Neue Nöte
Die Krisenverhinderer haben es schwer. Denn inzwischen macht man auch die westlichen Notenbanken verantwortlich, wenn es um die Suche nach den Schuldigen für die jetzige Krise geht. Die Hüter des Geldes hätten leichtfertig viel zu viel davon auf den Markt geworfen, jahrelang, mit dessen Hilfe sich dann Unternehmen und Verbraucher günstig verschulden konnten. Dabei kommen die Europäer und ihre EZB noch gut weg im allgemeinen Urteil, aber was hilft das bei einer weltumspannenden Krise?
Das Ziel , die Wirtschaft in Schwung zu halten, war vor allem bei der amerikanischen Notenbank Fed das wichtigste überhaupt, und deren ehemaliger Chef, Alan Greenspan, senkte die Zinsen, so weit er konnte. In der Krise hat nun sein Nachfolger Ben Bernanke den Schwarzen Peter. Er hat sein Pulver in den letzten Monaten schon weitgehend verschossen – nun wagte er den letzten großen Schritt, nämlich die Senkung des Leitzinses für gute Schuldner auf rund null Prozent. Geld gibt es in den USA nun also umsonst, wer da nichts leiht und investiert, muss verrückt sein. So zumindest kalkuliert heimlich die Notenbank und wartet nun auf ein Ende des Konsumrückgangs, auf steigende Autoverkäufe und Fabrikneubauten. Könnte eine lange Warterei werden.
Denn mit Geld, auch mit viel Geld, ist beschädigtes Vertrauen nicht wieder zurückzuholen. Was beileibe nicht heißen soll, dass Nichtstun angesagt wäre. Selbst die Bundesregierung und namentlich ihr Finanzminister wollen von ihren Aussagen vor ein paar Tagen nichts mehr wissen und halten eine aktive Konjunkturpolitik nun doch für eine ganz gute Idee. Aber alles Weitere muss sich entwickeln, und da hat die US-Notenbank kaum Pfeile im Köcher. Das Beste wäre noch, zu signalisieren, dass man künftig einen strengen, verlässlichen Mechanismus finden wird, um sich anbahnende Krisen schneller zu erkennen. Gelingt das glaubhaft, könnte es all jene ins Wirtschaftsleben zurückholen, die aus eigenem Schaden oder schierer Furcht sich praktisch zurückgezogen haben. Da wäre ein solcher Schritt (als der zweite nach der unmittelbaren Hilfe für solche, die in Not geraten sind) eine echte vertrauensbildende Maßnahme.
Nun kann man sich Kredite theoretisch kostenlos besorgen. Warum die Börse aber nicht jubiliert, warum Unternehmen nicht Schlange stehen bei der Bank und die Banken nicht Werbebreitseiten abfeuern, hat auch seinen Grund. Der heißt Deflation. Geld könnte nämlich teurer werden, auch wenn man es fast zinslos leihen kann: Noch schneller nämlich als die Zinsen, sinken derzeit die Preise. Wo Konsumgüter täglich billiger werden, horten die Verbraucher ihre Scheine und hoffen auf mehr Schnäppchen am nächsten Tag. Ein übler Kreislauf mit bösen Folgen, wenn es nicht gelingt, die Spirale vor der Massenschließung von Fabriken und Geschäften zu unterbrechen. Deshalb dürfte die amerikanische Notenbank auch weiter Geld in den Markt drücken. Die letzte Zinssenkung so kurz vor Weihnachten war da nur ein lautes, aber nicht das letzte Signal. Ironischerweise muss man zur Überwindung der Krise nun offenbar die Mittel im Exzess anwenden, die einst zu deren Entstehung beigetragen haben: Den Menschen die Dollars praktisch bündelweise mit Gewalt in die Taschen ste- cken. Wenn es funktioniert – prima. Wenn nicht, dann hilft nur Zeit und Ausdauer – und Hoffnung. Eines aber darf die Fed keinesfalls vergessen: Die Überversorgung zu kappen, wenn am Horizont bessere Zeiten anbrechen, und das viele Geld sanft, aber entschlossen wieder einzusammeln. Sonst dürfen wir uns das nächste Finanzkrisengebiet schon jetzt aussuchen.