Deutsche Raumfahrt-Industrie als Motor ganzer Branchen
Wie gut eine Industrienation im internationalen Konzert mithalten kann, zeigt sich recht gut an den technologischen „Leuchttürmen". Das ist ein doppelt sinnfälliges Bild, denn erstens ist die Raumfahrtbranche im jedem Land ein solches Leuchtfeuer, und zweitens befindet sich das Zentrum der deutschen Raumfahrtindustire in einer Gegend, in der Leuchttürme kein ungewöhnlicher Anblick sind - in Bremen. Robert von Lucius fragt in seinem aktuellen Buch, was es mit der extraterrestrischer Bedeutung der uralten, bedeutenden Hansestadt an der Weser auf sich hat.
Wie gut eine Industrienation im internationalen Konzert mithalten kann, zeigt sich recht gut an den technologischen „Leuchttürmen". Das ist ein doppelt sinnfälliges Bild, denn erstens ist die Raumfahrtbranche im jedem Land ein solches Leuchtfeuer, und zweitens befindet sich das Zentrum der deutschen Raumfahrtindustire in einer Gegend, in der Leuchttürme kein ungewöhnlicher Anblick sind, in einer uralten und bedeutenden Hansestadt an der Weser.
Denken wir an Europa, dürfen wir Bremen nicht vergessen. Als erstes fällt Geschichtskundigen dazu ein, dass im Kaminsaal des ehrwürdigen Rathauses Helmut Schmidt und Valéry Giscard d'Estaing bei einer Sitzung des Europäischen Rates die anderen Europäer von der europäischen Währungsunion überzeugten. Aber die Beziehungen sind tiefer und vielfältiger. Das reicht bis zur Meereswissenschaft und zur Weltraumforschung, wo jeweils Bremen in Europa „an der Spitze steht“. Mit Astrium, einer Tochtergesellschaft der EADS, und der OHB-Gruppe haben die zwei größten deutschen Raumfahrtkonzerne ihren Sitz in Bremen.
Am Anfang stand eine Frau: Christa Fuchs übernahm 1981 die Firma Otto Hydraulik Bremen (OHB) mit fünf Beschäftigten. Sie baute den Reparaturbetrieb für die Bundesmarine rasch aus. Daraus wurde mit der OHB System AG einer der drei größten europäischen Raumfahrtkonzerne. Weiterhin hält die Familie am börsennotierten Konzern etwa zwei Drittel der Aktien. Der bewusst geringe Bekanntheitsgrad lässt staunen.
OHB (nun: Orbitale Hochtechnologie Bremen) sah sich lange als Nischenanbieter. Dazu gehört der Bau kleiner und preiswerter Satelliten. Die Gruppe, die nach allerlei Aufkäufen einen zweiten Sitz in München hat, war an fast allen Raumfahrtvorhaben von Rang beteiligt von der Internationalen Raumstation ISS bis zur deutschen D-2-Mission. Sie entwarf mit „BremSat“ 1994 den ersten deutschen Mini-Satelliten und seit 2001 das Aufklärungssatellitensystem „SAR-Lupe“. Dieses liefert hoch aufgelöste Bilder an Bodenstationen, die ebenfalls von OHB ausgestattet werden – die Superaugen könnten Kämpfer des Islamischen Staates IS in Syrien oder im Irak erspähen. OHB war beteiligt am Bau der Ariane5-Trägerraketen. Die Europäische Raumfahrtagentur ESA gab den Zuschlag für den Ausbau des geostationären Kleinsatelliten „SmallGEO“ an OHB. Damit erhielt die deutsche Raumfahrt den ersten Zuschlag der ESA seit 25 Jahren beim Bau von Nachrichtensatelliten. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Berlin sagte, über dieses Vorrücken des größten deutschen privaten Raumfahrtkonzerns „in den internationalen Reigen“ sei das Zentrum stolz. OHB wurde Ausrüster für die Raumstation ISS und für das europäische Stationsmodul Columbus. Weitere Großprojekte wurden der Wettersatellit Meteosat und die Zusammenarbeit mit der Deutschen Flugsicherung. Mit einem gemeinsam entwickelten System landete in Bremen erstmals in Europa ein Passagierflugzeug mit Hilfe eines Satelliten statt mit Bodensystemen. In der Versuchsphase wird das konventionelle Landesystem mit Sendern, die am Ende und am Rand der Landebahn stehen, parallel geschaltet; sie ziehen das Flugzeug auch bei schlechtem Wetter auf die Landebahn.
Der Vorstandschef Marco Fuchs weist auf schlanke Hierarchien und volle Kapazitäten; OHB habe frühzeitig Trends erkannt bei erdnahen und geostationären Kleinsatelliten. Es entwickelte BremSat gemeinsam mit dem Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation der Universität Bremen – eine Symbiose von Industrie und universitärer Forschung. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt als Großforschungseinrichtung des Bundes trägt im Technologiepark der Universität ein Institut für Raumfahrtsysteme, das zu 90 Prozent vom Bund und zu zehn Prozent vom Land Bremen finanziert wird. Das Institut wollte eine Lücke in der deutschen Raumfahrtsystemtechnik schließen mit seiner Konzentration auf die Systemtechnik für Raumfahrtsysteme und orbitale Systeme wie Satelliten.
Bremen ist Zentrum der Raumfahrt in Deutschland: Endgültig klar wurde das mit dem Bau des Galileo-Systems, anfangs gegen erhebliche Widerstände aus den Vereinigten Staaten. So will Europa unabhängiger werden vom amerikanischen GPS-System und einem russischen Rivalen. Die Europäische Union und die Europäische Weltraumorganisation ESA beschlossen gemeinsam ein europäisches globales Satellitennavigations- und Zeitgebungssystem unter ziviler Kontrolle. Eine Agentur mit Sitz in Prag steuert die Satelliten und Bodenstationen. Weltweit soll Galileo auch über Smartphones eine genaue Positionsbestimmung erlauben – für zivile Zwecke auf dem offenen Kanal bis auf vier Meter genau. Zudem wird Galileo der Luft- und Schifffahrt und dem Schienenverkehr zur Verfügung stehen sowie der Polizei, der Küstenwache, Friedenstruppen und europäischen Geheimdiensten. 30 Satelliten werden alsbald die Erde in einer Höhe von 23 Kilometer umkreisen. Astrium wiederum sollte die Träger-Rakete Ariane 5 für die Starts vorbereiten – beide Großaufträge also gingen nach Bremen.
Bremen als Zentrum der Raumfahrt und der Meerestechnologie ist international, praxisorientiert, fächerübergreifend, experimentierfreudig. Nicht ohne Grund richtete die Forschervereinigung Cospar ihren weltweit größten Fachkongress mit 3500 Weltraumwissenschaftlern 2010 in Bremen aus. Wer das wissenschaftlich begleiten will, geht zum Raumfahrthistorischen Archiv Bremen, das jährlich ein Buch zur Bremer Raumfahrtgeschichte veröffentlicht.
Symbol der Universität ist ein 146 Meter hoher Fallturm des Zentrums für Raumfahrttechnologie, einzigartig in Europa. Für einige Sekunden herrscht in der Fallkapsel der stählernen Fallröhre Schwerelosigkeit – näher an der völligen Schwerelosigkeit denn auf der Raumstation ISS und genauer als vergleichbare Falltürme in Nordamerika und China. Jährlich kommt es dort zu rund 400 Abwürfen für Experimente von der Grundlagenforschung bis zur Entwicklung von Produkten. Dabei geht es um schnell ablaufende Prozesse auch in der Raumfahrttechnologie – Experimente im Weltraum auf der Internationalen Raumstation werden hier vorbereitet. Samstags und Sonntags kann hier aber auch standesamtlich geheiratet werden in der gläsernen Panorama-Lounge.
Seit 2013 könnten Satelliten vom Weltall aus Flugzeuge auch dann orten, wenn sie über abgelegene Ozeane fliegen, die nicht vom Radar erfassbar sind. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Bremen hat zusammen mit einem Schwesterinstitut in Braunschweig ein Gerät entwickelt, das spezielle Funksignale auffängt. Schon jetzt strahlt fast jedes Flugzeug mit Transpondern Signale aus, was von 2015 an für alle Flugzeuge vorgeschrieben ist. Der Satellit Proba-V der ESA, der aus 820 Kilometer Höhe vor allem die Vegetation beobachten soll, hat dieses Empfangsgerät an Bord. Die Daten erfassen neben den Positionen auch die Höhe und Geschwindigkeit der Flugzeuge. Sie wären für Fluggesellschaften nicht nur bei der Ortung von – äußerst seltenen – Abstürzen an unbekanntem Ort nützlich, sondern auch bei Flugrouten: In Regionen mit fehlendem Radarempfang, also über Ozeanen und in Ländern mit mangelhafter Infrastruktur, müssen Flugrouten in großer Distanz voneinander geführt werden. Ein ähnliches Vorhaben planen die Bremer für die Ortung von Schiffssignalen.
Dieser Text erschein zuerst auf dem Portal The European; er ist ein Auszug aus: Robert von Lucius, Zwischen Weser und Weltraum. Streifzüge durch Bremen. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2015.