Aufholpotential für europäische Aktien
Die europäischen Aktienmärkte zeigten in diesem Jahr bislang eine durchwachsene Entwicklung: Der Eurozonen-Leitindex Euro Stoxx 50 verlor vom Jahresbeginn bis zum 15. Oktober 2018 rund 5,5 Prozent, der gesamteuropäische Stoxx 600 rund 4,8 Prozent – und der deutsche Leitindex DAX gab sogar rund 10,1 Prozent nach. Wie geht es weiter – nach oben oder nach unten? Ulrich Stephan wägt ab.
Die europäischen Aktienmärkte zeigten in diesem Jahr bislang eine durchwachsene Entwicklung: Der Eurozonen-Leitindex Euro Stoxx 50 verlor vom Jahresbeginn bis zum 15. Oktober 2018 rund 5,5 Prozent, der gesamteuropäische Stoxx 600 rund 4,8 Prozent – und der deutsche Leitindex DAX gab sogar rund 10,1 Prozent nach. Wie geht es weiter – nach oben oder nach unten?
Von Ulrich Stephan
Ein Grund für die Europaskepsis vieler Investoren waren die offensichtlichen politischen Risiken innerhalb der Alten Welt, etwa die komplizierten Verhandlungen über den britischen EU-Austritt oder die Unsicherheiten rund um die Haushaltsplanungen Italiens. Von dem Abverkauf globaler Aktien, der seine Gründe wahrscheinlich in der Herabstufung der Prognosen für das Wirtschaftswachstum durch den Internationalen Währungsfonds sowie dem Anstieg der Kapitalmarktzinsen in den USA hatte, blieben auch europäische Titel nicht verschont. Zusätzlich wurden die europäischen Aktienmärkte von der Schwächephase einiger Schwellenländer gebremst. Der Ausblick für europäische Papiere könnte sich nach Einschätzung der Deutschen Bank jedoch verbessern: Sofern die Belastungsfaktoren auf absehbare Zeit abnehmen, könnten die Aktienmärkte in der Alten Welt vor einem Comeback stehen.
Schwellenländer: wichtiger Absatzmarkt
Insbesondere eine Verbesserung der Situation in den Schwellenländern würde sich positiv auf die Kursentwicklung an Europas Börsen auswirken. Zuletzt sind einige wichtige Schwellenländer konjunkturell unter Druck geraten. Das belastete auch die europäischen Unternehmen. Denn für diese stellen die aufstrebenden Volkswirtschaften wichtige Absatzmärkte dar. Während US-amerikanische Konzerne lediglich weniger als 14 Prozent ihrer Umsätze in den Schwellenländern erzielen, generieren europäische Unternehmen dort rund ein Drittel ihres Umsatzes – mehr als 18 Prozent allein in der Region Asien-Pazifik.
Dementsprechend haben nicht nur Sorgen vor einem Wachstumsabschwung in den Schwellenländern, sondern auch die jüngste Schwäche der Währungen beispielsweise in China, Indien, Südafrika und der Türkei zu einer schwächeren Umsatzentwicklung in Europa im Vergleich zu den USA beigetragen. Die Abwertung vieler Schwellenländerwährungen auch gegenüber dem Euro belastet zum einen die Exporte aus der Eurozone in die entsprechenden Länder, da die Waren in der dortigen Währung gerechnet teurer werden. Zum anderen verlieren dort erzielte Gewinne für die Eurozonen-Unternehmen an Wert, da sie in Euro zurückgetauscht werden müssen. Von den Analysten wird für die Berichtssaison zum 3. Quartal 2018 außerhalb des Energiesektors im europäischen Index Stoxx 600 im Vergleich zum Vorjahresquartal ein durchschnittliches Umsatzwachstum von 3,0 Prozent erwartet. Im US-Index S&P 500 sind es 6,3 Prozent. Der Energiesektor bleibt bei dieser Betrachtung unberücksichtigt, da er aufgrund des starken Ölpreisanstiegs im vergangenen Quartal das Ergebnis verzerren würde.
Weitere Entwicklungen im Handelsstreit entscheidend Aus Sicht der Deutschen Bank zeigen sich die Volkswirtschaften der Schwellenländer im Jahr 2018 trotz vereinzelt schwerwiegender Herausforderungen insgesamt jedoch stabil. Beispielsweise liegt das erwartete Wirtschaftswachstum für die Schwellenländer weltweit für 2018 und 2019 bei knapp 5 Prozent und damit über dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre. Der Handelsstreit zwischen den USA und China hat bisher zwar zu einer deutlichen Eintrübung der Anlegerstimmung bezüglich der Schwellenländer Asiens geführt. Sofern es jedoch zu keiner Eskalation mit negativen Folgen für die Wirtschaft kommt, könnten die Aktien der Schwellenländer die jüngste Schwächephase hinter sich lassen.
Politische Risiken in Europa könnten abnehmen
Mit Blick auf die innereuropäischen Risiken geht die Deutsche Bank davon aus, dass auf absehbare Zeit eine Entspannung möglich sein dürfte. Hinsichtlich des italienischen Haushalts stehen zwar intensive Verhandlungen zwischen der Regierung des Landes und der Europäischen Kommission bevor. Am Kapitalmarkt wird aber bereits ein hohes Risiko eingepreist. So ist zuletzt der Abstand zwischen den Verzinsungen 10-jähriger italienischer Staatsanleihen und 10-jähriger deutscher Bundesanleihen stark angestiegen. Gleichzeitig hat die Aktienrisikoprämie des italienischen Aktienindex FTSE MIB zugelegt. Falls es zu einer Annäherung zwischen italienischer Regierung und der EU kommt, dürfte eine spürbare Erholung am Kapitalmarkt folgen.
Auch in den Brexit-Verhandlungen besteht Hoffnung auf Fortschritte. Zwar sind einige Streitpunkte wie die Zukunft der Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Staat Irland noch offen. Zahlreiche andere wichtige Punkte des Austrittsabkommens wurden aber bereits ausverhandelt. Dazu gehört die Einigung auf eine Übergangsphase bis Ende 2020, in der Großbritannien voraussichtlich weiter im europäischen Binnenmarkt verbleiben wird.
Europäische Aktien als interessanter Bestandteil des Depots
Trotz der politischen Risiken und der getrübten Anlegerstimmung ist in der Breite bisher noch kein negativer Einfluss auf die Erwartungen der Unternehmensgewinne sichtbar. Die Revisionen der Gewinnprognosen des Stoxx 600 für das laufende und das kommende Jahr sind über die letzten sechs Monate nahezu unverändert. Für 2018 erwartet die Analystengemeinde ein durchschnittliches Wachstum der Gewinne pro Aktie von 7,8 Prozent, für 2019 einen Anstieg um 9,3 Prozent. Daher dürften sich Anleger bis zum Jahresende und darüber hinaus wieder stärker europäischen Unternehmen zuwenden – die Deutsche Bank sieht für die Börsen in der Alten Welt Aufholpotential. Für entsprechend risikobereite Anleger könnten europäische Aktien daher ein interessanter Bestandteil des Depots darstellen – zumal sie aktuell noch günstig bewerte sind: Das Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis der Gewinnerwartungen für die kommenden zwölf Monate liegt im Stoxx 600 mit 12,9 derzeit deutlich unter dem 5-Jahres-Durchschnitt von 14,5.
Dr. Ulrich Stephan ist Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank.