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Nicht mehr einzuFAANGen

Die US-Technologiewerte starten nach Winterschlaf und Frühjahrsmüdigkeit eine heiße Sommer-Rally. Viele Aktien aus dem Sektor haben bereits neue Kursrekorde aufgestellt. Ist das nun endgültig übertrieben? Oder nach der langen Outperformance der Value-Werte sogar überfällig?

(Foto: Google)

Die US-Technologiewerte starten nach Winterschlaf und Frühjahrsmüdigkeit eine heiße Sommer-Rally. Viele Aktien aus dem Sektor haben bereits neue Kursrekorde aufgestellt. Ist das nun endgültig übertrieben? Oder nach der langen Outperformance der Value-Werte sogar überfällig?

US-Tech ist wieder gefragt. Allen voran die Branchengrößen Facebook, Apple, Amazon, Netflix, Alphabet, Microsoft und Nvidia sind an der Börse zurück in Rekordlaune. Apple und Microsoft haben jüngst die Zwei-Billionen-Dollar Marke in Sachen Marktkapitalisierung geknackt, die Aktien des Chipherstellers Nvidia haben von Mitte Mai, innerhalb von zwei Monaten also, 50 Prozent an Wert zugelegt. Bei Facebook und der Google-Mutter Alphabet laufen die Kurse zwar schon seit Beginn des Jahres nach oben, zuletzt legten aber auch der Social-Media-Konzern und der Suchmaschinen-Gigant noch einmal eine Schippe drauf. Innerhalb von vier Wochen stiegen die beiden Aktien, ausgehend von sehr hohen Niveaus, um sieben, respektive neun Prozent. Auch Amazon ist nach der Mini-Flaute im Zuge des Konzernspitzen-Rücktritts von Gründer Jeff Bezos wieder in der Spur. Mit 3.680 US-Dollar kosten die Papiere des Online-Händlers und Cloud-Krösus so viel wie nie zuvor. Selbst die Aktie des Streaming-Portals Netflix, das Anleger in den vergangenen Monaten mit einem schwächerem Nutzerwachstum enttäuschte, scheint wieder im Angriffsmodus. Mit knapp 550 US-Dollar nähert sich der Kurs seinem Allzeithoch und könnte aus der seit Juli 2020 währenden Seitwärtsphase ausbrechen.

Was schon teuer war, wird nun also erneut teurer. Nach einer halbjährigen Atempause kehrt die Rally-Lust im Tech-Sektor zurück. Ganz getreu dem Motto: Wenn du denkst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Käufer her. Anlegern, die auf Rücksetzer warteten, laufen nun abermals die Kurse davon. Sie müssen sich erneut die Frage stellen: Ist jetzt noch der richtige Zeitpunkt zum Einstieg? Kann man dieser erneuten Rally trauen? Oder ist sie vielleicht die eine Rallye zu viel?

Tatsächlich sind viele Argumente, die die Kurse der Tech-Giganten zuletzt in Schach hielten, nicht urplötzlich verschwunden. Die hohen Bewertungen sind genauso noch da, wie die Sorgen um Regulierungen oder politisch erzwungene Konzernaufspaltungen. Die hohen Inflationsraten in den USA setzen außerdem die Fed in ihrer Zinspolitik unter Druck. Entscheiden sich die Währungshüter für Zinserhöhungen, leiden aufgrund einer sich ins negative verändernden Berechnungsgrundlage für zukünftige Erträge vor allem Wachstumswerte, zu denen auch die großen Tech-Konzerne immer noch gehören. Woher als nimmt diese Sommerrally ihre Kraft?

1. Das Zinsargument ist schwächer, als viele denken

Das Zinsargument wird gern genannt, wenn es bei Technologiewerten zu Korrekturen kommt. Doch es dürfte aktuell eine geringere Rolle spielen, als viele denken. Dass die Zinsen in den USA so stark steigen, damit dies für Schwergewichte wie die FAANG-Titel zum Problem wird, ist nicht zu erwarten. Im Gegenteil: „Die Sorgen vor in absehbarer Zeit steigenden Zinsen flauen wieder ab“, sagt Analyst Jochen Stanzl vom Online-Broker CMC Markets. Der Fondsmanager Jan Beckers sagte gegenüber Business Insider: „Die steigenden Renditen der zehnjährigen US-Staatsanleihen haben für Growth-Unternehmen zwar eine Bedeutung, die Reaktion am Markt fiel aber zu stark aus. Vor allem, weil die Zinsen historisch niedrig bleiben.“ Hier könnten zuletzt also häufig die Kurse die Nachrichten gemacht haben. Die Angst vor steigenden Zinsen ist als schlagkräftiges Argument schnell herangeholt, dabei könnten Investoren ob der hohen Bewertungen zuletzt auch einfach Kasse gemacht haben.

2. Das Sommerloch

Nach der großen Aufholjagd im Value-Bereich, scheint hier bei vielen Aktien vorerst die Luft raus. Die Unternehmen bestätigten zwar im ersten Quartal die hohen Erwartungen an den Konjunkturaufschwung, pulverisierten sie aber nicht. Inzwischen deutet sich überdies an, dass der große Aufschwung in der Industrie an seine Grenzen gerät. Das liegt einerseits an Lieferengpässen, wie bei Halbleitern, aber auch daran, dass viele Konzerne von einer Sonderkonjunktur profitieren, die nicht ewig anhalten wird. An der Börse wird bekanntlich in die Zukunft geblickt und da werden die Wachstumsmöglichkeiten im Technologiebereich nun wieder höher gewichtet, nachdem viele Value-Werte nach den Kursanstiegen über den Winter fair bewertet erscheinen. Die Dividendensaison ist ebenfalls vorüber, weshalb die hohen Ausschüttungsrenditen bei viele Value-Werten an Strahlkraft verlieren.

Alles in allem scheint gerade ein guter Zeitpunkt für ein Value-Sommerloch. Die Aussichten bleiben gut, aber die großen Kurstreiber fehlen dem Segment erst einmal. Halten, könnte die Devise lauten. Da die Bereitschaft zum Investieren unter vielen Anlegern aber hoch bleibt, füllen die Tech-Werte dieses Sommerlauch aus. Wer mit langfristigem Horizont anlegt, kann bei den Wachstumsraten von Alphabet, Amazon und Co. schließlich kaum etwas falsch machen. Die großen Tech-Konzerne sind längst zu Fels-in-der-Brandung-Aktien geworden. Wenn die Alternativen fehlen und der Markt nicht weiß wohin, dann werden sie gekauft.

Die Delta-Variante

Mit der sich immer schneller und weiter verbreitenden Delta-Variante bringt die Corona-Pandemie neue Infektionswellen oder kündigt sie zumindest an. Die Hoffnung, das Virus würde das Wirtschaftsgeschehen bis zum Sommer kaum noch beeinträchtigen, ist damit dahin. Trotz Impfungen, steigen die Inzidenzen in Ländern, die eine Vielzahl an Beschränkungen aufgehoben haben, rasant an. Zwar schlägt sich das bislang wenig auf die Anzahl der Intensivpatienten sowie die Todesfälle nieder, allerdings schürt die Entwicklung Ängste vor abermaligen Lockdowns im Herbst und Winter. Auf jeden Fall verhindert die Variante eine schnelle Rückkehr zur Vorkrisen-Normalität. Während das im Tourismus, dem Handel und der Industrie für sorgenvolle Mienen sorgt, können sich viele Tech-Unternehmen freuen. So bleibt schließlich noch mehr Zeit, damit sich eingeleitete Trends, wie Online-Shopping oder ganz allgemein der Ausbau der digitalen Infrastruktur manifestieren.

Der Megatrend

Apropos: Auch für die Tech-Sommerrally dürfte der Megatrend Digitalisierung das entscheidende Fundament sein. „Es ist unwahrscheinlich, dass wir zur gleichen Normalität wie vor der Pandemie zurückkehren werden“, ist sich Christian Preussner, Leiter Investment Specialists für US-Aktien bei J.P. Morgan Asset Management, sicher.

Der Experte ist überzeugt, dass viele der aus der Pandemie hervorgegangenen Trends auch in Zukunft eine größere Rolle spielen werden, da sich technologiebasierte Verhaltensänderungen inzwischen im Alltag etabliert haben. Beim Konsumverhalten umfasst dies den gesamten E-Commerce Bereich sowie die Food-Delivery-Plattformen und damit verbunden die digitalen Zahlungssysteme. Auch bei den Unternehmen hat die Pandemie digitale Strukturveränderungen, die bereits vor der Krise eingeleitet wurden, deutlich verstärkt und vorangetrieben: Durch die Remote-Arbeit im Home-Office haben viele Unternehmen die Transformation auf cloudbasierte Netzwerke umgesetzt. Virtuelle Meetings sind heute Alltag und auch Themen wie Telemedizin sind immer stärker auf dem Vormarsch.

Dazu spielten insbesondere Halbleiter in immer mehr Industriezweigen eine entscheidende Rolle. „Wir gehen davon aus, dass Halbleiter branchenübergreifend an Bedeutung gewinnen werden und erwarten eine anhaltend starke und sogar weiter steigende Nachfrage“, betont Preussner. „Das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage könnte voraussichtlich erst im Jahr 2022 behoben werden und es kann daher bei Halbleitern erneut zu Engpässen kommen, ähnlich wie im letzten Jahr.“

Christian Kahler von der DZ-Bank sieht das ähnlich. Tech-Aktien, glaubt er, werden noch lange gefragt bleiben. „Die Nachfrage nach ihren Dienstleistungen bleibt hoch. Beispielsweise nutzen in Deutschland erst zehn bis 15 Prozent der Unternehmen eine Cloud, diese Entwicklung steht also erst am Anfang“, so Kahler gegenüber Business Insider.

OG

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