Zeit für Stockpicking?
Wenn man es genau nimmt, gab es eigentlich noch nie eine Zeit, die kein sogenanntes Stockpicking erfordert hätte – dennoch machten sich viele Anleger während einiger heute eher berüchtigter denn berühmter Börsenphasen kaum noch die Mühe: Was im Trend lag, wurde gekauft, und dann war halt auch mal eine Firma dabei, die außer einer gemieteten Telefonleitung und ein paar schicken, aber nur geleasten Dienstfahrzeugen nicht viel ihr eigenen nannte, genau genommen gar nichts, was dann der Insolvenzverwalter herauszufinden hatte.
Wenn man es genau nimmt, gab es eigentlich noch nie eine Zeit, die kein sogenanntes Stockpicking erfordert hätte – dennoch machten sich viele Anleger während einiger heute eher berüchtigter denn berühmter Börsenphasen kaum noch die Mühe: Was im Trend lag, wurde gekauft, und dann war halt auch mal eine Firma dabei, die außer einer gemieteten Telefonleitung und ein paar schicken, aber nur geleasten Dienstfahrzeugen nicht viel ihr eigenen nannte, genau genommen gar nichts, was dann der Insolvenzverwalter herauszufinden hatte.
Von Reinhard Schlieker
Dem Insolvenzverwalter kamen die Tränen, und zwar reichlich in der Zeit um 2001-2002, und „mangels Masse“ wurde zum geflügelten Wort in Fachkreisen. So etwas darf sich nicht wiederholen, hieß es, immerhin einige Zeit vor der Finanzkrise 2008, wo sich einiges wiederholte und es kaum jemanden zum Beispiel gelang, sich das wiederzuholen, was Lehman Brothers vergeigt hatte: Banken statt Technologie hieß der Pleiteschlager, aber meine Güte, wie lange ist das schon wieder her.
Nun hat man dieser Tage in Deutschland Fälle mit Aplomb, wie etwa Wirecard, das Unternehmen, das das Schlimmste aus Banken- und Technologiewelt in sich vereinte, für den Anleger also sozusagen zwei Krisen zum Preis von einer. Derzeit trotzen allerdings zahlreiche Tech-Unternehmen nicht nur der Corona-Welt und -Welle, sondern schwingen sich sogar zu Höhen auf, die man ohne solche Viren womöglich nicht sehen würde. Da eröffnet sich nun die Chance und die Pflicht, im Portfolio nachzusehen, ob dort schon Hoffnungswerte für übermorgen weit überschritten sind oder eine der üblichen Wachstumsstories bereits überreizt wird.
Der Silicon-Valley-Hype ist im vollen Gange, und eine der immer wieder wichtigen Fragen bleibt, wo steigt man aus und wo ein. Wer es hinterher schon immer vorher gewusst haben wird, mag beruhigt aktienfrei auf den Crash warten. Alle anderen sollten navigieren. Wobei Stockpicking eher das ist, was zum Beispiel ein Warren Buffett mit seiner Beteiligunggsgesellschaft Berkshire Hathaway betreibt – und jahrzehntelang stolz darauf war, nur Aktien von Firmen zu kaufen, deren Geschäft und Produkte er versteht. Coca-Cola etwa, auch wenn die Mixtur so geheim ist, dass man sie ohnehin nicht verstehen will. Im Laufe der Zeit ließ sich das dann doch nicht durchhalten, und es kamen Technologiewerte wie Apple ins Portfolio – und wer will ernstlich behaupten, Apple zu verstehen?
Das Gegenteil von Stockpicking sind die allseits beliebten und bald in jeder Geschmacksrichtung erhältlichen ETFs, die einen beliebigen Index fast eins zu eins nachbilden (abzüglich meist geringer Gebühren). Wer also den ganzen Dax oder besser den MSCI World haben will, bitte, dann gilt mitgefangen, mitgehangen. Zahlreiche Anlage-Indizes werden geradezu erfunden, um dann ETF darauf anzubieten – da wird das Modell dann schon mitunter konterkariert. Eine gute Gelegenheit, auch jenseits von Tec-Dax oder der hyperventilierenden NASDAQ nach Einzelwerten zu suchen.
Momentan fast schon wieder bei Kaufkursen angelangt sind einige Biotechnologiewerte, der etwas niedriger stehende Dollar wirkt sich bei US-Aktien positiv aus. Und man stößt unweigerlich auf China. Der dortige Gigant Alibaba, der so gut wie alles beherrscht, was mit Online-Geschäft zu tun hat, befindet sich im Aufschwung und nutzt dies, um in China selbst seine Finanzsparte Ant an die Börsen in Schanghai und Hongkong zu bringen – Alibaba besitzt ein Drittel der Anteile an dem Unternehmen aus dem Hause Jack Ma, der nach wie vor Chinas Vorzeige-Milliardär ist. Zu Ant gehört Alipay, das Bezahlsystem per Smartphone, das in China flächendeckend und in Europa und Deutschland eher am Rande eingesetzt wird. Es soll jedenfalls ein Börsengang der Superlative werden. Diese Meldungen zu Alibaba machen deutlich, dass in der Auseinandersetzung mit den USA kein Hindernis für große chinesische Unternehmen besteht, die im Heimatmarkt erfolgreich sind. Auch die kritisch betrachtete Huawei lässt sich durch westlichen Druck nur geringfügig bremsen. So wie man in den Vereinigten Staaten den Binnenkonsum als entscheidend für Wohl und Wehe der Börse betrachtet, entwickelt sich im riesigen China ebenfalls eine eigene Unternehmenswelt, die zwar ins Ausland expandiert, dies aber zum Überleben nicht braucht.
Ein weiteres Indiz also, wie sich Schwerpunkte verschieben – und da war von den ewigen Geheimtipps wie Vietnam, Kambodscha oder Taiwan noch gar nicht die Rede. Für den Anleger, so er denn sich nicht auf Asien-Fonds oder ETFs verlassen will, eine etwas mühselige, womöglich aber lohnende Regionalstrategie. Über allem jedoch schwebt nach wie vor Corona, was die Finanzmärkte nur am Rande zu interessieren scheint. Sollte sich da die Stimmung drehen, wäre Krise wieder neu zu buchstabieren. Und Stockpicking eher etwas für Shortseller.
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