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Schmutzige Phantasie gefragt

In der alles beherrschenden, berührenden und verändernden Klimadebatte kommt eines kaum vor: Die schiere Notwendigkeit, fossile Brennstoffe in zahlreichen Ländern rund um den Globus noch für unabsehbare Zeit nutzen zu müssen.

BÖRSE am Sonntag

In der alles beherrschenden, berührenden und verändernden Klimadebatte kommt eines kaum vor: Die schiere Notwendigkeit, fossile Brennstoffe in zahlreichen Ländern rund um den Globus noch für unabsehbare Zeit nutzen zu müssen.

Von Reinhard Schlieker

Für manche Regionen gar, sowohl in Asien, Afrika und Südamerika wäre die Verwendung von Gas und Öl sogar ein Schritt in Richtung saubere Energie: Dort nämlich, wo Wälder abgeholzt werden, um Brennstoffe wie Holzkohle für den täglichen Überlebenskampf zu gewinnen, schon allein um Nahrung zuzubereiten. Die Gemengelage ist ebenso unübersichtlich wie all die Modelle zum atmosphärischen Effekt gelungener Energiewenden. Vom Vordringen solcher Technologien wie Kernkraft in ihrer technologisch moderneren Ausprägung ganz zu schweigen.

Die Anhänger nachhaltiger Geldanlagen an der Börse allerdings müssen nun ganz besonders tapfer sein. Denn es kommt – Aramco. Die sind arabisch, riesig, schmutzig und wollen aufs Parkett. Ab dem heutigen Sonntag werden nun Groß- und Kleinanleger umworben, Aktien des größten Ölproduzenten der Welt zu zeichnen. Fast wirkt es wie aus der Zeit gefallen, zumindest für deutsche Aktionäre, die mit Windkraft und anderen Öko-Engagements aber auch schon ein paar schlimme Erfahrungen machen durften. Demgegenüber ist Aramco aus Saudi-Arabien auch noch hoch profitabel (alles andere hätten sich die herrschenden Saudi-Prinzen wohl auch verbeten, und Strafen auch für Manager sind dort schnell, hart und nachhaltig). 0,5 Prozent der Anteile also sollen an Privatanleger gehen, Zeichnungsfrist für diese bis 28. November.

Im letzten Jahr verdiente der Konzern 111,11 Milliarden US-Dollar, kein Faschingsscherz. Seine prinzliche Hoheit Mohammed Bin Salman veranschlagt den Wert des Unternehmens auf zwei Billionen Dollar. Oh geheimnisvolle Welt des Orients! Westliche Ratingagenturen sehen nämlich nur 500 Milliarden auf dem Zettel, aber das ist ja auch schon was. Mit einer täglichen Förderung von mehr als zehn Millionen Barrel Erdöl ist dem Konzern auch kein verurteilungswürdiges Phlegma anzumerken. Die Reserven von geschätzten 260 Mrd. Barrel – es können auch mehr sein – lassen noch viele Jahre emsiger Förderung zu. Ansonsten plant Saudi Aramco Großes. Man will vertikal expandieren und künftig verstärkt auch Basis-Chemikalien aus dem selbst geförderten Öl herstellen, das nötige Knowhow wird, auch gut arabisch, einfach gekauft mitsamt der dranhängenden Unternehmen. Das Geld der Börsianer braucht der energische Riese genau genommen nicht, zumindest nicht fürs Tagesgeschäft. Aber die Diversifizierung in andere Wirtschaftsbereiche ließe sich so weitgehend auf anderer Leute Risiko verwirklichen, und das Königshaus wird nicht mit solchen Petitessen behelligt.

A propos Risiken: Natürlich könnte es zu einem Rückgang der Förderung kommen, wegen nachlassenden Interesses der Kundschaft. Ist wohl zu vernachlässigen – dem Vorreiter Deutschland galoppiert weltweit niemand der ölhungrigen Schwellen- und sonstigen Länder hinterher, was eine etwaige Energiewende angeht. Hauptkonkurrenz wäre die Kernkraft, aber dort wird Saudi Aramco wohl ebenfalls bald einen Fuß in der Tür haben. Eher ernstzunehmen sind erratische Raketen- und Drohnenangriffe auf Aramco-Förderplantagen, sei es aus dem Jemen oder direkt von Erzfeind Iran. Die Drohnen-Attacken vom vergangenen September drückten die Ölproduktion zeitweilig auf die Hälfte, das sind dann schon Hausnummern. Nicht unberechtigt ist wohl die Erwartung, dass die amerikanische Schutzmacht die bis dahin eher unerwarteten Angriffe künftig abzuwehren gedenkt und das königliche Militär (chronisch erfolglos gegen Huthi-Rebellen im Jemen unterwegs) entsprechend schult und ausstattet. Da nur ein bis zwei Prozent des Unternehmens überhaupt an die Börse kommen, gleichwohl den größten Börsengang aller Zeiten darstellend, bleibt das Hauptrisiko doch bei der saudi-arabischen Regierung – ein wenn auch schwacher Trost mutiger Aktionäre. Im Börsenprospekt sind auf rund 600 Seiten weitere Risiken benannt, aber wer Börsenprospekte durcharbeitet, ist als Anleger für die Welt der kühnen Investitionen wohl ohnehin als verloren zu betrachten.

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