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Chaos in Amerika

Manchmal versteht man die Welt nicht mehr und wenn man sie dann wieder versteht, ist sie rätselhaft. So etwa am Donnerstagnachmittag, Ortszeit New York, als die Kurse der im Dow Jones wie auch in der NASDAQ vertretenen Wertpapiere plötzlich durchschnittlich 10 Prozent ihres Wertes verloren. Was um Himmels willen hatten denn Procter & Gamble oder Apple in dieser Sekunde simultan falsch gemacht?

BÖRSE am Sonntag

Manchmal versteht man die Welt nicht mehr und wenn man sie dann wieder versteht, ist sie rätselhaft. So etwa am Donnerstagnachmittag, Ortszeit New York, als die Kurse der im Dow Jones wie auch in der NASDAQ vertretenen Wertpapiere plötzlich durchschnittlich 10 Prozent ihres Wertes verloren. Was um Himmels willen hatten denn Procter & Gamble oder Apple in dieser Sekunde simultan falsch gemacht?

Kauft keiner mehr Waschmittel oder Computer oder haben weltweit die Leute den Verstand verloren und Waschmittel in den Computer geschüttet? Warum fällt die Aktie von Accenture von 42 Dollar auf gerade mal einen Cent? Vielleicht hat wirklich ein Händler ein paar Tasten verwechselt, wie der Nachrichtensender CNBC mutmaßte, und einige computergenerierte Programme waren daraufhin angesprungen und verkauften, was das Zeug hält. Diese These gewinnt Glaubwürdigkeit dadurch, dass der anschließende Aufstieg auf ein „normales“ Verlustniveau ebenfalls recht schnell ging: Da waren dann eben Kaufprogramme am Werk. Wobei wir eigentlich alle geglaubt hatten, dass derlei Automatismen nicht mehr erlaubt seien und ein Wall-Street-Computer die anderen Computer stoppen würde oder so ähnlich ... Deshalb ist wohl als Erstes zu konstatieren: Die technologische Basis des Börsenhandels sollte schleunigst untersucht werden. Als Ursache der ganz normalen Kursabschläge wird ja hauptsächlich Griechenland genannt, und das hätte auch ohne rätselhaftes Eigenleben im Börsenhandel schon gereicht. Und so schnell ist nichts Gutes zu erwarten, es sei denn, in Griechenland hören die Proteste überraschend auf oder man findet Gold unter der Akropolis. Ohnehin wird Griechenland nur als Spitze eines Eisbergs betrachtet, und je weiter man von Europa weg ist, desto verwaschener wird das Bild: In den USA zum Beispiel sieht man die Sache als „europäische Schuldenkrise“. Sicher, da ist von Griechenland die Rede, aber die Titelüberschriften lauten: Europa. Vermutlich wäre man zur Lösung der Krise gut beraten, gegen diese Vereinheitlichung vorzugehen – nur, in der europäischen Politik sieht offenbar niemand diese schlimme Verbindung. Und solange Investoren und Medien im Ausland da nicht differenzieren, bleiben die Börsen natürlich unter Druck. Es wäre dringend nötig, ganz klar und unmissverständlich zu zeigen, dass Europa auf Disziplin im staatlichen Sektor setzt und auf Wirtschaftswachstum. Denn so ganz unrecht haben die Skeptiker natürlich nicht: Auch in anderen europäischen Ländern neben Griechenland steigen die Schulden – unter anderem ja deshalb, weil die Hilfe für Hellas einiges kostet, und niemand hat derzeit Überschüsse zu vergeben. Wenn sich also auch die Panik an den Märkten gelegt hat, so belasten diese realen Sorgen doch weiter. Ein am Boden liegendes Europa wäre eine schwere Bürde für die Weltwirtschaft – so wichtig ist der Kontinent dann doch noch, dass er nicht folgenlos Misswirtschaft betreiben könnte.