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Die Russland-Disconnection

Der russische Bürger muss, wenn es so weitergeht, in Zukunft auf allerlei westliche Güter verzichten, wohingegen der Durchschnittsoligarch natürlich weiterhin im Ausland shoppen kann - vorerst. Dennoch – mit dem Rückzug solcher Firmen wie Apple, Ford, Ikea, BMW und Exxon, VW und BP wird so manches demnächst stocken im größten Land der Welt.

Der russische Bürger muss, wenn es so weitergeht, in Zukunft auf allerlei westliche Güter verzichten, wohingegen der Durchschnittsoligarch natürlich weiterhin im Ausland shoppen kann - vorerst. Dennoch – mit dem Rückzug solcher Firmen wie Apple, Ford, Ikea, BMW und Exxon, VW und BP wird so manches demnächst stocken im größten Land der Welt.

Von Reinhard Schlieker

Sei es bei Ersatzteilen, sei es bei Industrieausrüstung. Die nie dagewesene Flucht aus Russland dürfte die herrschende Schicht stärker ins Grübeln bringen als die offiziellen zwischenstaatlichen Sanktionen. Denn der gewisse Wohlstand insbesondere im Bürgertum russischer Großstädte zeigte sich auch im Konsum westlicher Alltagsgüter. Dass Kriegsherr Putin seine langen Tische und kitschigen Damast weiterhin wird besorgen können, wenn auch nicht bei Ikea, tut da nichts zur Sache.

Die schwedischen Möblierer übrigens trennen sich von den 15.000 russischen Mitarbeitern, deren Sympathien man dadurch zwar nicht gewinnt, aber ihrem Kremlherrscher werden sie dadurch wohl auch nicht näherrücken. Die Nadelstiche des einzelnen Unternehmens werden, wenn daraus eine Massenbewegung entsteht, bleibenden Schaden an der ohnehin nicht gerade überschäumenden russischen Wirtschaftsleistung anrichten. Was aufmerken lässt: Die Konzerne nehmen für ihre Moskau-Disconnection durchaus herbe Verluste in Kauf. Prominentes Beispiel dafür ist der britische Mineralölkonzern BP. Der leidet übrigens nicht zum ersten Mal.

Der Ausstieg beim gemeinsamen Unternehmen von BP (knapp 20 Prozent Anteil) und der staatlichen russischen Rosneft wird bei den Briten mit rund 22 Milliarden Euro Abschreibungen zu Buche schlagen. Es ist durchaus anzunehmen, dass die britische und womöglich weitere westliche Regierungen gut zureden mussten, damit ein Konzern wie BP seinen Aktionären diesen Schritt als unumgänglich verkaufte. Die Schrecksekunde drückte sich in einem Kursverlust von gut fünfzehn Prozent noch am Tag des Geschehens aus, auf nur noch knapp über vier Euro - allerdings erholte sich das Papier wieder auf den vorherigen Stand von gut 4,60, ehe es nun wieder bergab ging in Richtung 4,30. Was den Druck auf den Kurs abfederte, war sicherlich auch der deutliche steigende Ölpreis, während die allgemeinen Wirtschaftsaussichten wegen des Krieges in der Ukraine, der damit zwangsläufig drohenden noch höheren Inflation und in der Folge wohl steigender Zinsen in der westlichen Welt in die Gegenrichtung wirken.

BP indes hat Erfahrung mit gewaltigen Verlusten und Zahlen. Schon einmal wurde man mehr oder weniger unsanft gezwungen, eigene Aktivitäten in Russland teuer einzustellen und stattdessen als Juniorpartner mit der staatlichen Rosneft zu arbeiten – seit 2011 lief diese Beteiligung, ehe sie nun seit Ende Februar Geschichte ist. 2015 wurde BP in den USA zu einer Schadensersatzzahlung von über zwanzig Milliarden Dollar verurteilt, nachdem dem Konzern vielerlei Versagen vor, während und nach der Brandkatastrophe der Bohrinsel „Deepwater Horizon“ (2010) im Golf von Mexiko nachgewiesen worden war.

Derartige Rückschläge sind für Aktionäre weltweit operierender Energiekonzerne wenn nicht täglich Brot, so doch im Hinterkopf zu bewahren. Es liegt in der Natur der Sache, dass solche Firmen, seien es nun Shell oder Chevron, BP oder Exxon in Ländern arbeiten, die teils unberechenbar, teils diktatorisch oder eben kriegerisch orientiert sind. In Ethikfonds kommt man damit natürlich eher nicht.

Um so mehr sollten die Schritte nicht nur von Technologiefirmen wie Apple oder Dell, sondern auch von der Öltochter der BASF, Wintershall-DEA, und zahlreichen Autokonzernen und Zulieferern beeindrucken. Sogar Siemens, sonst stets wendig-geschmeidig weltweit unterwegs, stellt sein Russland-Business ein. Aeroflot dürfte Ersatzteile für seine Boeing-Flotte wohl bald auf verschlungenen Pfaden einführen müssen, und DHL bringt’s ab sofort auch nicht mehr (und Fedex auch nicht, übrigens). Ericsson und Nokia mit ihren schwedisch-finnischen Wurzeln haben verständlicherweise keine heiße Liebe mehr zum russischen Geschäft, und wenn man den Rückzug weltweiter Autohersteller betrachtet, erwacht vor dem geistigen Auge bereits eine Szenerie, wie sie so typisch für Havanna, Kuba ist: Moskauer Straßen in fernerer Zukunft mit uralten, immer wieder zusammengeflickten Volvos und Porsches, Toyotas und VW.

Natürlich rechnet niemand mit einer auf Jahrzehnte hinaus feindseligen Welt in Eurasien, sondern hofft auf die historische Macht jener Kräfte, die des Diktators eines Tages so überdrüssig sind, dass sie dessen Zynismus auch unter hohen eigenen Opfern abschütteln.

Der Welthandel ohne Russland ist auf Dauer kaum vorstellbar, und diese privatwirtschaftlichen Sanktionen, seien sie nun aus echter Empörung oder politischem Kalkül gespeist, dürften dort zum Nachdenken anregen (und in China aufmerksam beobachtet werden). Die Konzerne haben, wenn man die Kursentwicklung jener unter ihnen betrachtet, die börsennotiert sind, jedenfalls nicht erkennbar deutlich unter diesen Geschäftsaufgaben gelitten. Die Aktienwelt ist schließlich dieser Tage auch so schon schlimm genug, wem immer das auch zum Trost gereichen mag.

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