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Fall Wirecard legt Systemfehler des DAX offen

In Deutschlands Leitindex geht Quantität vor Qualität. Bei seiner Zusammensetzung zählen fast ausschließlich Handelsvolumen und Marktkapitalisierung. Warum das der perfekte Nährboden für Blasen ist und es jetzt dringend ein Umdenken braucht.

Bei der Index-Zusammensetzung fehlt es an Bausteinen mit qualitativen Kriterien. (Foto: Shutterstock)

In Deutschlands Leitindex geht Quantität vor Qualität. Bei seiner Zusammensetzung zählen fast ausschließlich Handelsvolumen und Marktkapitalisierung. Warum das der perfekte Nährboden für Blasen ist und es jetzt dringend ein Umdenken braucht.

Der 24. September 2018 markierte für viele Börsianer den Beginn einer Zeitenwende in Deutschlands Leitindex. Damals flog die Commerzbank für Wirecard aus dem DAX. Moderne Finanztechnologie statt traditionellem Bankgeschäft – das klang nach Aufbruch, nach digitaler Zukunft für Deutschlands bekanntestes Börsenbarometer. Die Aktie des Aschheimer Bezahldienstleisters war zu dem Zeitpunkt fast 200 Euro wert. Gut eineinhalb Jahre später steht fest: Am deutschen Aktienmarkt dürfte kaum eine Blase jemals so groß gewesen sein, wie diese in diesem Moment. Inzwischen hat Wirecard Insolvenz angemeldet. Über Jahre hinweg soll der Konzern seine Bilanzen gefälscht und Luftbuchungen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro getätigt haben.

Eine DAX-Mitgliedschaft hängt fast ausschließlich an quantitativen Kriterien

Nicht nur für Anleger, auch für den DAX ist das ein Desaster historischen Ausmaßes. Eines, das womöglich hätte vermieden werden können, wenn die Kriterien für einen Sprung in den deutschen Leitindex andere wären. Entscheidend für die Deutsche Börse, die den Index zusammensetzt, sind  allein eine große frei handelbare Marktkapitalisierung und der Orderbuchumsatz – auf der elektronischen Handelsplattform Xetra sowie dem Parkett in Frankfurt. Dazu muss die jeweilige Aktie im Prime Standard gelistet sein, fortlaufend auf Xetra gehandelt werden, mindestens 30 Handelstage seit der Erstnotiz aufweisen, ihren juristischen Sitz oder ihr operatives Hauptquartier in Deutschland haben und einen Streubesitzanteil von mindestens zehn Prozent aufweisen.

Das sind spärliche Rahmenbedingungen. Im Grunde gibt es neben den beiden quantitativen Anforderungen so gut wie überhaupt keine. Qualitative Kriterien fehlen gänzlich. Die sogenannte Corporate Governance findet keinerlei Beachtung. Ob sich ein Unternehmen an Gesetze, Regelwerke oder allgemein gültige Standards in der Unternehmensführung hält, spielt keine Rolle, wenn es um einen Platz in Deutschlands Vorzeige-Index geht. Von weiterführenden Merkmalen, wie Transparenz in der Unternehmenskommunikation oder Managemententscheidungen, die auf eine langfristige Wertschöpfung ausgerichtet sind, ganz zu schweigen.

Warum ist Wirecard immer noch DAX-Mitglied?

Die Deutsche Börse jedoch brüstet sich damit, dass der Auswahlprozess der Unternehmen seit 2016 in allen Indizes „rein quantitativ und vollständig automatisiert“ stattfindet. „Durch den automatisierten Prozess wird weiter die Transparenz des Indexregelwerks verbessert“, heißt es auf der Homepage der Frankfurter. Wie der Fall Wirecard zeigt, schützt das Anleger jedoch nicht vor intransparenten Unternehmen. Weiter im Text steht: „Die Zusammensetzung aller Auswahlindizes wird rein objektiv und faktenbasiert bestimmt.“ Das klingt ehrenhaft, hilft nur nichts, wenn die Faktenbasis nicht stimmt.

Wirecard, so schätzen Index-Experten, dürfte noch bis September, zur einmal jährlich stattfindenden ordentlichen Anpassung des Index also, DAX-Mitglied bleiben. Dann kommt es – aufgepasst – wegen der gesunkenen Marktkapitalisierung zum Rauswurf, nicht wegen der Bilanzfälschungen.

Nun ist es zunächst nicht die Aufgabe eines Indexbetreibers Unternehmen genauestens zu prüfen und Anleger vor Verlusten zu bewahren. Dafür gibt es Behörden – im Falle Wirecards die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Aber es müsste doch im eigenen Interesse der Deutschen Börse sein, ihrem Vorzeigeindex eine gutes Image zu geben. Noch gilt eine DAX-Zugehörigkeit vielen als Qualitätsmerkmal. Das aber droht sich zu ändern, wenn Größe weiter nur im quantitativen Sinn zählt.

Die Dax-Kriterien fördern Spekulationsblasen

Das nämlich fördert Blasen. Schließlich sind es stark steigende Kurse, mit denen eine hohe Marktkapitalisierung und große Handelsvolumina einhergehen. Oft treiben Investoren, die von einem nahenden Aufstieg eines Unternehmens in den DAX ausgehen, den Kurs so ganz bewusst weiter nach oben oder setzen beim Indexwechsel auf die steigende Nachfrage von Seiten passiver Indexfonds (ETFs), die den DAX abbilden und die Aktie entsprechend in ihr Portfolio nehmen müssen. Ist der Aufstieg dann geschafft, wird abverkauft. So hatte auch die Wirecard-Aktie ihr Rekordhoch kurz vor dem Sprung in den DAX. Danach ging es stetig bergab, noch bevor die Financial Times anfing über Bilanzunregelmäßigkeiten zu berichten. Die Wirtschaftswoche will sogar errechnet haben, dass sich die DAX-Absteiger in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich besser entwickelt haben, als die Aufsteiger.

Fazit: Der DAX braucht eine Zeitenwende. Die Deutsche Börse muss ihre Kriterien für die Mitgliedschaft im Index dringend überdenken. Dass Wirecard, trotz aller Vorwürfe, eines katastrophalen Prüfberichts von KPMG und mehrmaliger Verschiebung der Bilanzvorlage, nicht einmal mit einem Dax-Rauswurf gedroht wurde, ist überdies beschämend.

OG

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