Anleger bleiben optimistisch
Nach dem Ausverkauf der vergangenen Tage stellt sich Frage: Steckt der Dax in einer nachhaltigen Baisse-Phase? Oder nur in einer Korrekturphase? Eine exklusive Analyse kommt zu einer eindeutigen Antwort.
Nach dem Ausverkauf der vergangenen Tage stellt sich Frage: Steckt der Dax in einer nachhaltigen Baisse-Phase? Oder nur in einer Korrekturphase? Eine exklusive Analyse kommt zu einer eindeutigen Antwort.
Am vergangenen Montag hatte Stephan Heibel steigende Kurse im Dax favorisiert. Doch die Woche verlief anders: Es gab einen heftigen Ausverkauf, den der Börsenexperten in einem pessimistischen Alternativ-Szenario beschrieben hatte. „Sollte es wider Erwarten dennoch zu einem Ausverkauf im Dax kommen, so dürfte dieser heftig werden“, meinte Heibel vor einer Woche. Schließlich sei kaum Nachfrage vorhanden.
Für seine Prognosen wertet der Inhaber des Analysehauses Animusx die wöchentliche Handelsblatt-Umfrage zur Börsenstimmung, Sentiment genannt, unter mehr als 2.300 Anlegern aus. Das Wochenminus im Dax beträgt rund fünf Prozent einem Minus von 2,1 Prozent in der Vorwoche. Das deutsche Börsenbarometer hat also binnen zwei Wochen um rund sieben Prozent auf nur noch 9.550 Punkte eingebüßt. Und es dürfte möglicherweise eine ruppige Woche für Anleger werden: Notenbanksitzungen, Verfall der Optionen an den Terminbörsen am Freitag und das Referendum der Briten am 23. Juni stehen unmittelbar bevor. Die entscheidende Frage, die sich nun Anleger stellen: Ist der Einbruch nur eine kurze, heftige Korrektur? Oder handelt es sich bereits um eine nachhaltige Baisse?
Die Teilnehmer der Handelsblatt-Umfrage schauen angstvoll auf den Ausverkauf im Dax. 45 Prozent haben den Absturz als Abwärtsimpuls registriert – ein Plus von 31 Prozentpunkten gegenüber der Vorwoche. Nur noch 42 Prozent (minus 15 Prozentpunkte gegenüber Vorwoche) sehen nach wie vor eine übergeordnete Seitwärtsbewegung und lediglich fünf Prozent (minus zwölf Prozentpunkte) wähnen sich in einem Aufwärtsimpuls. Die Stimmung ist damit so schlecht wie seit der Korrektur zum Jahreswechsel nicht mehr.
Und die meisten Anleger wurden von diesem Ausverkauf überrascht. 28 Prozent haben ihn überhaupt nicht erwartet, weitere 28 Prozent sehen ihre Erwartungen kaum erfüllt. Nur acht Prozent hatten auf diesen Kursrutsch gesetzt, nur noch 36 Prozent geben an, diese Entwicklung zum größten Teil so vorhergesehen zu haben. Die Selbstzufriedenheit der Anleger ist damit zerstört, sie sind stark verunsichert.
Trotziger Optimismus auf Drei-Monats-Sicht
Fast schon trotzig gibt diese Woche jeder dritte Anleger an, den Dax in drei Monaten in einem Aufwärtsimpuls zu sehen. Nur noch 19 Prozent (minus fünf Prozentpunkte gegenüber Vorwoche) fürchten einen nachhaltigen Ausverkauf. Gut jeder Dritte hingegen stellt sich auf weiterhin schwankende Kurse ohne Richtung ein. Fazit: Die Erwartungshaltung ist damit bereits als vorsichtig optimistisch zu bezeichnen.
Kaufinteresse ist aber wenig vorhanden. Zwei Drittel der Anleger wollen auch in den kommenden zwei Wochen weder kaufen noch verkaufen. Nur jeder Fünfte will die tiefen Kurse bereits zum Kaufen nutzen, 14 Prozent fürchten kurzfristig Schlimmeres und wollen noch verkaufen. Wenngleich also das Kaufinteresse ein wenig überwiegt, so ist doch die überwältigende Mehrheit neutral eingestellt.
Diese neutrale Haltung ist für Heibel nachvollziehbar. Denn am Donnerstag nächster Woche wird in Großbritannien über den Verbleib in der EU abgestimmt. Die Umfragewerte schwanken je nach Erhebungsinstitut und welchem Anleger sei es da zu verübeln, vorerst eine neutrale Haltung einzunehmen und abzuwarten. Deutsche Anleger kaufen also nicht, weil sie erst einmal die Entscheidung über den Brexit abwarten wollen.
Zudem ziehen internationale Anleger Kapital aus Europa ab. Hintergrund: Eine Zinsanhebung in den USA wird mehrheitlich erst zu einem späteren Zeitpunkt in diesem Jahr erwartet, entsprechend bleibt der US-Dollar unter Druck und der Euro legt zu. Das ist eine Belastung für die Exportnation Deutschland, entsprechend schwach hat sich der Dax in den abgelaufenen beiden Wochen entwickelt. Und der US-Dollar dürfte, wenn die US-Notenbank diese Woche vermutlich die Zinsanhebung weite Ferne verschiebt, weiter schwächeln und damit US-Aktien gegenüber europäischen attraktiver machen.
Dividendentitel winken mit attraktiven Renditen
„Grundsätzlich würde ich sagen, das war’s nun, denn die Brexit-Angst ist vorerst ausreichend eingepreist und das Bewertungsniveau im Dax ist auf einem Niveau, bei dem langfristig orientierte Value-Anleger beherzt zugreifen. Insbesondere eine Reihe von Dividendentiteln winken schon wieder mit attraktiven Renditen“, meint der Sentimentexperte. Ein nachhaltiges Unterschreiten würde Heibels Einschätzung nach nicht nur die hohe Verunsicherung hinsichtlich der Brexit-Frage widerspiegeln, sondern gestiegene Chancen für den Ausstieg der Briten signalisieren. „Ein anderes Risiko kann ich derzeit nicht erkennen“, meint er.
Denn für die Zinsentscheidung in den USA geht man inzwischen von dem aus europäischer Sicht schlimmsten Fall aus, dass der Zins eben nicht angehoben wird. Die nach wie vor schwelenden Krisen schaffen es nicht mehr in die Schlagzeilen: Wer fühlt sich noch über den aktuellen Stand in der Ukraine informiert? Und der Flüchtlingsstrom ist zwar noch in aller Munde, doch die Aktivität hat sich in die Länder des südlichen Mittelmeers verlagert.
Bleibt also der Brexit als Risiko und natürlich ein unvorhersehbares Ereignis, ein Schwarzer Schwan, mit dem niemand rechnet. Heibels Prognose: „Da ich dem Brexit geringe Chancen einräume und niemals auf einen Schwarzen Schwan spekuliere, erwarte ich für die kommenden Tage steigende Kurse.“ Handelsblatt / Jürgen Röder