Schwellenländer auf der Überholspur
Seit mehr als 25 Jahren ist eine sukzessive Verschiebung der ökonomischen Kräfteverhältnisse zu beobachten: Lag der Anteil der aufstrebenden Volkswirtschaften am weltweiten Bruttoinlandsprodukt 1990 bei gerade einmal gut einem Drittel, waren es 2008 bereits mehr als die Hälfte und im vergangenen Jahr schon fast 60 Prozent – eine Entwicklung, die sich nach Einschätzung des IWF fortsetzen könnte. Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank, kommentiert.
Seit mehr als 25 Jahren ist eine sukzessive Verschiebung der ökonomischen Kräfteverhältnisse zu beobachten: Lag der Anteil der aufstrebenden Volkswirtschaften am weltweiten Bruttoinlandsprodukt 1990 bei gerade einmal gut einem Drittel, waren es 2008 bereits mehr als die Hälfte und im vergangenen Jahr schon fast 60 Prozent – eine Entwicklung, die sich nach Einschätzung des IWF fortsetzen könnte.
Von Ulrich Stephan
Das Jahr 2008 markierte eine Zäsur in der globalen Wirtschaftsordnung: Zum Höhepunkt der weltweiten Finanzkrise lieferten die Entwicklungs- und Schwellenländer kaufkraftbereinigt erstmals einen größeren Beitrag zur weltweiten Wirtschaftsleistung als die Industrienationen – wie Zahlen des Internationalen Währungsfonds (IWF) belegen. Bereits seit Beginn der 1990er-Jahre ist diese sukzessive Verschiebung der ökonomischen Kräfteverhältnisse zu beobachten: Lag der Anteil der aufstrebenden Volkswirtschaften am weltweiten Bruttoinlandsprodukt 1990 bei gerade einmal gut einem Drittel, waren es 2008 bereits mehr als die Hälfte und im vergangenen Jahr schon fast 60 Prozent – eine Entwicklung, die sich nach Einschätzung des IWF fortsetzen könnte.
Schwellenländer aktuell wirtschaftlich stabil
Dass sich die Schwellenländer zuletzt positiv entwickelt haben, kann man unter anderem an den Auswirkungen des aktuellen Zinserhöhungszyklus der US-Notenbank Fed ablesen. Denn die Leitzinserhöhungen in den USA wirken sich derzeit ökonomisch kaum negativ auf die Schwellenländer aus. Das war zum Beispiel im Jahr 2013 noch anders, als die bloße Ankündigung einer Abkehr von der lockeren US-Geldpolitik zu Kapitalabflüssen aus den Schwellenländern führte und viele Volkswirtschaften und Kapitalmärkte spürbar unter Druck setzte. Aktuell ist solch ein Effekt nicht zu beobachten. Ganz im Gegenteil: Die Aktienmärkte vieler aufstrebender Volkswirtschaften entwickelten sich im Jahr 2017 bisher sogar ausgesprochen positiv – wie der breite Schwellenländerindex MSCI Emerging Markets, der gut 840 Unternehmen aus 24 Schwellenländern listet, zeigt.
Die Gründe für diese Entwicklung und die aktuell robuste wirtschaftliche Verfassung der Schwellenländer sind vielfältig. Zum einen haben zahlreiche Staaten dieser Gruppe ihre Währungsreserven aufgestockt – wodurch sie zum Beispiel im Fall von Kapitalabflüssen die eigene Währung und Wirtschaft besser stabilisieren können. Zum anderen konnten viele Schwellenländer ihre Leistungsbilanzen – also die Salden ihrer volkswirtschaftlichen Einnahmen und Ausgaben – ausgeglichener gestalten. Das gelang einem Teil der Länder, weil relativ schwache Heimatwährungen ihre Produkte in anderen Währungsräumen günstiger machten und dies die Exporte ankurbelte – wie zum Beispiel in Südafrika. In ölimportierenden Staaten wirkten sich zusätzlich die vergleichsweise niedrigen Ölpreise positiv auf die Einfuhrseite aus.
Große Unterschiede unter den Schwellenländern
Regional betrachtet zeigen sich unter den Schwellenländern zum Teil deutliche Unterschiede. So könnte sich in Indien beispielsweise die Reformfreude der Regierung positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken: Ministerpräsident Narendra Modi treibt unter anderem mit der Einführung von Sozialversicherungsnummern, einer Bargeldreform sowie der landesweiten Vereinheitlichung der Umsatzsteuer den Umbau seines Landes voran, um Indien als Wirtschafts- und Investitionsstandort interessanter zu machen. Inwiefern dies gelingen wird, muss sich zwar noch zeigen – aus Sicht der Deutschen Bank handelt es sich jedoch um Schritte in die richtige Richtung.
Neben Staaten wie Indien, die sich aktuell in einem Wandlungsprozess befinden, gibt es auf dem asiatischen Kontinent wiederum Länder, die bereits über eine innovative Hightech-Industrie verfügen, deren Produkte auf der ganzen Welt gefragt sind – wie Südkorea und Taiwan. Diese Volkswirtschaften könnten von der weiter fortschreitenden Digitalisierung vieler Lebensbereiche profitieren.
Deutliche Unterschiede gibt es auch zwischen den aufstrebenden Volkswirtschaften Lateinamerikas. In Brasilien zum Beispiel dürfte nach Jahren der Rezession das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr mit 0,7 Prozent erstmals wieder im positiven Bereich liegen. Gleichzeitig hat das Land jedoch mit hohen politischen Unsicherheiten aufgrund von Korruptionsverfahren gegen die Ex-Präsidenten Lula da Silva sowie Dilma Rousseff und den aktuellen Staatschef Michel Temer zu kämpfen. Diese dürften die wirtschaftliche Entwicklung des Landes bis auf Weiteres hemmen.
Mexiko hingegen schien bis vor wenigen Monaten noch als einer der großen Verlierer der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. Schließlich war das wirtschaftlich eng mit den USA verbundene Land – rund 80 Prozent seiner Ausfuhren gehen in die USA – in Trumps vorangegangenem Wahlkampf immer wieder Ziel seiner Kritik. Aktuell scheint es jedoch, als würde Donald Trump seine Vorhaben wie die Erhebung von Strafzöllen auf mexikanische Güter oder den Bau einer Mauer an der gemeinsamen Grenze bis auf Weiteres kaum durchsetzen können – weshalb sich die mexikanische Wirtschaft wieder in etwas ruhigerem Fahrwasser befindet.
Im Blick behalten sollten Anleger daher sowohl die wirtschaftlichen als auch die politischen Entwicklungen in den Schwellenländern. Denn Beratungsneben einem Abflauen der weltweiten Konjunkturdynamik, stärker als erwartet steigenden US-Zinsen oder zunehmenden protektionistischen Tendenzen könnten insbesondere länderspezifische Risiken die Ökonomien der Schwellenländer negativ beeinflussen. Aus diesem Grund erscheint es ratsam, auch in den Schwellenländern ein mögliches Investment breit über verschiedene Regionen und Länder zu streuen.
Schwellenländeraktien als mögliche Beimischung
Insgesamt ist die Deutsche Bank mit Blick auf Schwellenländerinvestments jedoch weiterhin positiv gestimmt – nicht zuletzt angesichts der aktuellen Gewinnerwartungen für die Unternehmen im MSCI Emerging Markets: Die Analysten rechnen für das aktuelle Jahr im Durchschnitt mit einem Plus von mehr als 20 Prozent – während für die Unternehmen im breiten Industrieländerindex MSCI World aktuell rund 13 Prozent prognostiziert werden. Darüber hinaus scheinen Schwellenländeraktien noch relativ günstig bewertet: Auf Basis der Gewinnerwartungen für 2017 liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis im MSCI Emerging Markets mit 12,5 nach wie vor im Bereich seines langjährigen Durchschnitts. Wenngleich sich die zuletzt positive Entwicklung nicht im gleichen Tempo fortsetzen dürfte, könnte ein Aktieninvestment in den Schwellenländern für entsprechend risikobereite Anleger eine interessante Beimischung im Depot bleiben – auch weil die Länder weiterhin besonders von der dynamischen Weltwirtschaft profitieren dürften.
Dr. Ulrich Stephan ist Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank.