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Krise mit Allradantrieb

Nein, es wird keine Massenarbeitslosigkeit geben durch die Stellenkürzungen in der Automobilindustrie. Sagen Ökonomen, führende sogar. Da mögen sie vorerst recht haben, allerdings ist es von einem fast leergefegten Arbeitsmarkt, wie bis unlängst in Deutschland, zu einer von Massenarbeitslosigkeit geprägten Situation nicht nur ein Schritt, sondern es sind sicher mehrere.

BÖRSE am Sonntag

Nein, es wird keine Massenarbeitslosigkeit geben durch die Stellenkürzungen in der Automobilindustrie. Sagen Ökonomen, führende sogar. Da mögen sie vorerst recht haben, allerdings ist es von einem fast leergefegten Arbeitsmarkt, wie bis unlängst in Deutschland, zu einer von Massenarbeitslosigkeit geprägten Situation nicht nur ein Schritt, sondern es sind sicher mehrere.

Von Reinhard Schlieker

Die Weisen der Wirtschaftsforschung zeigen auf das große Ganze, das gesamte Bild sozusagen, und was sie da sehen, so unisono Ifo-Institut und IfW Kiel, sind neue Arbeitsplätze, die entstehen – nur halt in anderen Branchen. Nun mag das tröstlich sein, jedoch eher weniger für einen Kraftfahrzeugmechaniker, der angesichts der deutschen E-Mobil-Wende nicht plötzlich zum Elektriker mutiert. Die Autoindustrie hat in diesem Jahr allein die Streichung von rund 50.000 Stellen verkündet. Man darf getrost davon ausgehen, dass die reale Zahl viel höher liegt, denn vor allem mittelgroße und kleinere Zulieferbetriebe kommen ungern mit Streichungsplänen um die Ecke – stattfinden wird die Schrumpfung gleichwohl.

Während Große wie Audi schon einmal 9.500 Arbeitsplatzverluste ankündigten, wollen andere, die eher nicht so noch unter Diesel-Skandal-Auswirkungen leiden, im wesentlichen umschichten, nicht abbauen. BMW hat den Weg im Einklang mit dem Betriebsrat gewählt, an den Erbhöfen zu rütteln und gewohnte Wohltaten einzuschränken. Bisher etwa konnte ein Bandarbeiter bei den Münchenern jährlich mit etwa 9.000 Euro Erfolgsprämie rechnen, die dürfte in Zukunft deutlich geringer ausfallen. Fast gleichzeitig vermeldete BMW dieser Tage aber auch neue Ufer in China, die es zu erreichen gilt: Dort baut man zusammen mit den poetisch benannten „Great Wall Motors“ die Elektroversion des Mini. Da werden die wenigsten der vorgesehenen 3.000 Mitarbeiter aus Deutschland kommen – wozu auch, die Produktion eines Elektromobils ist weitaus weniger raffiniert als die eines herkömmlichen Verbrenners.

Es ist also, als würde sich die Autoindustrie unbremsbar, mit allen Rädern auf Antrieb geschaltet, in eine neue Rolle begeben: Schlanke Produktion, eines Tages dann auch ganz ohne Benzin- oder Dieselmotoren. BMW jedenfalls sieht sich hier auf gutem und wohl auch lukrativen Weg. Während die künftige Bedeutung der Branche insgesamt für die deutsche Industrie noch längst nicht ausgemacht ist. Von der überragenden Position dürfte jedoch auf diese Weise nicht viel übrigbleiben. Die Aktienkurse der großen Hersteller haben dabei ihre gröbste Abstufung wohl schon hinter sich. Wenn ein Autobauer wie Daimler nun nur ankündigt „tausende“ Stellen weltweit zu streichen und dabei 1,4 Milliarden Euro einsparen zu wollen, ist das an der Börse keine weltbewegende Nachricht mehr – es gibt bei einzelnen wie BMW etwa sogar wieder eine bereits einige Zeit andauernde Gegenbewegung nach oben. Es bleibt der Fakt, dass alle Hersteller an der Börse eine Korrektur erfahren haben – nach zwei Jahren deutlichen Niedergangs scheint da eine Talsohle erreicht.

In die Gegenrichtung geht es mit Energiewerten, die, auch schon fast totgesagt, wieder Fahrt aufnehmen, so zu sehen bei RWE und E.on. All das wird die bedenkliche Entwicklung am Arbeitsmarkt nicht stoppen. Das Problem bei höherer Arbeitslosigkeit, gesamtwirtschaftlich gesehen, wird eine Delle beim Konsum und eine höhere Sozialausgabenlast beim Staat sein. Es ist lange her, dass in Deutschland Arbeitsmarktprobleme Schlagzeilen wert waren. Könnte aber wieder so kommen. Der Mini, soweit er in China läuft, wird wohl mit der China-typischen Strom-Mixtur laufen, und da steht Kohleverstromung auf dem ersten Platz. Auch in Deutschland ist bekanntlich die Endberechnung dessen, was Elektroautos an Umweltschonung bringen, noch längst nicht abgeschlossen.

Auch wenn die Autoindustrie nun mit ihrem grünen Gewissen wirbt: Was das unter dem Strich wert ist, weiß man erst in Jahren. Derweil kaufen die Deutschen weiterhin steigende Auflagen von SUVs, die bei Umwelt- und Klima-Aktivisten als das rollende Böse verschrien sind. Wünsche und Wirklichkeiten sind mindestens so unsicher wie die Chefs der Autokonzerne. Ob der vielerorts beschworene Umbruch in der deutschen Industrie ein Opfer ist, wert zu bringen für den überragend guten Zweck, weiß heute niemand. Sollte es so teuer und nutzlos sein wie bisher große Teile der aufwendigen Energiewende, wird man sich nach modern und umweltfreundlich laufenden Verbrennern zurücksehnen. Sind die Kapazitäten einmal abgebaut, hilft das auch nichts mehr.