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„Auf der Titanic waren auch alle entspannt“

Machtpolitische Verschiebungen sind der nächste globale Megatrend, dem sich deutsche Unternehmen stellen müssen. Doch ihnen fehlt die politische Unterstützung.

Machtpolitische Verschiebungen sind der nächste globale Megatrend, dem sich deutsche Unternehmen stellen müssen. Doch ihnen fehlt die politische Unterstützung.

Von Anke Henrich

Auch Krisen werden Alltag. Während sich Politiker in Berlin und Brüssel um Lösungen rund um Energie, Kriegsfolgen, Lieferketten, Klima und Inflation mühen, stellt sich dem deutschen Mittelstand längst eine neue Herausforderung. „Die Golfstaaten, die Opec plus Russland, die BRIC-Staaten, Argentinien – in diese Richtung verschieben sich die wirtschaftspolitischen Gewichte auf dem Planeten“, warnte Klaus Josef Lutz, Präsident der IHK für München und Oberbayern, auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel am Tegernsee.

Auch Henrik Ahlers, Vorsitzender der Geschäftsführung der Beratungsfirma EY Deutschland, appellierte eindringlich an die Unternehmer und Politiker. „Wir benehmen uns, als ließe sich der Status Quo erhalten. Doch die Welt um uns herum schläft nicht. Während die Inder einen ungeheuren Ehrgeiz zeigen, diskutieren wir über die Vier-Tage-Woche“, zürnte Ahlers. „Auf der Titanic waren auch alle entspannt.“ Unternehmen und Politiker dürften nicht noch einmal überrascht werden – wie zuletzt durch den russischen Angriff auf die Ukraine. „Wir müssen stärker gucken, wer wirft das Schachbrett als nächstes zur Seite?“ Politik und Unternehmen hätten genug Warnzeichen. Aber weil ihnen Blick auf die Chancen fehle, werde die Diskussion in Deutschland nicht mit der nötigen Dringlichkeit geführt.“

Ewiges Lernen als Standard nötig

Es ging am Tegernsee in Zeiten von Krisen, Kriegen und Konflikten um die Megatrends. Drei Thesen stellte Ahlers zur Diskussion. Zum einen: Deutschlands Ressource bleiben Menschen. „Aber nur wenn Staat und Unternehmen es ihnen ermöglichen, ihr volles Potenzial auszuschöpfen und ewiges Lernen Standard wird, bleiben wir wettbewerbsfähig.“ Zum zweiten: Ohne stabile Rahmenbedingungen und Rechtssicherheit plus zuverlässige Verwaltung sinke die Investitionsbereitschaft der Unternehmen. „Wegen der Mängel dort, drohen wir den Anschluss zu verlieren.“ Zum dritten: Ahlers mahnte auch die Unternehmen. „Wer nicht forscht, darf keine Durchbrüche am Markt erwarten. Bevor Investitionen zu Erträgen werden, sind sie nun mal Kosten.“

Für Ahlers ist ein Schlüssel deutscher Wettbewerbsfähigkeit die grüne Transformation. „Und wir können das: Wir haben es bei Branchen wie Kohle, Textil und am Bau bewiesen.“ Aber es fehle der Masterplan der Bundesregierung, sagte Lutz auch aus seiner Sicht als Multi-Aufsichtsrat. Völlig unverständlich sei für ihn in Zeiten der Krise der Umgang der Mitglieder der Bundesregierung untereinander. „In einem Vorstand wäre es undenkbar, dass alle Mitglieder eine Entscheidung treffen und einer im nächsten Moment dem Vorstandsvorsitzenden öffentlich in der Rücken fällt.“

Deutsche Bürokratie hilft den USA

Deutsche Bürokratie lenkt deutsche Investitionen in die USA. Davon berichtet Beratungsexperte Ahlers. „Die USA fördern klimafreundliche Investitionen über eine einfache Steuergutschrift für die Unternehmen. Wenn ich die mehrere hundert Seiten starken Anträge im Rahmen des ESG sehe, wundere ich mich nicht, dass Unternehmen mit Blick auf die nötige Rechtssicherheit im Ausland investieren.“ ESG steht für ökologische und soziale Themen sowie Aspekte der guten Betriebsführung.

Dass Planungs- und Rechtssicherheit  – wenn gewünscht – auch in der EU schnell umzusetzen sind, berichtete einer der gefragtesten Gesprächspartner im deutschen Mittelstand. Michael Wurmser ist Gründer von Norge Mining, einem norwegischen Unternehmen, dass dort eine ökologisch und sozial nachhaltige Mine für die kritischen Rohstoffe Vanadium, Phosphat und Titan betreiben will. Wurmser sagte: „Die für den Ausbau unserer Minen nötigen Schreiben und Garantien konnte die EU binnen sechs Monaten ausstellen, weil sie den Zugang der Industrie zu diesen wichtigen Rohstoffen sichern wollte. Somit hatten wir die nötige Planungssicherheit. Wir haben 2019 gestartet und werden spätestens in fünf Jahren fördern.“

„Die Deutschen haben die Power“

Diese Unterstützung wünschte sich wohl auch Manuela Buxo, Leiterin der Region Europa bei Sanofi Specialty Care. „Stattdessen machen weitere Einschränkungen den Standort EU für viele Unternehmen der Gesundheitswirtschaft noch unattraktiver.“ Berlin und Brüssel übersähen, dass Bereiche wie Gentechnik, Zelltechnik wirtschaftlich extrem relevant seien, doch die Forschungs- und Arbeitsbedingungen etwa in USA erheblich attraktiver als in Deutschland seien. Sie plädiert für mehr Zusammenhalt innerhalb der EU: „Die Staaten müssen enger zusammenarbeiten. Gemeinsam können wir gegen USA und China antreten. Alleine schafft es keiner.“

Der Schweizer Wurmser betrachtet die Entwicklung der Europäischen Union in Krisenzeiten mit dem Blick von außen. Er wundert sich: „Ich nehme Deutschland als wichtigsten Wirtschaftsfaktor der EU wahr und wünsche mir, eine deutsche Regierung übernimmt die Führung in Europa. Die Deutschen haben die Power.“