3 Gründe, warum es in China nicht zu einer Finanzkrise kommen sollte
Die drohende Pleite des Immobilienriesen Evergrande, die staatlichen Regulierungen im Tech-Sektor und die immer lauter werdenden Drohungen in Richtung Taiwan, schüren bei Anlegern die Angst vor einer chinesischen Finanzkrise, die sodann auch eine globale würde. Warum es dazu wahrscheinlich nicht kommt, erklärt die US-Bank J.P. Morgan.
Die drohende Pleite des Immobilienriesen Evergrande, die staatlichen Regulierungen im Tech-Sektor und die immer lauter werdenden Drohungen in Richtung Taiwan, schüren bei Anlegern die Angst vor einer chinesischen Finanzkrise, die sodann auch eine globale würde. Warum es dazu wahrscheinlich nicht kommt, erklärt die US-Bank J.P. Morgan.
In diesem Jahr mussten Anleger in China bereits zahlreiche Hiobsbotschaften verkraften: Staatliche Regulierungsmaßnahmen und eine nachlassende Dynamik im Wirtschaftswachstum schickten den chinesischen Aktienmarkt seit Mitte Februar auf Talfahrt. Der MSCI China hat von seinem Allzeithoch bis Ende September rund 30 Prozent an Wert verloren. In diesem schon negativen Umfeld schürten die Nachrichten über die finanziellen Probleme eines der größten Bauträger des Landes Ängste, dass China am Rande einer großen Finanzkrise stehen könnte. Nach Ansicht von Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management in Frankfurt, sprechen jedoch verschiedene Gründe dagegen, dass sich aus der Evergrande-Krise eine Finanzkrise entwickeln könnte. Anleger müssten sich allerdings darauf einstellen, dass die Unruhe am chinesischen Aktienmarkt in den nächsten Monaten weiter anhalten könnte.
Übertreibungen am chinesischen Immobilienmarkt
„Das rasante Wachstum des chinesischen Immobilienmarktes hat schon seit einigen Jahren den Argwohn von Investoren befördert“, stellt Tilmann Galler fest. Die jährlichen Investitionen in den Wohnungsbau der letzten zehn Jahre beliefen sich durchschnittlich auf knapp zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Im Vergleich dazu mutet nach Analyse des Marktexperten das Investitionsniveau der USA am Höhepunkt der Immobilienblase im Jahre 2005 mit sechs Prozent bescheiden an. Was das Preisniveau betrifft gehören chinesische Städte heute zu den teuersten der Welt: Der durchschnittliche Wohnungspreis in Shanghai beträgt das 33-fache des jährlichen verfügbaren Median-Familieneinkommens, während das Preis-Einkommensverhältnis in München beim 15-fachen liegt. Das hohe Preis-Einkommensverhältnis müsse man nach Einschätzung von Tilmann Galler dahingehend relativieren, dass die Steigerungsraten des verfügbaren Einkommens mit über 8 Prozent pro Jahr in China jedoch viel höher sind als in Deutschland.
Schärfere Regulierung und restriktivere Kreditvergabe als Folge
Die Entwicklungen und Übertreibungen am Immobilienmarkt haben die Regierung demnach dazu bewogen, dem Sektor die regulatorischen Zügel anzulegen, um die wachsende Verschuldung zu bremsen. „Seit Jahresanfang haben zusätzlich die Banken die expansive Kreditvergabe zur Bekämpfung der Pandemie beendet, um die zukünftige makroökonomische Stabilität Chinas nicht zu gefährden. Die Notwendigkeit, Verbindlichkeiten zu reduzieren, verbunden mit dem Mangel an Refinanzierungsmöglichkeiten, haben vor allen den Bauträger Evergrande mit Gesamtverbindlichkeiten von 300 Milliarden USD in ernste Schwierigkeiten gebracht“, erklärt Galler.
Selbst wenn die absolute Zahl der Verbindlichkeiten sehr hoch erscheine, ist sie aus Sicht von Ökonom Galler im Verhältnis zum BIP Chinas relativ klein. Ähnlich sei das auch im Verhältnis zu den ausstehenden Krediten der Banken im Volumen von 30 Billionen US-Dollar. „Isoliert betrachtet ist bei einem Zusammenbruch von Evergrande der Schock für das Finanzsystem deshalb eher moderat. Die Risikolage ist aber eine andere, sollte sich die Krise auf den ganzen Sektor ausbreiten. Dann könnte die Höhe der Verbindlichkeiten der gesamten Bauträgerbranche von 39 Prozent des BIP eine Finanzkrise auszulösen“, sagt Galler.
Chinesische Regierung hat es in der Hand, eine „harte Landung“ zu verhindern
Drei Argumente sprächen jedoch gegen das Auslösen einer Finanzkrise. Erstens sei Evergrande nicht repräsentativ für die Branche. „Kaum ein anderes Unternehmen hat in den letzten Jahren so aggressiv expandiert und damit so risikoreich agiert. Die Verbindlichkeiten sind von 2010 bis 2020 um das 25-fache gestiegen. In der Branche der Bauträger insgesamt hingegen nur um das 6-fache“, stellt Tilmann Galler fest. Zweitens hätten die großen chinesischen Banken durch den maximalen Beleihungssatz von 60 Prozent beim Immobilienkauf einen ordentlichen Bewertungspuffer gegen fallende Immobilienpreise. Zusätzlich ist ihr aktuelles Kreditbuch mit 1,8 Prozent vom Kreditvolumen nur moderat durch notleidende Kredite belastet. Entsprechend sollten die Banken in der Lage sein, auch einen größeren Schock aus dem Immobilienmarkt zu absorbieren. Drittens dürfte die Regierung einen finanziellen Schutzwall um die angeschlagenen Immobilienentwickler errichten, um im Fall von einer Pleite die negativen Folgen für betroffene Wohnungskäufer, Bau- und Handwerksunternehmen und Banken zu reduzieren und damit eine „harte Landung“ zu verhindern.
Für Anleger stehen nach Meinung von Tilmann Galler allerdings weiterhin schwankungsreiche Zeiten an: „Bis sich die Lage in diesem für die chinesische Wirtschaft so wichtigen Sektor wieder beruhigt hat, dürfte in den kommenden Monaten noch die eine oder andere unerfreuliche Nachricht für Unruhe an den Aktienmärkten sorgen. Doch auch wenn der ökonomische Riese China momentan wankt – fallen wird er nach unserer Ansicht nicht“, ist Galler überzeugt. Damit hätten nach den Kursverlusten der vergangenen Monate chinesische Aktien wieder an Attraktivität gewonnen. „Dass Immobilienkrisen für Anleger auch gute Einstiegszeitpunkte sein können, hat uns schon die Finanzkrise 2008 gezeigt. Die langfristigen strukturellen Treiber des asiatischen Jahrzehnts wie etwa die stark wachsende Mittelschicht, aber auch das Etablieren regionaler Freihandelszonen, bleiben weiterhin ungebrochen“, so das Fazit des Kapitalmarktexperten.