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Volkswagen & Co.: Da hilft nur noch Überraschung

Es hätte ja sein können, dass es klappt mit dem Weltraum. Dahin zieht es jedenfalls seit vielen Jahren Virgin Galactic, seit 2019 auch börsennotierter Highflyer des mit „umtriebig“ nur schwach beschriebenen Unternehmers Richard Branson, beheimatet auf den British Virgin Islands, denn wer zahlt schon gern Steuern.

Es hätte ja sein können, dass es klappt mit dem Weltraum. Dahin zieht es jedenfalls seit vielen Jahren Virgin Galactic, seit 2019 auch börsennotierter Highflyer des mit „umtriebig“ nur schwach beschriebenen Unternehmers Richard Branson, beheimatet auf den British Virgin Islands, denn wer zahlt schon gern Steuern.

Von Reinhard Schlieker

Die Aktionäre der Firma, die seit 2013 praktisch stündlich mit dem ersten touristischen Weltraumflug rechnen müssen, haben in den knapp 14 Monaten der Börsennotierung galaktische Schwankungen erleben dürfen, bei gut 25 Dollar notiert das Papier momentan – was aber passiert, wenn der Gründer tatsächlich eines Tages im Weihnachtsmann-Outfit seinen versprochenen Jungfernflug mit Virgin absolviert, wagt kein Analyst auch nur zu murmeln. Falls der Weihnachtsmann irgendwo da draußen gesichtet wird, und nicht in Wirklichkeit nur ein verkleideter Richard Branson ist, dürfte das Business boomen.

Mit deutlich mehr Erdenschwere kommt dagegen Volkswagen daher, auch wenn man dieser Tage Pläne gemacht, verkündet und bekräftigt hat, die nach Wolfsburger Maßstäben sicherlich einem Aufbruch ins All nahekommen. Der gesamte Konzern will sich auf die Elektromobilität stürzen als gäbe es kein Morgen, und parallel dazu seine Software-Entwicklung und Digitalisierung in den Mittelpunkt des Seins bugsieren. Das ist in der Tat ein kühner Schritt, da nach wie vor Tesla in diesen Dingen das Maß der Dinge ist, immer noch, und neuerdings mitten im Land der Automobilhersteller schlechthin. BMW hat die Verfolgung aufgenommen, Daimler greift mit einer elektrischen Luxuslimousine die höherwertigen unter den Teslas an und alle eint die Jagd nach Reichweite und Akkulaufzeit.

Mit im Boot die großen und mittleren Zulieferer, die ebenso wie die Hersteller selbst an der Börse derzeit gefeiert werden – offenbar zählen im Moment die oft gehörten und bislang keineswegs entkräfteten Zweifel nicht so sehr, als da wären Lade-Infrastruktur, Batterieverfügbarkeit, und nicht zuletzt die Frage, woher im ganz großen Maßstab denn der Strom kommen soll. Bei VW soll die Konzern-IT in Zukunft eine Schlüsselrolle spielen, ab dem kommenden Jahr wird es dafür ein eigenes Vorstandsressort geben. Offenbar haben einige Probleme in der allerjüngsten Vergangenheit die Wichtigkeit des Themas nur unterstrichen – der Konzern muss ebenso digitaler werden wie die Fahrzeuge. So also die unmittelbare und weitere Zukunft. In der banalen Gegenwart sind für VW weiterhin Interessen auszugleichen, dass es nur so seine Art hat. Das hinlänglich bekannte und mit einem Alter von 60 Jahren kein bisschen digitale VW-Gesetz, das dem Land Niedersachsen seine Sperrminorität garantiert und für die in Wolfsburg mitregierenden Gewerkschaften ein Rückhalt ist, wie es ihn sonst nirgends gibt, verhindert jedes Durchregieren. Wer wie Herbert Diess von einem Familienunternehmen kommt, wie es BMW nun mal ist, muss damit ebenso umgehen können wie mit staatlichen Aktionären aus dem Mittleren Osten und einem Eigentümerclan von teilweise orientalischer Anmutung wie die Familien Porsche – Piëch.

Noch nicht bekannt ist, wie VW, in einer Verkaufsliga spielend mit Toyota, allerdings mit mehr als doppelt so vielen Beschäftigten wie die Japaner, die künftige Schrumpfung der Mitarbeiterzahl bewerkstelligen will. Denn abgesehen von allem anderen braucht Elektromobilität und IT andere und weniger Leute als die Produktion von Verbrennern. Der Ausbau digitaler Mobilitätsangebote, Datengewinnung und -verwertung und weiterer Dienstleistungen könnte helfen, erfordert aber Spezialisten.

Die Börse traut den Wandel dem Konzernchef offenbar zu, so wie sie derzeit der Automobilindustrie insgesamt Vorschusslorbeeren zuteilt. In vielen Hinterköpfen, denen der ausländischen Anleger zumal, dürfte da der Ruf der Vergangenheit noch eine Rolle spielen – schon mehrfach haben sich die Großen der deutschen Branche nahezu neu erfinden müssen. Ist es diesmal aber vielleicht anders? Jedenfalls sollte man spätestens hellhörig werden, falls einer der Autobosse anfängt, sich als Weihnachtsmann zu verkleiden und ins Weltall ausweichen will. Im Moment ist derlei, wohl zum Glück, noch nicht überliefert, nicht einmal aus Wolfsburg.

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