Bankaktien und das britische Teufelsrad
Die Distanz zwischen Großbritannien und dem europäischen Festland wird besonders deutlich, wenn es um’s Geld geht. Der Euro war den Insulanern schon immer suspekt. Der drohende Brexit lässt wiederum die großen Finanzinstitute auf dem Kontinent zittern. Aktien stürzen reihenweise ab, der Freitag bringt nur schwachen Trost.
Die Distanz zwischen Großbritannien und dem europäischen Festland wird besonders deutlich, wenn es um’s Geld geht. Der Euro war den Insulanern schon immer suspekt. Der drohende Brexit lässt wiederum die großen Finanzinstitute auf dem Kontinent zittern. Aktien stürzen reihenweise ab, der Freitag bringt nur schwachen Trost.
Vor einem Jahr hätte diese Nachricht noch für Euphorie gesorgt: Die Aktie der Deutschen Bank legt an einem Tag um bis zu fünf Prozent zu! Sogar die DAX-Spitze gehört ihr! Doch am Ende einer katastrophalen Woche für mehrere Bankaktien ist die Meldung heute nicht mehr als schmerzlindernd. Die Deutsche Bank musste nach Monaten der Krisenstimmung einen historischen Tiefststand ihrer Aktie hinnehmen. Von dem Rekord-Börsenwert vor der Finanzkrise sind noch gut elf Prozent übrig.
Ähnlich sieht es bei der Aktie der Commerzbank aus, die am Freitagnachmittag auf Platz zwei im deutschen Leitindex rangiert. Das Papier legt um bis zu vier Prozent zu und ist damit wieder etwas mehr wert als ein leeres Panini-Stickeralbum zur laufenden EURO in Frankreich. Zum Vergleich: Vor zwölf Monaten waren es noch mehr als zwölf Euro je Commerzbank-Aktie. Noch härter trifft es die Schweizer Großbank Credit Suisse, die im gleichen Zeitraum von rund 25 Euro auf knapp 11 Euro gefallen ist.
Warnungen und hitzige Diskussionen
Allen Banken ist gemein, dass das Brexit-Gespenst die Investoren verschreckt und von Analysten als Hauptschuldiger an den krassen Kursstürzen ausgemacht wurde. Doch wie genau würde ein Austritt Großbritanniens aus der EU, herbeigeführt durch das anstehende Referendum am 23. Juni 2016, eigentlich den europäischen Banken schaden? Logisch, London als einer der wichtigsten Finanzplätze der Welt ist auch für die Deutsche Bank und ihre aktuellen Leidensgefährten ein existenzielles Zentrum.
An der Spitze des einstigen deutschen Flaggschiffes steht ausgerechnet ein Brite. John Cryans Mission ist seit seinem Amtsantritt als Saniermeister nicht gerade einfacher geworden. In einem Interview vor gut zwei Monaten sagte er der Financial Times: „Aus unserer Sicht schauen die Menschen zu wenig auf die andere Seite der Medaille und fragen sich, was ein Brexit für Europa bedeuten würde. Denn es würde alles andere als gut werden.“
108-Milliarden-Loch im Geldbeutel?
Laut den Wirtschaftsexperten der Nachrichtenagentur Bloomberg könnte der Brexit eine Finanzlücke von 108 Milliarden Euro bei den europäischen Großbanken reißen. Besonders ins Gewicht fallen könnten demnach Anleihen, die mit britischen Hypotheken und Kreditkarten belegt sind. Im Fall eines Austritts aus der EU würden diese nicht mehr zu den Aktiva gehören, die den Banken unter anderem zur Absicherung von Krediten dienen. Neuverschuldung wäre dann das neue Schreckgespenst, wenn das Brexit-Ungeheuer sein Werk erst verrichtet hat.
Doch auch ohne die ständige ereignisbezogene Bewertung der Banken - Referendum hier, Fed-Sitzung da - ist die gegenwärtige Krise der Finanzbranche nicht zu übersehen. Die Notenbanken zwingen die großen Player mit ihrer anhaltenden Niedrigzinspolitik zum Umdenken. Sparen ist angesagt, Kompaktheit und Fokussierung gehören mittlerweile fest in den Werkzeugkasten der Großbanken. Altlasten wie die der Deutschen Bank sind da jedoch keine große Hilfe. Bei BNP Paribas ist man daher der Meinung, dass die Aktie des Konzerns nicht mehr als 12 Euro wert ist. Analyst Amit Goel begründet die „Underperform“-Bewertung mit der Erwartung, dass der deutsche Branchenprimus wohl auch 2017 Verluste einfahren werde.
Ein „Bremain“, das weniger flippig klingende Gegenstück zum Brexit, könnte die Aktie auf 23 Euro wuchten, findet Khan Abouhossein von JP Morgan Chase. Auch die Commerzbank gehört zu seinen „Top Picks“. Für risikofreudige Anleger sind die zurzeit historisch günstigen Bankaktien durchaus einen Blick wert. Angesichts des ungewissen Ausgangs beim Brexit-Votum können sie jedoch ebenso schnell zu Geldverbrennungsmaschinen werden.
Marius Mestermann