Beckmanns Frühwerk erfährt Aufwertung
Die Berlinische Galerie würdigt ihren 40. Geburtstag mit einer fulminanten Max-Beckmann-Schau. Im Zentrum der Ausstellung stehen die Beziehungen des Malers zur Stadt Berlin. Daneben gelingt es dem Museum, den Blick für die Qualität des Frühwerks zu schärfen.
Rund 17 Jahre lang war er ein Berliner: Max Beckmann, dessen Gesamtwerk seit den Kölner und Berlin/Münchner Retrospektiven zum 100. Geburtstag (1984) in über 30 Ausstellungen bis in den letzten thematischen und biographischen Winkel ausgeleuchtet wurde.
Aktuell kann er in der Berlinischen Falerie eine Art Heimkehr feiern. „Max Beckmann und Berlin“ heißt die Ausstellung zum 40. Geburtstag des Museums. Doch man fragt sich, warum nicht schon längst eines der vielen mit Beckmann vertrauten Museen auf den Gedanken gekommen ist, den Ursprüngen und Beziehungen des Malers in der Spreestadt nachzuspüren. Hier hat der gebürtige Leipziger von 1903 bis 1915 gelebt, stand in den Frankfurter Jahren mit seinen Galeristen Israel B. Neumann, Paul Cassirer, Alfred Flechtheim und Karl Buchholz in engem Kontakt und kehrte nach der Entlassung aus der Städelschule 1933 noch einmal für vier Jahre in die Reichshauptstadt zurück.
Ins Exil nach Hitlers Rede
Kurz vorher hatte Ludwig von Justi, Direktor des Berliner Nationalmuseums, im Kronprinzenpalais einen Beckmann-Raum mit zehn Gemälden eingerichtet. Er wird nach der Zwangsversetzung Justis noch vor Jahresende geschlossen, das Kronprinzenpalais wird drei Jahre später liquidiert. Nach einer Rede Hitlers zur Eröffnung des Hauses der Kunst verlassen Beckmann und seine Frau im Juli 1937 Deutschland und gehen ins Amsterdamer Exil.
Beckmann und Berlin: das ist für den Künstler ein kontinuierliches Spannungsfeld, das mit Selbstfindung, Triumph und Verfemung eng verbunden ist. Justi, der gegenüber den Künstlern stets auf seine Unabhängigkeit bei der Auswahl von Bildern pochte, hatte 1926 Beckmanns Gemälde „Die Barke“ zu seinem 60. Geburtstag als Geschenk für die Nationalgalerie empfangen und zwei Jahre später das „Selbstbildnis im Smoking“ angekauft. Es war zwar nicht in der Schandausstellung „Entartete Kunst“ zu sehen, wurde aber nach der Beschlagnahme 1940 vom Busch-Reisinger Museum der Universität Harvard erworben.
Zwei Hauptwerke fehlen
Diese beiden Hauptwerke sind in der Berliner Schau nicht vertreten, dafür aber die „Große Gewitterlandschaft“ von 1932 und die „Fastnacht Paris“ von 1930, die ebenfalls im Beckmann-Raum der Nationalgalerie hingen. Sie zeigen den Maler auf der Höhe seiner Kunst, die sich aus postimpressionistischen und veristischen Anfängen in eine konturenscharfe, an der Dingwirklichkeit orientierte Malweise wandelte, die 1937 in den symbolgeladenen Spätstil mündet. Die Berliner Ausstellung zeichnet diesen Stilwandel chronologisch nach und begleitet ihn mit einigen Werken anderer zeitgenössischer Künstler, die einen Kontrapunkt zu seinem Lebenswerk bilden.
Der Einfluss Edvard Munchs wird in der Zwillingshängung von dessen Graf Kessler-Bild (1905) und Beckmanns Porträt Hanns Rabe (1911) deutlich, das mit der blasierten Attitüde des bürgerlichen Dandy die lässige Eleganz des Vorbilds zu übertrumpfen sucht. Doch schon hier wird, jenseits der Stilsuche, eine kritische Distanz zum Dargestellten sichtbar, die mit den Befindlichkeits-Protokollen der Selbstbildnisse eine stark autobiographische Prägung erhalten.
Die Gruppe der Selbstporträts vom Frühwerk mit Bart (1905), das mit bemühtem Pinselduktus als Probestück wirkt, bis zum desillusionierten Bronzekopf von 1936 bildet in der Ausstellung eine imposante Reihe. Sie vermittelt intensive stilistische und psychologische Einsichten.
Expressiv ohne expressionistisch zu sein
Es ist ein gewaltiger Qualitätssprung, den Beckmann seit seinem ersten Monumentalwerk, dem figurenreichen Gemälde „Junge Männer am Meer“ bis zu dem bedrängend dichten Katastrophenbild „Die Nacht“ von 1918 (Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, nicht in der Ausstellung) machte. Es ist die Wandlung vom Gesuchten – in dem Puvis de Chavannes, Hans von Marées und Ludwig von Hofmann nachwirken – zum Gefundenen, das expressiv ist, ohne expressionistisch zu sein.
Beckmanns Ablehnung des Expressionismus hat vorübergehend zu einer versachlichten Bildsprache geführt, die sich in Stillleben, Porträts und Stadtlandschaften des Jahrzehnts 1921 bis 1931 niederschlägt. Die beiden 1932 bis 1937 in Berlin entstandenen Triptychen „Abfahrt“ und „Versuchung“, deren Versicherung unbezahlbar wäre, werden in einem Aufsatz im Katalog gewürdigt, der auch eine aufschlussreiche Dokumentation der Berliner Beckmann-Aussstellungen 1906 bis 1914 bietet.
Vor dem Ersten Weltkrieg hat er seine erste Einzelausstellung bei Paul Cassirer, die von einer Monographie begleitet wird. 1928 widmet ihm die von Gustav Hartlaub geleitete Hamburger Kunsthalle eine Ausstellung. 1925 erwirbt das Essener Museum Folkwang für 2000 Reichsmark das „Bildnis Minna Beckmann-Tube“. 1930 besitzt das Städelsche Kunstinstitut, mit dessen Direktor Georg Swarzenski der Künstler befreundet ist, nicht weniger als 25 Werke Beckmanns. Die Weltwirtschaftskrise beendet den prosperierenden Teil der Karriere.
Kostspieliger Kirchner
Heute ist Max Beckmann mit Recht als der wichtigste deutsche Künstler des 20. Jahrhunderts zu betrachten, dessen Leistung sich periodisch gesteigert hat. Das unterscheidet ihn von den „Brücke“-Expressionisten, die Repräsentanten einer umgekehrten Entwicklung sind. So ist Kirchner charakteristischerweise mit dem schon 1913 entstandenen Hauptwerk „Potsdamer Platz“, das 2006 bei Christie's 38 Millionen Dollar einspielte, der teuerste Künstler der Epoche.
Aber die 22,5 Millionen Dollar, die Beckmanns 1938 datiertes „Selbstbildnis mit Horn“ 2002 bei Sotheby's erlöste, können sich auch sehen lassen. Beide Bilder wurden von dem New Yorker Sammler Ronald Lauder für seine Neue Galerie erworben. Das Selbstbildnis kam aus der Sammlung des mit 90 Jahren verstorbenen kalifornischen Beckmann-Förderers Stephan Lackner, aus dessen Nachlass 2002 noch sieben weitere, weniger aufregende Werke zu Preisen bis 11,4 Millionen Dollar bei Sotheby's versteigert wurden.
Weltmarktpreise für die mittlere Schaffensphase
Die Wegmarken bis zu diesem Beckmann-Auktionsrekord, der noch heute gilt, sind eher verhalten. Anfang der 1990er Jahre-liegen die Höchstnotierungen bei 5 Millionen Dollar, die der Zürcher Kunsthändler Thomas Ammann für das 1948 datierte „Selbstbildnis mit dunkelblauen Handschuhen“ forderte und bei den 6,9 Millionen Euro, die der Düsseldorfer Kunsthändler Wolfgang Wittrock 1991 für die 1934 in Berlin entstandene „Reise auf dem Fisch“ verlangte. Sie wanderte anschließend in die Stuttgarter Staatsgalerie.
2001 geht das in Berlin begonnene, 1937 in Amsterdam vollendete Gemälde „Der Matrose“ bei Christie's zurück und wird ein Jahr später von dem New Yorker Händler Richard Feigen für 8,8 Millionen Dollar angeboten. Im Mai 2005 wird bei Sotheby's das heraldische „Selbstbildnis mit Glaskugel“ für 16,8 Millionen Dollar zugeschlagen. Die Londoner Galerie Marlborough verlangt auf Maastrichter Messe 2007 für das 1932 datierte „Selbstbildnis im Hotel“ über 30 Millionen Dollar. Aus diesen Zahlen lässt sich ablesen, dass es vor allem Werke der mittleren Schaffensphase und der späteren Berliner Periode sind, die Weltmarktpreise erzielen.
Qualität im Frühwerk
Die Berliner Frühzeit bis 1915 mit ihren tastenden Porträts, ihrem zum Teil aufdringlichen und gedrängten Figurenarsenal, in dem Corinth mitschwingt („Sintflut“, 1908), ihren vagen Städtebildern ist nicht jedermanns Sache. Und doch gibt es auch in dieser Periode bewegende Werke wie das „Doppelbildnis Max Beckmann und Minna Tube“ (1909) und die große Vertikalkomposition „Die Straße“ von 1914, in der sich der Maler als skeptischer Passant darstellt. Den Blick für die Qualität im Frühwerk zu öffnen, ist einer der nobelsten Aspekte dieser Ausstellung. Handelsblatt / Christian Herchenröder
„Max Beckmann und Berlin“. Berlinische Galerie, Berlin, bis 15. Februar 2016. Katalog im Verlag Kerber, 34,80 Euro