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Die Wirrnisse an den Börsen – Schachspieler mit Zockernerven gesucht

Das Durcheinander wird immer größer. Muss man wohl so konstatieren, wenn Börsenindizes einfach mal zur Wochenmitte zulegen als gäbe es morgen keinen Handel mehr – und tags darauf offenbar einer anderen Realität ausgesetzt sind, wo es folgerichtig nur bergab gehen kann. So geschehen vor wenigen Tagen, mit Dax und Dow nahezu im Gleichklang. Warum Privatanleger die Ruhe bewahren sollten.

Das Durcheinander wird immer größer. Muss man wohl so konstatieren, wenn Börsenindizes einfach mal zur Wochenmitte zulegen als gäbe es morgen keinen Handel mehr – und tags darauf offenbar einer anderen Realität ausgesetzt sind, wo es folgerichtig nur bergab gehen kann. So geschehen vor wenigen Tagen, mit Dax und Dow nahezu im Gleichklang. Warum Privatanleger die Ruhe bewahren sollten. 

Von Reinhard Schlieker

Die vordergründigen Erklärungen für dieses wie jenes umfassten tatsächlich und unbegreiflicherweise die Tatsache, dass es zunächst Hoffnungen gab verbunden mit den Gesprächen zwischen der ukrainischen und der russischen Regierung, und dass, als natürlich nichts dabei herauskam, dies eine Enttäuschung bedeutete.

Sollten erwachsene Aktienanleger mit Zugang zu herkömmlichen internationalen Medien ihre Kaufentscheidungen von Gesprächen abhängig machen, an denen so jemand wie der russische Außenminister Lawrow beteiligt ist, dann könnte man aus diesem Wissen sicher einen lukrativen Algorithmus zusammenbauen. So ganz ernstgemeint können derartige Begründungen aber wohl nicht sein, die Friedenshoffnung als solche mag die Anleger allerdings ehren.

Hinter der Beobachtung des Kriegsverlaufs steckt aber natürlich auch eine durchaus wichtige und weltweit bedeutsame Folgenabschätzung. Eine Gleichung mit vielerlei Unbekannten bleibt es jedoch, wo ein Stein des Denkgebäudes auf jedem anderen fußt und es mithin zu den kleinsten Verschiebungen kommen kann, die das ganze Bauwerk der Spekulation dennoch schnell zum Umstürzen bringen. Wer hier mit den Tugenden eines Schachspielers nicht recht weiterkommt, muss sich nicht schämen.

Eine Schlüsselposition haben dabei die Notenbanken, bei denen zahlreiche Fäden zusammenlaufen. Da wäre zum einen die Inflation, jüngst wieder mit einer Rekordzahl aus den USA: 7,9 Prozent betrug sie im Februar gegenüber dem Vorjahresmonat. Die amerikanische Zentralbank Fed wird damit von ihrem ohnehin geplanten Geldverknappungskurs kaum abweichen, jedenfalls nicht in Richtung Verschiebung oder Milderung. Für die Börsen unerfreulich, auf den ersten Blick. Höhere Finanzierungskosten insbesondere für Unternehmen ohne ausreichendes Gewinnpolster sind die Folge, weswegen abermals Startups und junge Hightech-Firmen keine dauerhafte Kurserholung hinbekommen.

In Europa, der Eurozone jedenfalls, ist die bekannte Zwickmühle, in der sich die EZB befindet, kein bisschen angenehmer geworden. Hohe Inflation auch hier, vor allem getrieben – wie in den USA – von Rohstoffpreisen. Was zudem bedeutet, dass die Preissteigerung noch gar nicht in vollem Umfang bei den Verbrauchern angekommen ist, denn die Auswirkungen der höheren Einkaufspreise und Betriebskosten bei den Unternehmen schlagen sich erst mit Verzögerung im Wirtschaftsleben nieder. Gleichzeitig stehen die Mitgliedsstaaten im Süden weiterhin vor dem Problem, eine Staatsfinanzierung bei steigenden Zinsen nicht schultern zu können – sie haben sich schlicht nicht auf eine solche Situation, so unvermeidlich sie eines Tages ohnehin gewesen wäre, vorbereitet. Daher die halbherzigen Ankündigungen und Andeutungen der EZB zum Auslaufen der Anleihekäufe und zu möglichen Zinserhöhungen in diesem und dem nächsten Jahr.

Alles bleibt offen, und das kann der Börse natürlich nicht gefallen: Die berühmte „Guidance“ fehlt, die eine vorausschauende Positionierung erst erlauben würde. Eine immer noch gehegte Erwartung der EZB, im kommenden Jahre werde die Inflationsrate schon wieder sinken, löst bei vielen Ökonomen nur noch Kopfschütteln aus. Vermutlich wäre eine klare Benennung der Zwickmühle ebenso kühn wie achtungsgebietend, aber dafür ist EZB-Chefin Lagarde sicher nicht zu haben. Denn das würde auch ein Fehlereingeständnis einschließen.

Natürlich bleiben den Anlegern, soweit sie keine Zockernerven besitzen, weiterhin die bewährten Mittel der langfristig orientierten Aktienstrategie, mit Käufen in Raten, um Schwankungen möglichst nicht sofort durchschlagen zu lassen – also für Privatanleger die Instrumente des Aktien-Sparplans und die sorgfältige Auswahl von ETFs. Schließlich lauert an bösen Überraschungen womöglich noch einiges hinter der jeweils nächsten Kurve – den Rückgang des weltweiten Wirtschaftswachstums kann man schon als sicher einpreisen, aber was für Auswirkungen hat dann noch eine etwaige Staatspleite Russlands? Oder eine massive Ausweitung des Kriegsgeschehens? Oder eine weitere Verknappung von Öl und Gas? Bei aller ganz natürlichen Hoffnung auf Besseres, und auch angesichts der Vorliebe für stets sympathisch wirkenden Optimismus: Starke Anstiege nach dem Muster der abgelaufenen Woche nannte man früher eine „Bullenfalle“. Wer sich nicht davonreißen lässt, tappt nicht so leicht hinein.

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