Patti Smith: Punk ist mehr als Musik!
Waltraud Meier und Patti Smith – zwei Welten, scheinbar. Doch die Botschaften sind vergleichbar. Als die Miterfinderin des wahren Punk, Patti Smith, jüngst im Münchner Tollwood-Zelt auftrat, hatte sie am Abend zuvor die letzte „Isolde“ gesehen, die die weltweit berühmteste Interpretin dieser Rolle, Waltraud Meier, am Abend zuvor gegeben hatte: in der Inszenierung von Peter Konwitschny in der Münchner Staatsoper. Der Punk-Auftritt – und Punk ist mehr als Musik! – von Patti Smith stand damit unter dem Zeichen von Wagner „Tristan und Isolde“.
Waltraud Meier und Patti Smith – zwei Welten, scheinbar. Doch die Botschaften sind vergleichbar. Als die Miterfinderin des wahren Punk, Patti Smith, jüngst im Münchner Tollwood-Zelt auftrat, hatte sie am Abend zuvor die letzte „Isolde“ gesehen, die die weltweit berühmteste Interpretin dieser Rolle, Waltraud Meier, am Abend zuvor gegeben hatte: in der Inszenierung von Peter Konwitschny in der Münchner Staatsoper. Der Punk-Auftritt – und Punk ist mehr als Musik! – von Patti Smith stand damit unter dem Zeichen von Wagner „Tristan und Isolde“.
Dresden, Berlin, Winterbach, im Oktober im benachbarten Utrecht sowie in Amsterdam
Dabei ist sie es, die München verzaubert - zumindest die randvolle Musikarena auf dem Tollwood Sommerfestival. Patti Smith, die ergraute aber kein Stück ermüdete Heldin des Rock, die Patin des Punk und Rebellin der Poesie, sie spielt dort mit ihrer Band ihr Debütalbum "Horses" aus dem Jahr 1975, als Feier zum 40-Jährigen der Platte also. Schon bei den ersten Silben aus ihrer Kehle wird das klar. "Jesus died for somebody's sins but not mine", singt sie, noch langsamer, gedehnter und provozierender als auf dem Album. "Gloria" ist ein fulminanter Einstieg. Zwar klingen die Gitarre und der Bass etwas brav, das werden sie abgesehen von einigen Soli auch im Laufe des Konzerts. Aber Patti Smith wiegt mit ihrer Stimme alles auf: Sie singt und schreit, sie brummt und quietscht, sie grölt und spricht, sie flucht und fleht. Man muss fasziniert sein, wie frisch und intensiv sie diese Platte noch singt. Für die letzten Töne des Songs stellt sie einen Fuß auf eine Monitorbox am vorderen Bühnenrand, die Hose spannt sich übers Knie, die Spitze des schwarzen Lederstiefels zeigt nach oben, die weiße Mähne wiegt sie im Bühnenlicht. So steht sie da, 68 Jahre, ungeschminkt, Queen of Cool.
Patti Smith und ihre Band, die Urmitglieder Lenny Kaye (Gitarre) und Jay Dee Daugherty (Drums) sowie Keyboarder Tony Shanahan und Jack Petruzzeli (Bass und Gitarre) spielen "Horses" am Stück. Der zweite Höhepunkt: das bewegende Stück "Free Money", der Traum vom Geld, den die einst so verarmte Künstlerin vor ihrem großen Erfolg träumte. Vom Geld, das sie nicht mal für sich ausgeben würde, sondern für ihn: den Fotografen Robert Mapplethorpe, ihren langjährigen Freund und Partner, der sie auch für das Cover von "Horses" fotografierte, im androgynen Look, fordernd, aufmüpfig und unerhört cool. Ein Foto, das zu einer Ikone wurde.
In der zweiten Hälfte kracht es richtig
Den letzten Song des Albums, "Elegie", widmet sie auch Robert Mapplethorpe. Sie hat diesen Song einst in der Erinnerung an Jimi Hendrix geschrieben, jetzt zählt sie Tote auf, derer sie heute damit gedenken will. Auch Fred "Sonic" Smith ist dabei, ihr verstorbener Ehemann. Das Publikum beklatscht vor allem Mapplethorpes Namen. Dann ist "Elegie" vorbei. Und jetzt? "Mei, sie hat uns das Album versprochen, gell?", sagt ein Mann im Publikum vorauseilend. Aber hier ist jemand noch lange nicht soweit, um von der Bühne zu gehen.
Stattdessen kracht es richtig. Es heißt oft, Patti Smiths Musik sei kein Punk, sie habe nur den Weg bereitet für den Punk. Von wegen. In der zweiten Hälfte des Konzerts, das aus Stücken abseits von "Horses" besteht, dreht Smith erst richtig auf. Es kommen Songs wie "Privilege (Set Me Free)", "Summer Cannibals" und ein Medley von Velvet Underground, der Lieblingsband der Gruppe, wie Gitarrist Lenny Kaye sagt. Patti Smith geht mehrmals von der Bühne und lässt die Musiker allein werkeln, um dann mit umso mehr Kraft zurückzukommen. Sie wirbelt über die Bühne, schüttelt ihrem Gitarristen ein Solo regelrecht heraus, winkt fein und erzählt von ihrer Liebe zum Gesang der deutschen Mezzosopranistin Waltraud Meier, spuckt unfein und brüllt "fucking freedom", wirft das Mikro auf den Boden, tanzt und reckt die Faust in die Höhe. Immer wieder legt sie ihre Worte aber auch berührend behutsam ins Mikrofon. Ihre Texte sind Poesie, nichts Erdachtes, sondern etwas Erfühltes. Das spürt man in diesen Momenten.
Das Finale fällt furios aus: "My Generation", das Cover von The Who, das bei der CD-Version von "Horses" als Bonustrack drauf ist. Smith trägt jetzt eine Gitarre, die sie mehr schlägt als spielt. Sie kauert sich vor den Verstärker, bis die Rückkopplungen fiepen, sie haut in die Saiten, dass sie auf den Bundstäbchen klappern. Dann hält sie die Gitarre neben sich und packt zu: Eine Saite nach der anderen reißt sie aus, bis nur noch die tiefe E-Saite übrig ist. "Das ist die Waffe meiner Generation", ruft Patti Smith und hebt die Gitarre noch ein Stück, reißt auch die letzte Saite, küsst den Gitarrenhals und lehnt das verwundete Instrument, das eine letzte, fast sanfte Rückkopplung summt, an das Schlagzeugpodest.