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Wirecard: Spieler oder Spielball?

Ein „Global Player“ aus Good Old Germany, noch dazu im hierzulande unterschätzten Hightech-Finanzsektor – so sieht sich Wirecard aus Aschheim bei München, der Treiber schlechthin des drahtlosen, eben nicht „wire“-gebundenen Geschäfts mit 290.000 Kunden weltweit und Präsenz in 54 Sprachräumen – globaler geht nicht.

BÖRSE am Sonntag

Ein „Global Player“ aus Good Old Germany, noch dazu im hierzulande unterschätzten Hightech-Finanzsektor – so sieht sich Wirecard aus Aschheim bei München, der Treiber schlechthin des drahtlosen, eben nicht „wire“-gebundenen Geschäfts mit 290.000 Kunden weltweit und Präsenz in 54 Sprachräumen – globaler geht nicht.

Von Reinhard Schlieker

Spielball der Marktmächte und Getriebener der Finanzmedien – so sieht es zwischendurch eher mal aus, zumindest seit Januar 2019, als der Blogger Dan McCrum von der Londoner Financial Times zum großen Schlag ausholte, der inzwischen nach mehreren Veröffentlichungen zum Rundumschlag geworden ist. Wirecard, so kurz gefasst die Vorwürfe, habe in Irland und in Dubai bei Partnerfirmen Kunden geführt, die es gar nicht gebe und Umsätze erfunden. Die FT beruft sich dabei auf interne Dokumente, und in der Tat lesen sich die Vorwürfe detailreich und in sich zunächst schlüssig: McCrum will mit einigen der angeblichen Kunden der Dubai-Niederlassung „Al Alam Solutions“, Repräsentanz von Wirecard für den Mittleren Osten, gesprochen haben, andere seien erst gar nicht auffindbar gewesen. Die meisten aber hätten von der Firma nie gehört. Ebenso eine amerikanische Zahlungsfirma namens CCBill, die laut Wirecard-Finanzreports monatliche Millionenzahlungen über Al Alam abwickelte. Dem FT-Autor sagte der CCBill-Vorstand angeblich, man kenne Al Alam nicht und habe mit der Firma in Dubai auch keine Geschäftsbeziehung. Derartige Details wurden in Deutschland bisher nicht ausgiebig beleuchtet – Wirecard selbst bezeichnete die FT-Berichterstattung seinerseits ganz generell als verleumderisch und wies alle Vorwürfe zurück; bezog sich dabei aber lediglich auf die vorgelegten Zahlenwerke zu Umsätzen und Erträgen, die allesamt geprüft und richtig seien. Bei den 34 Kunden der Dubaier Al Alam handele es sich um „Kundencluster“ mit jeweils hunderten Händlern, die Wirecard-Lösungen anwendeten. Diese seien in den 34 Konten für Berichtszwecke gebündelt worden. Das passt nun aber wieder überhaupt nicht zusammen mit der Behauptung des Bloggers, er habe mit 15 der „Kunden“ persönlich gesprochen – was unmöglich sein dürfte, wenn die 34 jeweils für hunderte ungenannte Händlerunternehmen stehen.

Vermutlich hat so mancher Beobachter, und wohl auch Investor, angesichts dieser verworrenen Sachlage schlicht aufgegeben und auf Mutter Vorsicht gesetzt. Denn immerhin vier Milliarden Euro wurden an Börsenwert vernichtet, nachdem der Wirecard-Kurs nach den FT-Berichten auf Tauchstation ging. Das Aschheimer Unternehmen jedenfalls, nicht faul, legte den FT-Hausjuristen nach eigenen Angaben Dokumente vor, die eine Zusammenarbeit des Bloggers mit Shortsellern und Anti-Wirecard-Spekulanten belegen sollen, was nun die FT wiederum empört zurückwies. Immerhin aber hat die deutsche Finanzaufsicht schon früher im Jahr zeitweise Leerverkäufe untersagt und ermittelt – ebenso die Münchener Staatsanwaltschaft. Das Dax-Unternehmen, im zwanzigsten Jahr seines Bestehens, bietet aber auch Angriffsfläche. Abgesehen davon, dass das Geschäftsmodell hoch komplex ist und so vollständig allenfalls von Mathematikern – wie dem Vorstandsvorsitzenden Markus Braun – völlig durchdrungen wird, gab man sich jetzt noch eine Blöße, als Braun für eine Sonderprüfung plädierte, der Aufsichtsrat aber zunächst dagegen votierte. Einen Tag später wurde dann doch KPMG zu einer außerplanmäßigen Überprüfung herangezogen und soll Zugang zu allem und jedem in der Firma erhalten. Ungemütlich fühlt man sich allgemein sicher wohl auch deswegen, weil die Wirtschaftsprüfer von Ernst und Young (EY) traditionell bei Wirecard wirken und die Bücher stets nicht beanstandeten. Peinlich, wenn nun etwas anderes herauskommen sollte.

Alles aber nicht so schlimm wie ein weiterer unkontrollierter Kursverfall; von Erholung an der Börse kann bei Wirecard auch nicht die Rede sein, das Übel lastet auf dem Unternehmen wie Blei, da kann jede Sonderprüfung nur gut sein. Auf der anderen Seite: Falls es in der Tat nichts zu lamentieren gibt, die vom Vorstand ausgemalten Top-Perspektiven von Wirecard hingegen substantiell sind, dann wäre ein Kursrausch inklusive „Short Squeeze“ fällig. Den gab es ja schon mal, in insgesamt ruhigeren Zeiten. Wobei Wirecard, womöglich auch noch wegen seiner fernen Wurzeln als Finanzabwickler von Spieler- und Porno-Webangeboten, eine stets interessante Angriffsfläche bot. Manches von den frühen Attacken mag sich verselbständigt haben: Weil es halt so schön war, bleibt man eben dabei und verkauft derweil lukrativ im Leergeschäft. Worauf Anleger mit einer gewissen Sicherheit setzen konnten und vielleicht setzen können: Die Volatilität. Die sucht im Dax ihresgleichen.

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