Absturz der Grenke-Aktie: Wie der Shortseller Fraser Perring Unternehmen zerstört
Der deutsche M-Dax-Konzern Grenke muss sich gegen Vorwürfe des Firmenjägers wehren. Der Mann, der schon den Fall Wirecard ins Rollen brachte, hat selbst eine schillernde Biographie.
Der deutsche M-Dax-Konzern Grenke muss sich gegen Vorwürfe des Firmenjägers wehren. Der Mann, der schon den Fall Wirecard ins Rollen brachte, hat selbst eine schillernde Biographie.
Er hat es wieder getan: In dieser Woche hat Fraser Perring, Sohn von Schweinebauern aus dem britischen Canterbury, Koch, Kellner und später für eine Zeitlang Sozialarbeiter, eine mehr als 60seitige Analyse veröffentlicht. Ergebnis: Der Münchner Leasingspezialist Grenke, dessen Aktie im M-Dax notiert, stürzte an der Börse ab. Perrings Analyseagentur Viceroy hatte Vorwürfe erhoben, die auf Bilanzmanipulation und Geldwäsche hinauslaufen. Genauso wie bei Wirecard vor drei Jahren. Und genauso wie beim Pharma-Konzern Aspen und beim Möbelhändler Steinhoff. Jedes Mal behielt Perring recht.
Perring ist an der Börse ein Jäger, der sein Ziel nur selten verfehlt. Da nutzte es auch dieses Mal nichts, dass der deutsche Konzern umgehend die Vorwürfe „mit aller Schärfe“ zurückwies und sogar seinen Gründer Wolfgang Grenke voranschickte, der das Geschäftsmodell vehement verteidigte. Börsenwert in Höhe von mehr als 700 Millionen Euro hatte Perring da schon vernichtet und selbst profitiert: So wie ein Jäger seine Beute am Ende verzehrt, lebt Perring vom sogenannten Leerverkauf: Er verdient Geld, wenn Kurse abstürzen. Inzwischen dürfte er auch mit Grenke viel Geld verdienen. Wer ist dieser Fraser John Perring, wie er mit ganzem Namen in seiner Geburtsurkunde heißt? Die im Jahr 2012 von US-Journalisten geründete, gemeinnützige „Stiftung für Finanzjournalismus“ hat sich intensiv mit dem schillernden Firmenjäger beschäftigt. Ihre Analyse zeichnet ein kritisches Bild des Jägers: Er ist selbst ein Getriebener.
Geboren am 5. August 1973 verbrachte Perring seine ersten Jahre auf dem elterlichen Bauernhof, bevor er ins Internat ging. Nach einem Studium schlug er sich mit verschiedenen Jobs in der Gastronomie durch, bevor er 2011 eine Anstellung als Sozialarbeiter in Lincolnshire gefunden hatte. Er kündigte anderthalb Jahre später wieder und widmete sich ganz der Börse, wo er sich auf eigene Faust zum Spezialisten für Leerverkäufe entwickelt hatte. Die Spezies ist verschwiegen, sie weiß: Ihr Geschäft ist zwar legal, aber fragwürdig. Leerverkäufer leihen sich Aktien und zahlen dafür an den Verleiher einen Preis. Sie verkaufen die Aktie. Anschließend beginnt das große Warten: Wenn der Kurs fällt, kaufen sie die Aktie am Markt und geben sie dem Ausleiher zurück. Die Preisdifferenz streichen sie ein. Manch einer versucht in der Zeit des Wartens, den Kurs gezielt mit schlechten Nachrichten über das entsprechende Unternehmen nach unten zu treiben.
Perring, so heißt es in den Unterlagen der Stiftung, „ist ein Leerverkäufer, der die Aufmerksamkeit zu genießen scheint“, die sich in einem Börsenumfeld ergibt, das weitgehend darauf ausgelegt ist, Aktienkurse nach oben zu treiben. Er verwaltet kein Geld für Kunden, sondern handelt nur auf eigene Rechnung. Einer wie er unterliegt damit keiner Aufsichtsbehörde. Ihm kam zu Gute, dass bereits zu Beginn des Börsenbooms um junge Internetfirmen 1995 an der Londoner Börse der Alternative Investment Markt (AIM) gegründet wurde. Der spätere „Neue Markt“ an der Frankfurter Börse war ein Abbild dieses Segments. Startups sollte hier der Zugang zu öffentlichem Kapital ermöglicht werden. Lange war AIM weniger ein Schaufenster vielversprechende Startups als eine kaum regulierte „Dämmerungszone für Penny Stocks“ schreiben die Finanzjournalisten der Stiftung.
Und hier tummelte sich der junge Perring. Die lockere Überwachung des Börsensegments zog Unternehmen an, deren schwache Vermögensbasis sie hinderte, sich für etabliertere Börsen zu qualifizieren. Leerverkäufer identifizierten schnell diejenigen Kandidaten, die den Mund zu voll genommen hatten und wetteten auf sinkende Kurse. Perring lernte hier viel. Im April 2013 startete er eine Website, auf der er unter dem Titel „Erratic Market Coverage“ tatsächlich unberechenbare Unternehmensanalysen veröffentlichte. Er fand eine Anzahl von Fans im Netz, wobei bis heute nicht klar ist, ob die Dialoge mit angeblich hochkarätigen Investoren, die über die Website veröffentlicht wurden, nicht von Perring frei erfunden waren, um die Bedeutung der Analysen zu unterstreichen. Im Gespräch mit den Journalisten der Stiftung räumte Perring ein, dass er mehrere „Alias“-Namen benutzt habe.
Aus dem Jahr 2016 ist eine Episode bei der Polizei in Perrings Heimat Lincolnshire dokumentiert. Danach haben nach der Veröffentlichung einer der ersten kritischen Analysen über Wirecard nach Perrings Angaben zwei große Männer mit osteuropäischen Akzenten sein Auto angehalten und ihn aufgefordert, alles zu erzählen, was er über den Leerverkauf von Wirecard-Aktien wusste. Angeblich hätten die beiden auch Bilder von Perrings Familie gezeigt, und gedroht, dass etwas passiere, falls Perring nicht kooperiere. Die Sache verlief im Sand. Wirecard dementierte später, jemals etwas mit dem Vorfall zu tun gehabt zu haben.
Perring landete unterdessen mit seinen Veröffentlichungen immer häufiger folgenschwere Treffer. Minenunternehmen und Pharmakonzerne standen auf seiner Beobachtungsliste. Weltweit war kein Börsenplatz vor dem Leerverkäufer, dessen Analysen seit 2017 unter dem Namen „Viceroy“ firmieren, sicher. Im südafrikanischen Johnnesburg schrieb beispielsweise die dortige Börsenkorrespondentin Anfang des Jahres 2018: „Ein Wort reicht, um an der Börse von Johannesburg neuerdings Schrecken zu verbreiten: Viceroy. Kaum macht ein Gerücht die Runde, das Analysehaus bereite einen Bericht über ein Unternehmen vor, schon stürzt dessen Aktienkurs in die Tiefe.“ Aktien fielen dem mysteriösen „Viceroy-Fluch“ reihenweise zum Opfer. Händler witzelten, wenn es so weitergehe, müsse „to viceroy“ bald als fester Begriff ins Börsenlexikon aufgenommen werden.
2017 veröffentliche Viceroy, hinter dem sich mittlerweile ein mehrköpfiges Team um Perring verbirgt, eine Analyse mit dem Namen „Die Leichen im Keller von Steinhoff“. Darin warf er dem deutschen Möbelhändler Bilanzfälschungen vor. Steinhoff räumte den Skandal ein. Weniger erfolgreich aus Perrings Sicht war er beim Fernsehkonzern ProSiebenSat.1. Seine Vorwürfe führten 2018 zwar zu einem Kursverlust der Aktie, er konnte sie aber nicht ausreichend belegen. Bei Grenke ist der Ausgang der Jagd noch offen.
Seine Firma Viceroy bezeichnet Perring als „Gruppe von Individuen, die die Welt aus anderem Blickwinkel betrachten“. Der Firmentitel weist auf den britischen Statthalter im Indien der Kolonialzeit hin. Er war eine Art Stellvertreter Seiner Majestät, wenn der – wie so oft – nicht vor Ort war. Möglicherweise betrachtet auch Perring seine Rolle als die des Aufpassers, wenn andere weggucken.
Seine Kritiker sehen ihn anders. Leerverkäufer verpassten selten die Gelegenheit, Manager zu kritisieren oder Analysten und Wirtschaftsprüfer zu beschuldigen, ihre Ethik für Geld über Bord zu werfen, heißt es in der Bewertung der Stiftung zur Person von Perring nach einer sieben Monate währenden Recherche. Natürlich müssten Leerverkäufer keine Heiligen sein, „aber jemand, der sein Geld verdient und auf die Betrüger im Markt hinweist, sollte selbst keiner sein“.
oli
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