Freihandel: Garant des globalen Wohlstands
Nicht nur in den USA, auch in Europa gewinnen Globalisierungskritiker an Einfluss. Dabei bestehen am positiven Wohlstandseffekt eines freien und fairen Welthandels kaum Zweifel. Länder, die mehr Protektionismus anstreben, könnten langfristig verlieren – zumal asiatische Staaten bereitstehen, um Handelslücken blitzschnell zu schließen.
Nicht nur in den USA, auch in Europa gewinnen Globalisierungskritiker an Einfluss. Dabei bestehen am positiven Wohlstandseffekt eines freien und fairen Welthandels kaum Zweifel. Länder, die mehr Protektionismus anstreben, könnten langfristig verlieren – zumal asiatische Staaten bereitstehen, um Handelslücken blitzschnell zu schließen.
Von Ulrich Stephan
Geht es um die Entwicklung der Konjunktur und deren Treiber, sind sich selbst renommierte Ökonomen nicht immer ganz einig. Vielmehr führen verschiedene Modelle und Sichtweisen häufig zu unterschiedlichen Ergebnissen. Beispielsweise wurde im Nachgang der Finanzkrise die Frage aufgeworfen, ob sich die entwickelten Volkswirtschaften am Anfang einer langfristigen Stagnation oder nur in einer temporären konjunkturellen Schwächephase befunden haben.
Betrachtet man die aktuellen Wirtschaftsdaten, kann es jedoch kaum zwei Meinungen geben: Die Stimmung in den Unternehmen ist weltweit gut, Gewinne und Investitionstätigkeit ziehen an. Gleichzeitig sinkt die Arbeitslosigkeit in vielen Ländern und die Löhne steigen allmählich. Es scheint also alles bereitet für ein weiteres starkes Jahr für die Weltwirtschaft. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet für 2018 mit einem Wachstumsplus von 3,9 Prozent – das wäre der stärkste Anstieg seit 2011. Ein maßgeblicher Treiber dieser Entwicklung dürfte der Welthandel sein. Denn der internationale Warenaustausch boomt und könnte laut IWF 2018 mit 4,6 Prozent annähernd so stark wachsen wie 2017.
Zunehmender Protektionismus schwächt den Welthandel
Was den Ökonomen aktuell dennoch Sorgenfalten auf die Stirn treibt, ist die zunehmende Akzeptanz protektionistischer Strömungen insbesondere in den Industrieländern. Zwar begrenzen Einfuhrzölle oder Exportsubventionen seit jeher den freien Warenverkehr. Zudem ist es keinesfalls so, dass sich alle entwickelten Volkswirtschaften vom internationalen Handel zurückziehen würden – beste Beispiele für eine weitere Öffnung der Wirtschaft sind das vorläufige Inkrafttreten des europäisch-kanadischen Freihandelsabkommens CETA im September 2017 und die Fortschritte in den JEFTA-Verhandlungen (Japan-EU Free Trade Agreement). Doch spätestens mit der EU-Austrittsentscheidung der Briten 2016 und dem Amtsantritt Donald Trumps in den USA 2017 haben die Herausforderungen für den Welthandel eine neue Dimension erreicht.
Vor allen Dingen Trumps Abkehr von Freihandelsabkommen wie TPP (Transpazifische Partnerschaft), TTIP (Transatlantisches Freihandelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union) und seine Kritik an der NAFTA (Nordamerikanisches Freihandelsabkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko) geben Anlass zur Beunruhigung. Denn in einem Punkt sind sich die allermeisten Ökonomen bereits seit rund 200 Jahren einig: Ein freier Warenverkehr – und damit Arbeitsteilung und Spezialisierung im großen Maßstab – hat insgesamt einen positiven Einfluss auf die Wohlstandsentwicklung der beteiligten Länder. Weniger Handel bedeutet im Umkehrschluss weniger Wachstum und damit weniger Wohlstand.
Theoretisch begründet hat diesen Zusammenhang bereits Anfang des 19. Jahrhunderts der britische Ökonom David Ricardo. Seine Theorie des „komparativen Kostenvorteils“ besagt, dass zwei Länder den größtmöglichen Ertrag erzielen, wenn sie sich jeweils auf die Herstellung von Gütern spezialisieren, die sie im Vergleich zu ihrem Handelspartner mit einem relativen Kostenvorteil produzieren können – und die anderen Güter von diesem importieren.
Selbstverständlich haben sich die internationalen Handelsbeziehungen seit Ricardos Zeit verändert und es scheint wenig ratsam, den Warenaustausch zwischen zwei Volkswirtschaften allein anhand der Arbeitsproduktivität zu betrachten. Einem Realitätscheck hält Ricardos Theorie im Grundsatz aber noch heute stand. Nicht umsonst diente sie einflussreichen moderneren Außenhandelstheorien als Grundlage. Etwa der „Neuen Handelstheorie“ des US-Ökonomen Paul Krugman aus den 1980er-Jahren, die den zu jener Zeit weltweit klar dominierenden Handel zwischen gut entwickelten Volkswirtschaften mit ganz ähnlichen Produktionsstrukturen untersuchte und wie Ricardo zu dem Ergebnis kommt, dass Handel den allgemeinen Wohlstand fördert.
Erfolgreiche Globalisierung braucht einen Ordnungsrahmen
Aus heutiger Sicht besonders interessant ist zudem die Arbeit der schwedischen Ökonomen Eli Heckscher und Bertil Ohlin aus den 1930er-Jahren. Denn das nach ihnen benannte Theorem beschreibt den Handel zwischen unterschiedlichen Volkswirtschaften, also Industrie- und Schwellenländern – ein Aspekt, der insbesondere mit dem Aufstieg Chinas zur Wirtschaftssupermacht zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. Demnach exportiert jedes Land die Güter, die es aufgrund seiner Ausstattung mit Produktionsfaktoren – zum Beispiel Maschinen, Arbeitskräfte, Rohstoffe – am besten herstellen kann: die Industrieländer klassischerweise kapitalintensive Güter, Schwellenländer aufgrund ihres niedrigeren Lohnniveaus eher arbeitsintensive Produkte. Im Endeffekt profitieren auch beim Modell von Heckscher und Ohlin alle beteiligten Volkswirtschaften.
Allerdings gibt es dabei eine nicht zu unterschätzende Herausforderung zu meistern: Wenn die arbeitsintensiven Güter zunehmend in Niedriglohnländern hergestellt werden, besteht in einer globalisierten Welt in den entwickelten Hochlohnländern immer weniger Bedarf an entsprechenden Arbeitsplätzen. Zu beobachten war diese Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten beispielhaft in der US-Stahlindustrie, die mit der Niedriglohn-Konkurrenz aus zunächst Japan und später China oder Brasilien nicht mithalten konnte.
Das Industrieland hat nun zwei Möglichkeiten, auf diese Herausforderung zu reagieren: Entweder es sorgt dafür, dass die betroffenen Menschen in einem starken sozialen Netz aufgefangen werden – kurzfristig durch Transferleistungen, langfristig zum Beispiel durch eine Bildungspolitik, die ihnen die Teilnahme am Arbeitsmarkt wieder ermöglicht. Oder – und das ist aus meiner Sicht die deutlich schlechtere Möglichkeit – das Industrieland schottet sich gegen die Konkurrenz aus dem Niedriglohnland ab.
Allen voran die USA scheinen unter Donald Trump mit einiger Vehemenz den zweiten Weg beschreiten zu wollen – nicht nur im Fall von Stahl und nicht nur hinsichtlich einzelner Handelspartner. „Wir müssen unsere Industrie schützen, und das beginnt an der Grenze“, ließ Trump im vergangenen Sommer zu Beginn seiner „Made in America Week“ verlauten. Eine Aussage, die verständlicherweise gut ankommt in den gebeutelten Industriestandorten der USA, meines Erachtens aber in die völlig falsche Richtung weist. Denn sie mag zwar kurzfristig Wunden heilen, verhindert langfristig jedoch einen dringend notwendigen Strukturwandel. Das Münchener ifo-Institut hat berechnet, dass die unter dem Slogan „America first“ laufende Abschottungspolitik den USA im ungünstigsten Fall auf lange Sicht mehr als zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts kosten könnte – nach heutigen Preisen wären das rund 400 Milliarden US-Dollar jährlich.
Asiatische Länder stehen bereit, von Industrieländern zu übernehmen
Nun könnte man außerhalb der USA einwenden: Die Wirtschaft läuft doch gut, was interessieren uns die Pläne von Donald Trump? Zum einen trifft Protektionismus in einer globalisierten Welt langfristig alle Volkswirtschaften – zumal bei einem solchen Schwergewicht wie den USA. Zum anderen sind protektionistische Tendenzen kein rein US-amerikanisches Phänomen. Auch in Europa ist die Skepsis gegenüber der Globalisierung salonfähig geworden. Das könnte die ohnehin bereits zu beobachtende Verschiebung der ökonomischen Machtverhältnisse insbesondere in Richtung Asien noch beschleunigen. Denn anders als in den Industrieländern sieht man dort den Freihandel mehr und mehr als Entwicklungschance und scheint gerüstet und willens, mögliche Handelslücken teilweise zu schließen: Die geplante größte Freihandelszone der Welt zwischen den zehn ASEAN-Staaten, China, Indien, Japan, Südkorea sowie Australien und Neuseeland (RCEP, Regional Comprehensive Economic Partnership) ist nur ein Beleg dafür. Sie würde 3 Milliarden Menschen umfassen und für 40 Prozent des Welthandels stehen.
Meines Erachtens ist es daher dringend notwendig, dass die Politik in den Industrieländern ein klares Zeichen gegen ein weiteres Voranschreiten des Protektionismus setzt – auch in Deutschland. Das wäre nicht nur zu ihrem eigenen Vorteil, sondern im Sinne der globalen Wirtschaftsentwicklung und damit aller beteiligten Länder.
Dr. Ulrich Stephan ist Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank.