändern.
Ja, es ist schon tricky: Die Kommentarspalten im Internet erwähnen häufige Fehllieferungen, nicht lieferbare Produkte, die mehr oder weniger kreativ durch andere Artikel ersetzt werden; gestresste Fahrer, die die Kontrolle der Lieferung beim Kunden nicht abwarten wollen, und Reklamationsroutinen, die jeder Beschreibung spotten. Wer die angegammelte Gurke zurückgeben will, sieht sich in Warteschleifen und mysteriösen Onlineformularen gefangen, da lässt man es lieber. Keiner der real existierenden Frischdienste verdient sein Geld, seien es Platzhirsch Rewe oder die DHL-Tochter Allyouneed. So wie man Amazon kennt, dürfte ein extra kalter Hauch durch die Kühlregale wehen.
Nach mehrmaligen unbefriedigend verlaufenen Tests meint man, nun den Dreh heraus zu haben, wie immer bei Amazon. Die entscheidende Innovation steht dann offenbar kurz bevor. In Berlin soll es zu erleben sein. Eine Kernfrage dürfte hier wie andernorts sein, wie man dem Kunden das entgangene Look & Feel in den Gängen des Discounters versüßen will. Schließlich gibt es Supermarktbesucher, die den Ausflug als Erlebnis empfinden. Und Spontankäufe tätigen, was via Internet eher nicht zu erwarten ist. Aber 7.000 Sorten Nudeln bei Amazon sind dann vielleicht doch ein paar Pasta zu viel. So richtiger Mangel an Einkaufsmöglichkeiten herrscht außerdem lediglich auf dem Land – und dass Amazon dorthin kommt mit Kraut und Rüben und Pizza und Steaks, das ist wohl weniger wahrscheinlich. Und es scheint den Anlegern auch egal, denn die Aktie verharrt mit kleinen Schwankungen seit Wochen nahe ihres Allzeithochs. Die Nachricht, dass Berlin nun mit einem Lieferdienst beglückt werden soll, hat daran wenig geändert. So bedeutend ist die Stadt mit dem Brandenburger Tor nun auch wieder nicht.
Aufs Land, wo der Mangel ist, drängt es Amazon also zunächst nicht. In den Städten hingegen tummeln sich über 1.500 Filialen, bei denen man gezielt nach Sonderangeboten suchen kann und keine Lieferkosten zu zahlen hat. Lieferdienst knabbern denn auch an diesem Problem – kostenlose Zustellung gibt es erst ab einem Mindestbetrag, und für den zählen in der Regel Getränke nicht mit (weil man nicht umsonst die Bierkiste in den fünften Stock schleppen will). Drohnen wären eine Idee – aber schwere Einkauftüten wollen die auch nicht über Land fliegen. Ach, überhaupt, das Fliegen! Von Amazon darf man einige neue Ideen für alte Probleme erwarten. Die Berliner werden es erleben, und zwar – Überraschung! – diesmal sogar als erste!