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Ifo-Chef mahnt EU-Reformen an

Die Europäische Union steht vor mehreren Herausforderungen. Die wichtigste unter ihnen ist die Reform der Eurozone. Die konjunkturelle Erholung im Euroraum lässt die Verschuldungskrise in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund treten, aber die institutionelle Architektur der Währungsunion ist weiterhin reformbedürftig, sagt der Präsident des Ifo-Instituts Clemens Fuest.

BÖRSE am Sonntag

Die Europäische Union steht vor mehreren Herausforderungen. Die wichtigste unter ihnen ist die Reform der Eurozone. Die konjunkturelle Erholung im Euroraum lässt die Verschuldungskrise in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund treten, aber die institutionelle Architektur der Währungsunion ist weiterhin reformbedürftig, sagt der Präsident des Ifo-Instituts Clemens Fuest.

Viele Mitgliedstaaten sind nach wie vor hoch verschuldet und wenig wettbewerbsfähig. Es besteht die Gefahr, dass sie der nächsten Krise noch weniger entgegenzusetzen haben als der letzten. Viele Mitgliedstaaten sind nach wie vor hoch verschuldet und wenig wettbewerbsfähig. Es besteht die Gefahr, dass sie der nächsten Krise noch weniger entgegenzusetzen haben als der letzten. In den letzten Monaten sind von verschiedenen Seiten Reformkonzepte auf den Tisch gelegt worden, zuletzt das deutsch-französische Reformkonzept in der Erklärung von Meseberg (vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 2018). In den Debatten über diese Vorschläge sind die bekannten und schon im Laufe der Eurokrise immer wieder diskutierten Differenzen unter den Mitgliedstaaten erneut in den Vordergrund getreten.

Die “nordeuropäische Perspektive”

Acht nordeuropäische Staaten haben in einem Positionspapier zur Reform der Eurozone dargelegt, dass sie in erster Linie die einzelnen Mitgliedstaaten in der Verantwortung sehen, durch Strukturreformen und die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte zu einer stabileren Wirtschaftsentwicklung in der Eurozone beizutragen (vgl. Government Offices of Sweden 2018). Schritte in Richtung gemeinsamer Geldtöpfe und Umverteilungsmechanismen sehen sie kritisch, auch zur Erklärung von Meseberg haben sich einige dieser Staaten kritisch geäußert. Sie betonen die Bedeutung der europäischen Bankenunion, verlangen aber, dass Gespräche über die Schaffung einer gemeinsamen Einlagensicherung (EDIS) erst dann stattfinden, wenn weitere Fortschritte bei der Risikoreduktion im Bankensektor gemacht werden. Dazu zählen sie nicht nur den Abbau notleidender Kredite, sondern auch eine Verringerung der Bestände heimischer Staatsanleihen, die derzeit viele Banken in ihren Büchern haben. Was die Reform des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und dessen eventuelle Verankerung im Unionsrecht angeht, fordern sie, dass eine solche Verankerung an den Stimmrechten nichts ändern darf und dass bei dieser Reform bessere Regelungen zur Restrukturierung von Staatsanleihen überschuldeter Mitgliedstaaten geschaffen werden sollen. Ein solches »Insolvenzverfahren für Staaten« erfordert allerdings ebenfalls, dass sich die Banken weniger in heimischen Staatsanleihen engagieren. Wenn ein Schuldenschnitt zu einer Bankenkrise führt, wird die Politik davor zurückschrecken. Die auch in Deutschland weithin hervorgehobenen Elemente der Euroreform betonen daher die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten, die Bedeutung der Krisenvorbeugung und die Disziplinierung der Politik durch Marktmechanismen sowie das Problem des Moral Hazard als schädliche Nebenwirkung von Umverteilungs- oder Versicherungsmechanismen.

Eine wichtige Rolle spielt außerdem mangelndes Vertrauen in die Verlässlichkeit von Vereinbarungen auf europäischer Ebene. Ein Beispiel dafür ist die Ablehnung von Reformvorschlägen wie etwa European Safe Bonds, die eine regulatorische Förderung der Schaffung »sicherer« Wertpapiere im Euroraum vorsehen. Dieser in verschiedenen Varianten existierende Vorschlag sieht vor, dass private Finanzinstitutionen durch den Erwerb von Staatsanleihen aus allen Euroländern die Tranchierung dieses Portfolios in eine vorrangige und eine nachrangige Tranche durchführen. Die vorrangige Tranche würde den Banken eine sehr sichere Anlagemöglichkeit bieten. Die nachrangige Tranche wäre höher verzinst und für langfristig orientierte und gut diversifizierte Anleger wie Pensionsfonds interessant. In diesem Konzept gibt es keinerlei Solidarhaftung unter den Mitgliedstaaten, und die Marktdisziplin wird sogar gestärkt, weil die Kosten der Restrukturierung der Anleihen überschuldeter Staaten sinken und damit No-Bailin glaubwürdiger wird. Das gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sich die Politik wirklich an die Regeln hält. In einer Krisensituation, in der die Junior Tranche nicht oder nur zu sehr hohen Zinsen absetzbar wäre, würde politischer Druck aufkommen, die Regeln zu brechen. Beispielsweise könnte die Europäische Zentralbank (EZB) argumentieren, dass im Markt für die Junior Tranche Marktversagen herrsche oder der Transmissionsmechanismus der Geldpolitik gestört sei (analog zur Begründung des OMT-Programms (Outright Monetary Transactions)). Dann würden European Safe Bonds zu »Eurobonds durch die Hintertür«. Das mangelnde Vertrauen in Regeltreue ist ein wichtiger Grund dafür, dass prinzipiell nützliche Reformkonzepte nicht zum Zuge kommen.

Kritik trifft ferner die EZB und ihre Rolle in der Krise. Durch verschiedene Maßnahmen, die von einem Verwässern der Qualitätsanforderungen an Sicherheiten über Staatsanleihenkäufe bis hin zum OMT-Programm reichen, hat sie zu einer kurz- bis mittelfristigen Stabilisierung der hoch verschuldeten Banken und Staaten in den Krisenländern beigetragen, allerdings um den Preis, dass der Anpassungsdruck bei Löhnen und privater wie öffentlicher Verschuldung gedämpft wurde. Das hat zu den wachsenden Target-Salden beigetragen; vor allem Deutschland und die Niederlande sind so in eine Gläubigerposition geraten, die ihre Verhandlungsmacht schwächt.

Die “südeuropäische” Perspektive

Die südeuropäischen Mitgliedstaaten der Währungsunion betonen die Fragilität der Eurozone, vor allem der hoch verschuldeten und wirtschaftlich schwächeren Mitgliedstaaten und ihrer Banken, im Fall einer Krise. Wenn einzelne Staaten in einer Währungsunion von einer ökonomischen Krise betroffen sind, haben sie weniger Möglichkeiten und Instrumente, auf die Krise zu reagieren, als Staaten, die eine eigene Währung haben.

Staaten mit eigener Währung können geldpolitische Instrumente einsetzen, ihre Währung kann abwerten. Außerdem besteht bei diesen Staaten nicht die Gefahr, dass ein plötzlicher Vertrauensverlust bei den Gläubigern an den Kapitalmärkten zu einer Zahlungsunfähigkeit des Staates führt, denn die eigene Notenbank kann als »Lender of Last Resort« notfalls unbegrenzt Liquidität zur Verfügung stellen. Das gilt jedenfalls für die Staatsverschuldung in eigener Währung. Auch die eigenen Banken können so glaubwürdig stabilisiert werden, wenn sie unter Druck geraten.

Die Mitgliedstaaten einer Währungsunion haben diese Instrumente nicht und sind deshalb anfälliger für Krisen. Ein Beispiel, um das zu illustrieren, ist ein Vergleich der ökonomischen Entwicklung in Spanien und im Vereinigten Königreich während der Finanz- und der Verschuldungskrise im Euroraum. Beide Staaten hatten vor der Finanzkrise des Jahres 2008 einige Jahre des Booms einschließlich stark steigender Immobilienpreise hinter sich und wiesen niedrige Staatsverschuldungsquoten auf. Beide wurden von der Finanzkrise des Jahres 2008 hart getroffen (in Spanien endete der Boom schon 2007, als die Immobilienblase platzte). In beiden Staaten brach das Wachstum ein, Budgetdefizite schnellten in die Höhe, und der Stand der Staatsverschuldung stieg rasant an.

Der wichtigste Unterschied bestand bei den Zinsen auf Staatsschulden. Sie lagen 2007 in beiden Ländern bei rund 4%. Im Vereinigten Königreich fielen sie im Verlauf der Krise stetig, was die Staatskasse entlastete. In Spanien dagegen stiegen sie mit dem Ausbruch der Griechenland-Krise im Herbst 2009 stark an und erreichten mehr als 7%, bis die EZB mit dem OMT-Programm intervenierte. Die Wirtschaft im Vereinigten Königreich wurde gleichzeitig durch die Abwertung seiner eigenen Währung entlastet. In den darauffolgenden Jahren hat sich die Konjunktur im Vereinigten Königreich langsam aber stetig erholt, während es in Spanien deutlich länger gedauert hat. Auch die Beschäftigungsentwicklung verlief sehr verschieden. Da sich die beiden Länder nicht nur im Hinblick auf die Währung unterscheiden, kann man diese Entwicklung nicht allein auf die Mitgliedschaft Spaniens im Euro zurückführen, aber dass sich Spanien mit einer eigenen Notenbank leichter getan hätte, erscheint unzweifelhaft.

Daher betonen vor allem die südeuropäischen Staaten die Forderung nach mehr Risikoteilung in der europäischen Bankenunion und einer europäischen Fiskalkapazität, die einzelnen Mitgliedstaaten im Krisenfall mit fiskalischen Transfers hilft. Bei der Bankenunion geht es darum, die Regulierung und Beaufsichtigung von Banken, aber auch die Aufgabe ihrer Stabilisierung in Krisen und die Einlagensicherung auf die europäische Ebene zu verlagern.

Die Forderung, den Bestand an Staatsanleihen, die von Banken gehalten werden, abzubauen, sehen die südeuropäischen Staaten kritisch, weil sie einen Anstieg der Zinsen auf ihre Staatsschulden befürchten. Ebenso lehnen sie eine Stärkung der No-Bailout-Klausel durch die genauere Regelung der Restrukturierung von Anleihen überschuldeter Mitgliedstaaten ab. Sie befürchten, dass mehr Marktdisziplin zu einem Vertrauensverlust an den Kapitalmärkten und stark ansteigenden Renditen, wie im frühen Stadium der Eurokrise, führen könnte.

Aus dieser Perspektive sollten sich die Euroreformen darauf konzentrieren, für den Krisenfall Sicherungsvorkehrungen auszubauen, um die Kosten von Krisen, wenn sie einmal eingetreten sind, zu reduzieren. Denn auch bei bester Vorbeugung muss man damit rechnen, dass es auch in Zukunft zu Krisen kommen wird.

Was ist ökonomisch vernünftig und wie könnte eine für beide Seiten akzeptable Architektur des Europaraums aussehen?

Aus ökonomischer Perspektive lassen sich sowohl für mehr Risikoteilung als auch für mehr Marktdisziplin und die Stärkung von Eigenverantwortung und Haftung gute Argumente anführen. Vor allem ist es nicht sachgerecht, diese Prinzipien als einander widersprechende Konzepte zur Gestaltung des Euroraums darzustellen, wie es in der öffentlichen Debatte oft geschieht. Tatsächlich ist beispielsweise eine Haftung privater Gläubiger von Staaten der Währungsunion im Überschuldungsfall dann glaubwürdiger, wenn es ein gewisses Maß an Risikoteilung und Absicherung gibt. Sowohl aus grundsätzlicher ökonomischer Perspektive als auch unter dem Aspekt der politischen Machbarkeit im Sinne der Vereinbarung divergierender Interessen ist ein Reformkonzept erforderlich, wie es etwa von der deutsch-französischen Ökonomengruppe ausgearbeitet wurde (vgl. Bénassy-Quéré et al. 2018): eine Verbindung von Risikoteilung und Marktdisziplin. Keins der beiden Elemente ist entbehrlich.

Quelle: CESifo