Warum politische Unruhen die Börsen nicht mehr beunruhigen
Trotz Brexit, Terrorbedrohung, Schuldenkrise in Griechenland, maroder Banken in Südeuropa und auch manch neuer Akzente in der US-Politik seit der Wahl Donald Trumps kennen die Börsen nur eine Richtung: nach oben. Die Notenbanken drucken billiges Geld, daher gibt es zu Aktien momentan keine Alternative. Eine Bestandsaufnahme von Thomas Soltau.
Trotz Brexit, Terrorbedrohung, Schuldenkrise in Griechenland, maroder Banken in Südeuropa und auch manch neuer Akzente in der US-Politik seit der Wahl Donald Trumps kennen die Börsen nur eine Richtung: nach oben. Die Notenbanken drucken billiges Geld, daher gibt es zu Aktien momentan keine Alternative.
Von Thomas Soltau
Die Wähler haben in den vergangenen zwölf Monaten des Öfteren überrascht: Erst kam der Brexit, kurz darauf wurde Trump gewählt. Doch auch die Politik selbst sorgte für zahlreiche Unsicherheiten, wie etwa mit dem vermeintlichen Putschversuch in der Türkei, in dessen Folge sich das Land immer mehr von der internationalen Staatengemeinschaft isolierte. Die Frankreich-Wahl blieb lange spannend, weil nach den deutlich falschen Prognosen bei diversen Wahlen in der Vergangenheit niemand vorhersagen konnte oder wollte, wie viele Stimmen Marine Le Pen von den Franzosen bekommt.
Die Schuldenkrise in Griechenland schwelt weiter vor sich hin. In regelmäßigen Abständen liest man über provisorische Einigungen zwischen IWF und den europäischen Institutionen. Doch eine dauerhafte Lösung oder gar ein Ende der Schuldenkrise ist nicht einmal im Entferntesten erkennbar. In Italien geraten dafür die Banken immer stärker unter Druck, die Liste der maroden Institute wird gefühlt jeden Tag länger. Entgegen der EU-Regularien wurde bislang immer ein Weg gefunden, die Geldhäuser doch mit staatlichen Mitteln am Leben zu erhalten. Da überrascht die Meldung, dass Brüssel aktuell die Rettung der beiden venezianischen Krisenbanken Popolare di Vicenza und Veneto Banca mit Steuergeldern untersagt hat, wie italienische Medien berichten. Sie werden offenbar in „Good Bank“ und „Bad Bank“ aufgeteilt. Auch Spaniens Banken ächzen unter ihren faulen Krediten.
Als wäre das noch nicht genug, kommt es regelmäßig zu tatsächlichen und verhinderten Terroranschlägen in Europa. Zahlreiche Staaten haben ihre Terrorwarnstufe erhöht und Frankreich befindet sich bereits so lange im Ausnahmezustand, dass dieser Normalität geworden ist. Dennoch geschieht durchaus Erstaunliches: Trotz wirtschaftlicher Krisen und politischer bzw. geopolitischer Unsicherheiten boomen die Börsen, in regelmäßigen Abständen werden neue Rekordstände gemeldet. In Deutschland wird bald erstmals mit dem Durchbrechen der 13.000-Punkte-Marke beim Dax gerechnet. Auch der Dow Jones hat sich alleine seit 2012 um ganze 70 Prozent gesteigert und zu Beginn des Jahres erstmals die 20.000-Punkte-Marke durchbrochen – mittlerweile steht er bei rund 21.500 Punkten (Stand: 20. Juni 2017).
Es scheint, dass kein Ereignis die Märkte mehr schockieren kann. Die Politik ist offenbar kein Gratmesser mehr für Investitionsentscheidungen der Anleger. Die gute Stimmung ist auch nicht auf Regionen begrenzt: Die Aussichten sind global überwiegend positiv, blickt man nach Asien, Europa oder in Richtung Schwellenländer. In den USA wird man zwar langsam vorsichtiger, dennoch scheint das Wachstum ungebremst zu sein. Dazu passt, dass die europäische Statistikbehörde Eurostat ihre Wachstumsprognose für die Wirtschaft Europas aktuell nach oben korrigiert hat. Ein derart starkes Wachstum konnte zuletzt vor zwei Jahren beobachtet werden.
Was können die Gründe für den ungebremsten Börsenboom sein?
Der stärkste Treiber ist mit Sicherheit das billige Geld, das die Notenbanken seit Jahren in den Markt pumpen. Mit Niedrigstzinsen und QE, dem billionenschweren Aufkaufprogramm, wird dieser mit Liquidität versorgt. Weil andere Anlageformen nichts mehr abwerfen und die Sparer, aber auch die Großinvestoren, massiv unter Druck geraten, fließt das Geld in die Aktienmärkte. Zwar erhöht die US-Notenbank Fed die Zinsen wieder schrittweise, doch im Euroraum ist das nicht absehbar. Wer den Worten von Draghi folgt, wird schnell heraushören, dass sich an der Zins-Situation so schnell nichts ändern wird. Der einzige Ausweg aus dem Dilemma sind daher Aktien und Aktienfonds, zu denen es momentan keine Alternative gibt. Trotz politischer Unsicherheit herrscht hier Unbekümmertheit.
Natürlich ist nicht absehbar, wann die nächste große Korrektur an den Märkten erfolgt. Nach Meinung zahlreicher Marktkenner ist es durchaus denkbar, dass die Kurse noch einige Zeit steigen werden. Denn die Gewinnmeldungen vieler Unternehmen sind durchaus solide. Oft verwechselten Investoren nämlich die schwierige Lage eines Staates mit der individuellen Aufstellung der dort heimischen Firmen.
Man könnte daher meinen, dass die Hausse vermehrt Anleger anzieht, die sich aus dem Zinstief befreien wollen. Doch überraschenderweise sinkt gerade in Deutschland die Zahl der Aktionäre. Laut Deutschem Aktieninstitut (DAI) investierte im Jahr 2016 nur jeder siebente Bundesbürger in Aktien und/oder Fonds, das entspricht neun Millionen Aktionären und stellt keine Veränderung zum Vorjahr dar. Nimmt man die Zahl der über 14-Jährigen, so investieren 14 Prozent der Bevölkerung in Deutschland am Aktienmarkt. Zum Vergleich: In den USA liegt der Anteil bei stolzen 52 Prozent.
So profitieren momentan vor allem institutionelle Anleger von dem Börsenboom, die noch dazu verstärkt aus dem Ausland kommen. Der Großteil der Aktien von Dax-Unternehmen liegt in den Händen von nicht heimischen Investoren. Daher ist es gerade in Zeiten von Niedrigzinsen und drohender Altersarmut wichtig, dass die wirtschaftliche und finanzwirtschaftliche Bildung bereits in der Schule ansetzt. Anderenfalls kann die große Mehrheit der Deutschen, die weiterhin nur aufs Sparbuch setzt, weiter beim Abschmelzen seines Vermögens zuschauen, während der Rest der Welt den Börsenboom feiert.
Thomas Soltau von FondsDiscount.de ist der Vorsitzende der wallstreet:online capital AG mit Sitz in Berlin.