Achtung, Sparer! Uns droht eine Geldentwertung so hoch wie seit 1992 nicht mehr
Zuletzt verteuerten sich die Preise so stark wie seit Herbst 2011 nicht mehr. Anders gesagt: Unser Geld verliert so schnell an Wert wie seit zehn Jahren nicht mehr. Fondsmanager Hendrik Leber erwartet, dass sich die Inflation nochmal verdoppeln kann. Im Interview verrät er, was Anleger dagegen unternehmen können.
Zuletzt verteuerten sich die Preise so stark wie seit Herbst 2011 nicht mehr. Anders gesagt: Unser Geld verliert so schnell an Wert wie seit zehn Jahren nicht mehr. Fondsmanager Hendrik Leber erwartet, dass sich die Inflation nochmal verdoppeln kann. Im Interview verrät er, was Anleger dagegen unternehmen können.
Die Inflation ist da: Im Mai verteuerten sich die Preise auf Jahressicht nach ersten Berechnungen des Statistischen Bundesamts um 2,5 Prozent - so stark wie seit September 2011 nicht mehr. Wie weit die Rate noch steigen kann, wird unter Ökonomen, Analysten und Notenbankern derzeit heftig diskutiert.
Mit Hendrik Leber erwartet einer der bekanntesten Fondsmanager Deutschlands, dass sich die Entwertung des Gelds noch deutlich beschleunigen kann - auf Raten, die es seit dem Jahr 1992 nicht mehr gab. FOCUS Online hat den Börsenexperten gefragt, warum er mit einem derartigen Preisauftrieb rechnet - und wie er als Anleger darauf reagiert.
Herr Leber, die Inflation lag im Mai so hoch wie seit fast zehn Jahren nicht mehr. Wie viel höher kann es gehen?
Leber: Die kann sich locker verdoppeln meiner Ansicht nach. Wir haben einfach viel aufgestaute Kaufkraft und reduzierte Kapazitäten. Das sehe ich an mir selbst. Derzeit buche ich den Urlaub für den Sommer und nächstes Jahr, und schaue schon gar nicht mehr auf die Preise.
Vielen Leuten könnte es auch so gehen – die wollen einfach weg. Die Verbraucher wollen sich jetzt etwas gönnen und lassen es krachen. Das wird die Preise deutlich treiben.
Sie sagen also, fünf Prozent Inflation sind drin – von welchen Zeiträumen reden wir da?
Leber: Für meine Portfolien habe ich mir für die kommenden fünf Jahre einen Inflationsschutz bauen lassen – dazu später mehr. Ich denke, die nächsten zwei bis drei Jahre kann es durchaus so weitergehen mit dem Preisauftrieb.
Einige Ökonomen sagen, die Inflation wird schnell fallen, sobald in diesem Jahr die Basiseffekte der Corona-Krise auslaufen. Sie sind also anderer Meinung?
Leber: Ich glaube schon, dass die Inflation länger laufen kann. Ein Grund ist, dass viele Firmen ihr Angebot in der Krise reduziert haben. Schauen Sie sich die Lufthansa an – 100 Maschinen weniger in der Flotte. Die sehen jetzt, wie die Leute wiederkommen und verreisen wollen, und lassen das Angebot einfach weiter knapp. Das gleiche gilt bei der Beherbergung: Viele Hotels haben ihre Türen für immer geschlossen.
Daneben gibt es Effekte wie den blockierten Suez-Kanal und den Container-Mangel im Welthandel, aber auch noch solche wie die Mehrwertsteuer, der Anstieg bei Ölpreisen, fehlendes Bauholz, die neuen Emissionsabgaben bei CO2. Ich sehe keine Chance, dass sich die Inflationsrate in den nächsten zwei bis drei Jahren normalisiert.
Was noch hinzukommt, ist die Flucht in Sachwerte. Das treibt die Immobilienpreise und Mieten hoch. Und eben das viele, nicht ausgegebene Geld: In der Krise haben die Deutschen so viel gespart wie nie. Bei Inflation wäre es doch dumm, das Geld nicht in Umlauf zu bringen.
Werden die Notenbank bald tätig werden? Die asymmetrischen Inflationsziele sprechen dagegen, denn dabei lässt man die Inflation eine Weile laufen – doch die Fed gab jüngst Hinweise auf eine ernsthafte Straffungsdiskussion …
Leber: Ein willkommener Effekt der Inflation ist doch, nicht nur Geld, sondern auch Schulden zu entwerten. Das ist das große Argument für die Notenbanken. Sie helfen beim Abbau der Schulden, die gerade in der Krise gemacht wurden, wenn sie die Inflation laufen lassen.
Ein zweites Thema ist: Notenbanken sind eben doch politisch. Wenn ich zwischen Inflation und dem Abwürgen der Wirtschaft entscheiden muss, dann wird’s eben doch die Inflation – auch wenn das Mandat etwas anderes vorschreiben mag.
Die Zinsen können also nicht steigen, weil dann Länder und viele Konzerne umkippen. Ich schaue mir da gerne die Statistiken der BIS (Bank für Internationalen Zahlungsausgleich) an. 15 Prozent der Firmen sind bereits „Zombies“ – die gehen kaputt, wenn die Zinsen steigen. Dann nimmt man doch lieber eine laufende Inflation in Kauf.
Was ist denn mit den Anleihenkäufen? Was, wenn die Notenbanken diese zurückfahren?
Leber: Auch da sind die Notenbanken nicht frei, einfach so die Liquidität versiegen zu lassen. Für mich sind das zwei Seiten derselben Medaille, wie die Zinsen. Stellen Sie sich etwa vor, bei der Auktion von Treasuries - US-Anleihen - am Donnerstag würde die US-Notenbank Fed nicht kaufen. Würde der Markt spitzkriegen, dass die Käufer fehlen, würden die Zinsen hochschießen. Auch das wäre ein Schock für die Wirtschaft – und das wollen die Notenbanken verhindern.
Damit wären wir bei der immer wieder gestellten Frage – wann steigen die Zinsen denn dann endlich?
Leber: Ja, das ist in der Tat eine spannende Frage. Warum gibt es überhaupt Zinsen und Kapital? Weil Menschen ihren Konsum hinauszögern. Wenn ich alles ausgebe, gibt’s logischerweise kein Sparbuch. Ich spare, weil ich das Geld später haben will. Dafür will ich ein Entgelt in Form von Zins haben.
Niedrig sind die Zinsen dann, wenn es ein Überangebot an diesem Kapital gibt. Viel hängt da auch an der Demografie. Habe ich eine große, junge Bevölkerung, gibt es einen Kapitalüberschuss. Je älter eine Bevölkerung wird, umso eher will sie das Ersparte verkonsumieren. Insofern würde der Null- und Niedrigzins enden, wenn Leute ihr Geld zurückhaben wollen. In China etwa sehe ich dieses Szenario, da altert die Bevölkerung schnell, und die wollen bald in Rente.
Wenn die Inflation jetzt kommt – und bleibt – wie verhalten Sie sich als Fondsmanager?
Leber: Im Grunde ganz schlicht: Wie schon eingangs angedeutet, habe ich mir eine Versicherung gekauft – oder eher, bauen lassen. Das habe ich vor ein paar Jahren schon gemacht. Goldman Sachs hat für mich ein Zertifikat entworfen, das einer Kauf-Option auf den Konsumentenpreisindex entspricht, welcher der Inflationsrate zugrunde liegt.
Wenn die Rate zwei Prozent übersteigt, kriege ich da einen Turbo drauf. Das Zertifikat ist um den Faktor 50 gehebelt – im Prinzip setze ich auf Preisveränderungen von Gütern im Wert von einer Milliarde Euro. Die Papiere selbst haben 20 Millionen Euro gekostet.
Hebel 50, das heißt, dass Verluste bei dieser Position extrem überproportional auftreten …
Leber: Bei mir ist die Logik einfach: Kommt die Inflation nicht, werden Aktien bombig laufen, dann kann ich auf das Geld verzichten, das ich eingesetzt habe. Und wenn sie kommt, bin ich geschützt. Für Privatanleger ist das leider keine Option.
Gibt es eine Alternative für Privatanleger?
Leber: Für Privatanleger gibt es den sogenannten Inflation-Expectations-ETF von Lyxor. Der macht praktisch das Gleiche, nur ungehebelt. Der ETF geht „long“ auf inflationsindexierte Anleihen und „short“ auf gewöhnliche Anleihen. Er setzt also auf die Schuldscheine, die bei Inflation gefragt sind und wettet gleichzeitig gegen normale Anleihen. Damit holt der ETF praktisch die reine Inflation aus dem Kapitalmarkt heraus.
Ansonsten haben Sie Ihre Portfolien nicht weiter wegen der Inflationsaussichten umgebaut?
Leber: Nein, nicht wirklich. Ich glaube nicht, dass mich das mehr schützen kann. Sobald der Stress am Markt anfängt, fallen die Kurse. Historisch waren die Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV) sehr hoch bei Inflationsraten zwischen null und drei Prozent. Darüber und darunter waren die KGVs deutlich niedriger. Die Börsen lieben eben Stabilität. Und wenn die Inflation kommt, wird das den gesamten Markt treffen.
Wenn ich mir Firmen ansehe, dann denke ich beispielsweise eher darüber nach, ob es in zehn Jahren mehr oder weniger Lachsfarmen als heute geben wird und wähle über ein solches Urteil meine Investments aus. Die Inflation ist da kein Faktor in den Überlegungen.
Man kann als Anleger natürlich trotzdem auf Inflation achten. Als Kennzahl eignet sich da der europäische HPVI, der harmonisierte Verbraucherpreisindex. Die Kurse der Inflationsindexierten Anleihen verraten sehr gut, was die Märkte denken.
Bleiben wir bei den Unternehmen – welche Kennzahlen zählen da für Sie?
Leber: Ich glaube, das EBIT – der operative Gewinn – ist bedeutsamer als andere Kennziffern. Der Buchwert auf der anderen Seite ist sinnfrei geworden. Den brauchen allenfalls Banken. Am Ende ist das EBIT die belastbarste Gewinngröße. Da vergleiche ich immer im Branchenkontext.
Zum Beispiel addiere ich über Zeit die EBITs einer Branche und schaue, welche Firma welchen Anteil hat. Bei den High-Techs etwa, da habe ich Google und Facebook, und da sehe ich am EBIT, wie Facebook Gewinne vom Küchentisch holt und Google Marktanteil abgeben muss. Das kann man sehr schön beobachten. Beim normalen Gewinn kann ich das nicht, etwa wegen der Abschreibungen. Das EBIT hat sich als robuste Größe bewährt.
Sie sind ja auch als Bitcoin-Fan bekannt – jetzt gab es dort wieder einen Crash. Bleiben Sie der Kryptowährung treu?
Leber: Für mich ist Bitcoin Ersatzgold. Denken Sie mal an Bargeld. Versuchen Sie mal, 50.000 Euro am Bankschalter einzuzahlen – da werden Sie schräg angeguckt werden und müssen den Ausweis vorlegen. Bargeld ist heute nicht mehr Verfügbarkeit über Kaufkraft, sondern bereits extrem eingeschränkt.
Mit Kryptowährungen kann man sich frei bewegen. Ich glaube, Bitcoin hat eine wichtige Geldaufbewahrungsfunktion, ähnlich wie Gold. Meiner Ansicht nach wird die Nachfrage weiter steigen, weil das Bedürfnis nach einem Schutzraum vor dem Staat größer wird. Bitcoin hat ja auch keine Negativzinsen. Keiner nimmt mir da etwas weg, nur weil ich etwas besitze.
Ich denke, der Kurs wird nochmal kräftig ansteigen in den nächsten sechs bis zwölf Monaten. Wo die Grenze ist, weiß ich nicht. Langfristig denke ich, dass sich Bitcoin halten wird, trotz der Aufschreie um den Stromverbrauch und eines möglichen Verbots.
Zum Abschluss: Was können Sie Anlegern jetzt raten? Vor den flauen Sommermonaten verkaufen und niedrigere Kurse abwarten?
Leber: Abwarten bringt nie was, weil niemand den richtigen Einstieg erwischt. Weder Profis noch Amateure. Das war auch 2020 so – da hielten Profis Geld zurück, und sind im Tiefpunkt doch nicht eingestiegen. Es hat sich immer bewährt, langfristig in Aktien zu bleiben.
Was ich allerdings machen würde: Wie beim Haus eine „Feuerversicherung“ zu haben, also eine Absicherung für die großen Einbrüche. Den Wasserschaden kann ich als Hausbesitzer hinnehmen, beim Brand aber bin ich ohne Versicherung ruiniert.
Übertragen auf die Börse heißt das: Immer Put-Optionen auf den S&P-500 und den EuroStoxx 50 haben. Die Papiere verbriefen ein Verkaufsrecht und steigen im Wert, wenn die Kurse fallen. Für die gebe ich gerne Geld aus, wenn ich dafür ruhig schlafe. Das sind die historischen Nachfolger gemischter Aktien-Anleihen-Portfolios. Denn wenn Anleihen eh negativ rentieren, kann ich stattdessen mein Geld ebenso in einen Put investieren.
Das Interview wurde geführt von Focus Online