Anhaltende Bodenbildung – aber (noch) keine Trendwende
Nach der ungebremsten Talfahrt zum Jahresauftakt konnten sich die Aktienmärkte Mitte Februar weltweit fangen und, ausgehend von den Tiefstkursen, seither sogar ansehnliche Gewinne verbuchen. Die täglichen Kursschwankungen sind aber noch immer hoch. Wie groß die Verunsicherung der Marktteilnehmer nach wie vor ist, untersucht Oliver Postler, Chefanlagestratege der HypoVereinsbank für Private Banking & Wealth Management.
Nach der ungebremsten Talfahrt zum Jahresauftakt konnten sich die Aktienmärkte Mitte Februar weltweit fangen und, ausgehend von den Tiefstkursen, seither sogar ansehnliche Gewinne verbuchen. Die täglichen Kursschwankungen sind aber noch immer hoch. Das unterstreicht die nach wie vor hohe Verunsicherung der Marktteilnehmer.
Von Oliver Postler
Selbst wenn sie in den letzten Wochen die Verunsicherung im Markt von den zuvor erreichten Spitzenwerten merklich zurückgegangen ist, reichten die jüngsten Gewinne nicht, um die Februar-, geschweige denn die Jahresbilanz an den Börsen ins Plus zu drehen. Die bislang aufgelaufenen Jahresverluste summieren sich beim DAX auf neun Prozent, beim EuroStoxx 50 auf immerhin noch auf sechs Prozent. Freilich, Mitte Februar lagen die Minuskorrekturen etwa doppelt so hoch. Schlechter ist die aktuelle Jahresbilanz nur in China und Japan, deutlich niedriger dagegen sind die Verluste in den USA und Großbritannien. Das mag damit zusammenhängen, dass bei uns die Konjunktur, vor allem aber die politischen Risiken als deutlich höher eingestuft werden.
Die offene außenwirtschaftliche Flanke des so exportlastigen Euroraums bietet zusätzliches Risiko. Unser globaler Frühindikator ist zuletzt nämlich auf den tiefsten Stand seit November 2012 gefallen. Wirklich entscheidend für die Spreizung kontinentaleuropäischer und angelsächsischer Börsen aber war die schlechte Performance europäischer Banken, Versicherungen und Automobilfirmen gegenüber ihren Pendants in den USA und Großbritannien (trotz „Brexit“-Risiko).
Hinzu kommen die zuletzt deutlich besser performenden Öl- und Gasfirmen. So konnte das Öl- und Gassegment innerhalb des Stoxx Europe 600 in diesem Jahr bereits um fast vier Prozent zulegen. Der zuletzt deutliche Anstieg des Ölpreises hat unterstützt. Sie spielen in den angelsächsischen Indizes eine weitaus wichtigere Rolle. Es gibt aber auch wirkliche Lichtblicke unter den weltweiten Aktienmärkten. Die regionalen Indizes für Osteuropa und Lateinamerika konnten 2016 per Saldo sogar zulegen. Das dürfte aber kaum mehr gewesen sein als eine technische Reaktion. Schließlich gehörten 2015 beide Märkte zu den großen Verlierern.
Drei Faktoren könnten den Markt drehen
Viel mehr als eine technische Reaktion steckt dann auch nicht hinter den jüngsten Gewinnen der großen Aktienindizes. Nach wie vor liegen DAX & Co weit unter der 200-Tagelinie. Und der Abwärtskanal ist noch immer intakt. „Short covering“ dürfte dann auch der Haupttreiber für die jüngste Korrektur der zuvor völlig überverkauften Märkte gewesen sein. Wie aber geht es weiter? Was müsste passieren, damit aus der technischen Korrektur doch noch eine Trendwende nach oben wird. Starke Signale von den Notenbanken allein reichen dafür nicht, wie die jüngste EZB-Entscheidung gezeigt hat. Dazu bedürfte es schon eines Zusammenwirkens von primär drei Faktoren:
Erstens müssten die Gewinnschätzungen endlich nach oben drehen. Bisher ist eher das Gegenteil der Fall. Analysten wie auch die Firmen selbst haben ihre Projektionen eher nach unten gezogen. Vielleicht haben sie – ähnlich wie die Investoren – überreagiert. Die Kostenseite der Unternehmen scheint nämlich in Ordnung: Die Inputpreise steigen allenfalls moderat, die Finanzierungskonditionen könnten niedriger kaum sein und von Lohnkostendruck ist noch nicht viel zu sehen. Was fehlt ist eine Besserung der Absatz- und Erlösaussichten. Und hier sind wir schon beim nächsten Punkt.
Zweitens wäre eine ungebrochene Serie positiver Konjunkturdaten bzw. Überraschungen erforderlich. Besonderes Augenmerk kommt dabei den Frühindikatoren zu, vor allem den Ifo-Konjunkturerwartungen. Sie gelten als guter Vorlaufindikator für die Produktion und damit die Gewinnentwicklung. Wir erwarten für die kommenden Monate zwar eine Stabilisierung der Konjunktur und auch wieder bessere Stimmungsindikatoren. Es wird wohl noch dauern, bis wirklich Konjunkturzuversicht zurückkehrt.
Drittens müssten die politischen Risiken wieder spürbar nachlassen. Auch das wird dauern. Die Flüchtlingskrise dürfte uns noch länger begleiten, auch wenn die Gefahr eines Auseinanderbrechens der EU mit der jüngsten Türkei-Vereinbarung geringer geworden ist. Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Deutschland werden dennoch zu einer politischen Belastungsprobe. Auch das „Brexit“-Risiko bleibt zumindest bis Jahresmitte virulent. Eine nachhaltige Aufhellung des fundamentalen Börsenumfeldes ist daher in nächsten Monaten wohl nicht zu erwarten. Wir rechnen deshalb bis Jahresmitte mit einer Seitwärtsbewegung unter zum Teil starken Schwankungen.
Unsere Anlagestrategie
Erst im Verlauf des zweiten Halbjahrs könnten sich Umfeld und Stimmung bessern und so für wieder steigende Kurse sorgen. Noch ist für uns die Konjunkturerholung nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. Trotzdem schwingt hier noch eine gute Portion Hoffnung mit. Kräftige Kursgewinne sind allerdings auch für die zweite Jahreshälfte nicht zu erwarten.
Angesichts des eingetrübten fundamentalen Umfelds, adverser Markttechnik und der nach wie vor labilen Marktstimmung hatten wir Aktien gegenüber der Benchmark schon auf untergewichtet zurückgenommen und entsprechend die Kasseposition erhöht. Aktuell sehen wir die Märkte in einer Bodenbildungsphase. Die Kurse dürften die kommenden Wochen, vielleicht Monate weitgehend seitwärts tendieren – freilich unter weiterhin hohen Schwankungen. Bei einer Stabilisierung von Konjunktur, Gewinnen und Rohstoffpreisen könnte man über eine (Wieder)Aufstockung in Etappen nachdenken. Starke Kursgewinne sind auch dann nicht zu erwarten. Innerhalb Europas würden wir Deutschland präferieren. Eine (auch relative) „Underperformance“ der angelsächsischen Aktienmärkte gegenüber Kerneuropa sehen wir kaum mehr. Engagements in japanische, chinesische und andere Schwellenländer-Aktien sind selektiv zu bewerten und bleiben rückschlagsgefährdet. Sektoral präferieren wir nach wie vor die konsumnahen Branchen Nahrungsmittel, Gesundheitswesen und Haushaltsgüter.
Oliver Postler ist Chefanlagestratege HypoVereinsbank Private Banking & Wealth Management.