Dünne Börsenluft für Überflieger
Die EZB hat sich für einen Kurswechsel entschieden. Mithilfe ihrer neuen Strategie will sie flexibler agieren. Und was bedeutet das jetzt für den Anleger?
Die EZB hat sich für einen Kurswechsel entschieden. Mithilfe ihrer neuen Strategie will sie flexibler agieren. Und was bedeutet das jetzt für den Anleger?
Von Reinhard Schlieker
Fälscher und Nachahmer haben Konjunktur – zumindest in den Nachrichten. Manche davon werden ertappt, manche brüsten sich sogar noch, andere werden tollkühn. Für Anleger, vielfach angewiesen auf Treu und Glauben, wird das Pflaster heißer. Dabei kann man vielleicht sogar von den Unverfrorenen noch etwas lernen.
Wir hatten es hier unlängst von Aldi und seinen unguten Erfahrungen mit dem eifersüchtig-wachsamen Winzerverband der Champagne. Die russische Föderation macht nun vor, wie so etwas zu gehen hat: Kurzerhand wurde dort tollkühn per Gesetz die Bezeichnung „Champagner“ für alle russischen (ja, das meint auch die besetzte Krim) Produkte vorgeschrieben. Alles hingegen, was eingeführt werden muss, auch der Champagner, darf sich nur noch „Schaumwein“ nennen. Klingt schon sehr nach Badedas, und so ist es auch gedacht. Nasdrowje, lieber Winzerverband.
Jetzt aber schnell ins Sauerstoffzelt. Verlassen wir diesen Nebenkriegsschauplatz der falschen Fuffziger. Schließlich gibt es in Deutschland genug zu betrachten in diesem Zusammenhang. Die EZB zum Beispiel. Niemals würde jemand auf die Idee kommen, die ehrwürdige Euro-Zentralbank der Fälschung, etwa unseres Geldes, zu bezichtigen. Allerdings – sie schafft so viel davon, dass es möglicherweise nicht mehr zum Grand Cru reicht, sondern auch viel Schaum drauf ist, auf dem heutigen Euro. Denn wenn man, für viele fast unmerklich, das Inflationsziel von „unter oder nahe bei zwei Prozent“ auf nunmehr zwei Prozent ändert, reicht damit nun der Gelassenheitsbereich der Frankfurter Notenbank womöglich bis 2,5 oder gar 2,9 Prozent Inflation, welches noch keine Maßnahmen erfordert. Bisher fing man schon bei etwa 1,8 Prozent Inflation an, nachzudenken.
Es bleibt also reichlich Luft, die Folgen der eigenen Geldschwemme stoisch hinzunehmen, und der Dank der eher höher verschuldeten Eurostaaten dürfte der EZB noch lange nachschleichen. Was genau den auch als „Währungshüter“ bezeichneten EZBlern einfällt, wenn die Geldentwertung im Euroraum tatsächlich um die vier Prozent erreicht, was durchaus in den Prognosen kluger Leute schon aufscheint, bleibt vorerst im Nebel des Zukünftigen. Derweil, falls man mal in der Verlegenheit sein sollte, nicht so viel zu tun zu haben, werden in Frankfurt neue lohnende Ziele ausgegeben – durch Zentralbanktätigkeit beispielsweise auch für das Klima allerlei Gutes verrichten zu wollen. An der Spitze dürfte Frau Lagarde vermutlich konstatieren, dass auch eine EZB mit der Zeit, wenn nicht gar mit dem Zeitgeist gehen sollte. Dass es da ein ziemlich genau formuliertes Mandat für diese Institution gibt? Wer wird denn so kleinlich sein wollen, aber: Wenn uns die EZB da nicht mal einen nachhaltigen Château Migraine eingeschenkt hat.
Aktiensparern blies der inflationäre Wind bisher nicht so sehr ins Gesicht, eher im Gegenteil. In teurer Höhenluft ruht der Dax, der die EZB-Politik des weiterhin leichthändigen Geldes am Donnerstag aber doch so gar nicht goutieren wollte. Die runden zwei Prozent Kursverluste wirken zwar nur wie ein kurzes Innehalten – aber Anleger seien gewarnt. Bei um die 15.400 Punkten ist der Index trotz zahlreicher Unsicherheiten, nicht nur durch die Pandemie, Ende offen, seit dem März 2020 stetig gewachsen.
Inflation belastet auch Aktien – und wenn die Favoriten plötzlich wechseln, könnte es durchaus zugunsten von Gold und ähnlichen Werten eine Börsendelle geben. Für die zahlreichen Neueinsteiger am Aktienmarkt, auch wenn dies laut Deutschem Aktieninstitut keineswegs reine Anfänger sind, empfiehlt sich allmählich ein Blick auf Absicherungsinstrumente. Oder vielleicht der Blick auf Einzelwerte, die mit der Hochstimmung der letzten 15 Monate nicht so recht Schritt halten konnten.
Typische Beispiele sind die Tourismus- und Luftfahrtbranche. Bei Lufthansa etwa regt sich neue Aufbruchstimmung. Ausgestattet mit frischem Geld aus der jüngsten Kapitalerhöhung, will der Konzern nun bis zum Jahresende so gut wie alle Flugziele wieder ins Programm nehmen, die Frequenz allerdings flachhalten. Der Aktienkurs reagierte in diesem Sinne mit einer ebenfalls flachen Aufwärtskurve. Mit unter zehn Euro ist der Konzern - inklusive seiner Staatsgelder in den Büchern - nur noch ein Schatten früherer Zeiten. Das neue Konzept baut unter anderem auf die wieder erkennbare Zunahme von Dienstreisen. Dazu passt, auch wenn es Zufall sein mag, die eher bescheidene Bestandsaufnahme dieser Tage des Videokonferenzanbieters Teamviewer: Es läuft nicht mehr so wie von selbst. Ist eine Videokonferenz dann doch nichts anderes als das Plagiat einer Dienstreise?
Es passt ebenfalls, dass auch Airbus positive Aussichten zeichnet. Insgesamt nimmt weltweit die Reisetätigkeit wieder Anlauf; und in der Militärsparte hatte Airbus ohnehin einen Rückhalt, der zumindest coronakrisenfest genannt werden darf. Ansonsten gibt es natürlich genügend börsennotierte Firmen, die eher von Inflation nicht erschreckt werden können; die Gründe also, seine Mittel auf einem Tagesgeldkonto zu lassen, wo die Bank gern ihr Tagesgeld für sich abzwackt, sind kaum noch vorhanden. Und auch das Wort „Festgeld“ ist inzwischen wohl eher ein Etikettenschwindel. Fast wie edler französischer Schaumwein in der Bar gleich gegenüber vom Kreml.
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