6 entscheidende Fragen zur US-Politik und den Wirtschaftsaussichten
Laut Fed dürfte die US-Wirtschaft in diesem Quartal um bis zu 30 Prozent schrumpfen. Wie schnell es wieder bergauf gehen könnte und worauf Anleger jetzt achten müssen, erklärt uns Libby Cantrill, PIMCO Head of Public Policy.
Laut Fed dürfte die US-Wirtschaft in diesem Quartal um bis zu 30 Prozent schrumpfen. Wie schnell es wieder bergauf gehen könnte und worauf Anleger jetzt achten müssen, erklärt uns Libby Cantrill, PIMCO Head of Public Policy.
Libby Cantrill, PIMCO Head of Public Policy.
1) Der US-Kongress hat unlängst die umfangreichsten Konjunkturprogramme in der Geschichte der Vereinigten Staaten verabschiedet. Was beinhalten diese, und was kommt als nächstes?
Während der zurückliegenden acht Wochen legte der Kongress vier separate Hilfsprogramme in einem Gesamtvolumen von knapp 2,9 Billionen US-Dollar auf – mehr als das Zweifache der Mittel, die nach der Finanzkrise 2008 zur Konjunkturbelebung mobilisiert wurden. Die Maßnahmen beinhalten rund 720 Milliarden US-Dollar an Finanzmitteln für kleine Unternehmen, 500 Milliarden US-Dollar für Privatpersonen, knapp 300 Milliarden US-Dollar für die Arbeitslosenunterstützung, mehr als 250 Milliarden US-Dollar für das Gesundheitswesen sowie 150 Milliarden US-Dollar für Bundesstaaten und Gemeinden. Alles in allem kommt die politische Antwort rund 14 Prozent des US-BIP gleich. Während diese Ausgaben exklusiv über das Haushaltsdefizit finanziert werden – das sich in diesem Kalenderjahr nach unseren Schätzungen auf mehr als 4 Billionen US-Dollar aufblähen dürfte – haben sich die US-Zinsen kaum bewegt. Dies ist zum Teil dem Ankauf von Wertpapieren durch die US-Notenbank Fed geschuldet ebenso wie der robusten Nachfrage nach US-Staatsanleihen von Anlegern auf der Suche nach einer vermeintlich sicheren Anlage.
Trotz dieser außerordentlichen Hilfsmaßnahmen wird im Kongress bereits das nächste Gesetzespaket zur wirtschaftlichen Entlastung („Phase 4“) diskutiert. Doch während Phase 4 auf größeren parteipolitischen Widerstand stoßen dürfte, insbesondere hinsichtlich der strittigen Frage um die staatliche Finanzierung, geht es in Bezug auf ein weiteres Hilfspaket wohl eher um die Frage ‚wann‘ und nicht ‚ob‘. Es könnte bereits im Juni so weit sein.
Phase 4 könnte zusätzliche Gelder für Bundesstaaten und Kommunen vorsehen, weitere Unterstützung für das übermäßig beanspruchte Darlehensprogramm für kleine Unternehmen (Paycheck Protection Program) sowie vermutlich eine weitere Runde von Hilfsschecks an Privatpersonen. Alles in allem könnte Phase 4, obschon das Programm unserer Einschätzung nach von geringerem Umfang sein dürfte als sein Vorgänger Phase 3 (mit einem Umfang von 2,2 Billionen US-Dollar), im Bereich von 1,0 bis 1,5 Billionen US-Dollar rangieren.
2) Wie sieht der Ausblick für die US-Wirtschaft über den weiteren Jahresverlauf aus?
Wegen der sich verlangsamenden Infektionsrate von Covid-19 in den USA hat sich der politische Fokus nun auf den Prozess verlagert, die Wirtschaft wiederhochzufahren. Der Wunsch, der behördlich verordneten Sozialen Distanzierung ein Ende zu setzen, wird durch die Konjunkturdaten noch bekräftigt, die das Wanken und den flächendeckenden Einbruch der Wirtschaftsaktivität seit Mitte März, als umfassende Ausgangsbeschränkungen verhängt wurden, bestätigen. Auch in Bundesstaaten, die eine verhältnismäßig geringere Anzahl von Virusinfektionen verzeichneten, nahmen die Anträge auf Arbeitslosenunterstützung zu, während hochfrequente Wirtschaftsindikatoren zusammenbrachen. Nach Angaben des US-Bureau of Labor Statistics stieg die US-Arbeitslosenquote im April auf über 14 Prozent.
Gleichwohl sind in vielen Regionen der USA noch keine adäquate Krankenhausversorgung oder Spitzenkapazität gesichert, und ein landesweites Testverfahren oder Nachverfolgungssystem ist auch nicht vorhanden. Mithin fahren viele bundesstaatliche und lokale Regierungen ihre Wirtschaft nun langsam wieder hoch, während die Maßnahmen der Sozialen Distanzierung in Kraft bleiben – in dem Versuch, einen Ausgleich zwischen dem Risiko eines längerfristigen wirtschaftlichen Schadens infolge der sich länger hinziehenden Geschäftsschließungen und dem Risiko eines weiteren schwerwiegenden Virus-Ausbruchs herzustellen. Eine Lockerung der Verordnungen würde womöglich auch keinen Wandel des Konsumentenverhaltens herbeiführen, solange es keine Impfstoffe oder andere therapeutische Behandlungsmethoden gibt. In jedem Fall wird es vielen Firmen zunehmend schwer fallen, sich zu behaupten – insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs), die von dieser Krise in besonderem Maß betroffen sind. Einer Umfrage der US-Notenbank aus dem Jahr 2019 zufolge sähe sich eines von fünfgesunden KMUs zu einer Schließung gezwungen, wenn die Umsätze über zwei Monate ausbleiben.
Allgemein erwarten wir, dass die US-Konjunktur in der zweiten Maihälfte wieder anziehen wird, wenn die Ausgangsbeschränkungen in den meisten Bundesstaaten auslaufen. Allerdings wird das Wachstum vermutlich nicht unmittelbar auf sein Vorkrisenniveau zurückkehren. Die Erholung dürfte vielmehr schrittweise vonstattengehen und je nach Sektor und Region ungleichmäßig verlaufen. Dabei scheinen kleine und mittlere Unternehmen, die bereits mit rückläufigen Gewinnen und einer zunehmenden Verschuldung in diese Phase eingetreten sind, besonders gefährdet zu sein. Und obgleich der Kongress mit bis dato nie gesehenem Tempo reagiert hat, wird es womöglich weiterer Hilfsprogramme bedürfen, um eine relativ zügige Erholung herbeizuführen.
3) Mit welchen Risiken ist dieser Ausblick behaftet?
Der Verlauf der Pandemie sowie die zeitliche Gestaltung des Wiederhochfahrens sind nach wie vor die größten Risiken in unserem Ausblick. Während die Unternehmen ihre Werkstore über die kommenden Wochen wieder öffnen dürfen, werden entscheidende Faktoren sein, in welchem Maß die Wirtschaftsaktivität wieder an Fahrt gewinnen und in welchem Maß die Infektionsrate in die Höhe schnellt. Eine sich länger hinziehende Phase der dürftigen Wirtschaftstätigkeit, die breit gefächerte Insolvenzen nach sich zieht, oder eine raschere Belebung, die eventuell zu einem weiteren Ausbruch beiträgt – beide Fälle bergen politische und wirtschaftliche Risiken, die die Entscheidungsträger abwägen müssen.
4) Welche Auswirkungen werden die Covid-19-Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen nach unserer Auffassung auf die Präsidentschaftswahlen im November haben?
Obschon Joe Biden in einer Serie aktueller Umfragen vor Donald Trump liegt, sind landesweite Erhebungen zu einem derart frühen Zeitpunkt im Wahlzyklus nur selten verlässlich. Wegen der geringen Klarheit über den Verlauf der Pandemie – und darüber, inwieweit die Wähler Präsident Trump für den wirtschaftlichen Schaden verantwortlich machen könnten – ist es noch zu früh, um tragfähige Schlüsse zu ziehen – außer jenem, dass der Wahlausgang, ähnlich wie im Jahr 2016, ein knapper sein dürfte.
Während die landesweiten Umfragen beträchtliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wird die Besetzung des Präsidentenamtes – einmal mehr – von einer Handvoll Swing States (Wechselwählerstaaten) bestimmt werden. In diesem Wahlzyklus werden Arizona, Florida, Pennsylvania, Michigan und Wisconsin die größte Rolle spielen. Dazu sei angemerkt, dass zwei dieser Bundesstaaten – Michigan und Pennsylvania – einen unverhältnismäßig großen Teil der wirtschaftlichen Belastung infolge der Pandemie schultern müssen: Hier hat sich nahezu jede vierte Erwerbsperson arbeitslos gemeldet. Nichtsdestotrotz ist Trumps Zustimmungsquote in allen fünf Bundesstaaten bislang unverändert; seine Beliebtheit sowie die Wirtschaftskennzahlen dieser Bundesstaaten gilt es jedoch, im Auge zu behalten.
5) Worauf sollten die Anleger in den kommenden Monaten noch achten?
Während der nächsten Monate ist mit weiterem Säbelrasseln gegenüber China zu rechnen. Es gibt nicht nur legitime Fragen bezüglich der Handhabung des Coronavirus-Ausbruchs durch die Volksrepublik; überdies sieht Präsident Trump hierin – vielleicht zu Recht – einen politischen Vorteil, der seine Wiederwahl begünstigen könnte: Aktuellen Umfragen zufolge hat die Mehrheit der amerikanischen Bürger derzeit ein negativeres Bild von China als zu jedem anderen Zeitpunkt der jüngsten Vergangenheit. Bisher lässt sich noch nicht einschätzen, ob die harten Worte in strengere Strafmaßnahmen gegenüber China münden werden. Unseres Erachtens dürften die USA zunächst jedoch auf andere Mittel zurückgreifen – wie etwa Exportkontrollen, Visa- und Reisebeschränkungen sowie eine Sanktionierung von Einzelpersonen –, bevor sie ihre Zolltarife anheben. Dies ist den potenziell schädlichen Konsequenzen für die US-Wirtschaft zuzuschreiben sowie der Tatsache, dass die Vereinigten Staaten bereits Strafzölle auf chinesische Waren im Wert von 360 Milliarden US-Dollar verhängt haben. Ferner können wir nicht ausschließen, dass sich Präsident Trump aus dem Phase-1-Handelsdeal zurückzieht und somit eine weitere Eskalation im Handelsstreit hervorruft, was jedoch nicht Teil unseres Basisszenarios ist.
6) Wie sieht der Ausblick für die Kongresswahlen im November aus?
In Anbetracht der Bedeutung, die einer Zusammenarbeit mit dem Kongress zukommt, um die Wirtschaftsagenda eines Präsidenten voranzubringen, könnte die Zusammensetzung des Kongresses von ebenso großer Relevanz für die Finanzmärkte sein wie die Person, die ab 2021 im Weißen Haus residiert. Zum jetzigen Zeitpunkt scheint es, als würde das Repräsentantenhaus in demokratischer Hand bleiben, da die Demokraten gemäß den jüngsten Trends mit einer überwältigenden Mehrheit in die Wahl gehen: In fünf der sechs vorangegangenen Parlamentswahlen konnte die demokratische Partei weitere Sitze erringen.
Im Senat könnte es indessen zu einer Veränderung kommen. Gegenwärtig haben die Republikaner mit 53 zu 47 Sitzen die Oberhand und verteidigen 23 der 35 Senatssitze, die zur Wiederwahl stehen. Von diesen 23 Sitzen scheinen drei sehr gefährdet (Arizona, Colorado und Maine), während einige andere umkämpft sind. Bei den Demokraten scheint zur gleichen Zeit nur ein Sitz sehr gefährdet (Alabama) und ein weiterer umkämpft (Michigan). Da die Rennen um die Senatssitze und die Swing States für die Präsidentschaftswahlen mit einer zeitlichen Überschneidung erfolgen, ist es durchaus möglich, dass die Kontrolle über den Senat in die gleiche Richtung tendieren wird wie das Weiße Haus. Doch ganz gleich, welche Partei letztlich die Oberhand im Senat gewinnt, dürfte sich ihre Mehrheit unseres Erachtens nur in einem oder zwei Sitzen niederschlagen – es könnte sogar eine Pattsituation mit 50 zu 50 Sitzen geben. In diesem Fall gäbe der Vizepräsident – und damit das Weiße Haus – die entscheidende Stimme im Senat ab.
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