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Brexit: Britische Buchmacher setzen auf Verbleib in der EU

Eigentlich sollte es an der Börse nicht wie im Wettbüro zugehen. Rationale Anlegerentscheidungen sollten dominieren, solide Wahrscheinlichkeitsrechnung sollte zugrundeliegen, wenn es um Zertifikate geht, Gegenbewegungen sollten durch Depotbeimischung klug bedacht sein. Der Buchmacher hat an der Börse nichts zu suchen. Außer, wenn es um Großbritannien geht – und um den Brexit.

BÖRSE am Sonntag

Eigentlich sollte es an der Börse nicht wie im Wettbüro zugehen. Rationale Anlegerentscheidungen sollten dominieren, solide Wahrscheinlichkeitsrechnung sollte zugrundeliegen, wenn es um Zertifikate geht, Gegenbewegungen sollten durch Depotbeimischung klug bedacht sein. Der Buchmacher hat an der Börse nichts zu suchen. Außer, wenn es um Großbritannien geht – und um den Brexit. Die Chefkorrespondentin Börse des Handelsblatts, Jessica Schwarzer, analysiert.

Noch immer herrscht großes Rätselraten darüber, ob Großbritannien in der Europäischen Union bleibt oder nicht. Am 23. Juni stimmen die Briten ab, doch in den öffentlichen Medien und Meinungsumfragen ist noch immer keine klare Tendenz erkennbar, wie das Brexit-Referendum ausgeht. Nicht nur in der Politik sorgt diese Ungewissheit für Nervosität. Auch Investoren schauen gespannt nach London und hoffen auf klare Signale – möglichst schon vor dem Abstimmungstag. Schließlich ist Unsicherheit etwas, das Börsianer gar nicht mögen.

Und deshalb wählen Dachfondsmanager Eckhard Sauren und sein Team bei Sauren Fonds-Research ein für Finanzexperten eher ungewöhnliches Instrument, um zu einer aussagekräftigen Prognose zu kommen. „Wer die Wahrscheinlichkeit eines Brexit beurteilen möchte, sollte nicht nach den Meinungsumfragen schauen, sondern nach den Buchmacherkursen“, sagt Sauren. „Diese berücksichtigen die Meinungsumfragen, haben darüber hinaus einen Prognosecharakter und werden von professionellen Marktteilnehmern gemacht, deren Geschäftsgrundlage es ist, Wahrscheinlichkeiten gut einzuschätzen.“

Das Sauren-Team hat eine relativ einfache Systematik aufgebaut, die die Buchmacherquoten von 20 bedeutenden englischen Buchmachern inklusive der drei größten englischen Wettbörsen analysiert und in eine Durchschnittswahrscheinlichkeit umrechnet. So können sie Tag für Tag eine relativ starke Aussage darüber treffen, wie die Wahrscheinlichkeit eines Brexits von professionellen Marktteilnehmern eingeschätzt wird.

Nur 21 Prozent Wahrscheinlichkeit für Brexit

Und dabei kommt Erstaunliches heraus: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Briten für den Verbleib in der Europäischen Union stimmen, liegt aktuell bei 79 Prozent. Die Gefahr, dass es zum Brexit kommt, dümpelt entsprechend bei 21 Prozent herum. Das wäre ein sehr klares Votum, vor allem im Vergleich mit den jüngsten Umfragen der Meinungsforschungsinstitute. Die hatten zuletzt zwar auch auf einen Verbleib in der EU hingedeutet, mit 55 Prozent war das Ergebnis aber deutlich knapper. Zumal 40 Prozent der Befragten demnach für den Brexit stimmen würden.

„Die Wählerbefragungen zeigen im Hinblick auf den Ausgang des Referendums keine klare Tendenz“, sagt auch Harald Preißler, Chefvolkswirt und Leiter Anlagemanagement beim Fondshaus Bantleon. Doch er ist optimistisch. „Wir rechnen in unserem Szenario damit, dass es nicht zu einem EU-Austritt kommt – aus britischer Sicht übersteigen die potentiellen Kosten den vermeintlichen Nutzen um ein Vielfaches.“

Risiko für die Briten, nicht für die EU

Käme es doch zu einem Brexit, wären die realwirtschaftlichen Folgen für die Euro-Zone beherrschbar, ist Preißler überzeugt. Zwar sei Großbritannien neben den USA der wichtigste Exportmarkt für die Währungsunion. „Dennoch sollte der zu erwartende Einbruch der britischen Wirtschaftsleistung um rund zwei Prozent das Wachstum in der Euro-Zone lediglich um einen Viertel Prozentpunkt dämpfen“, sagt der Bantleon-Chefvolkswirt. Insofern seien die Risiken für die britische Wirtschaft eindeutig höher als für die EU-Staaten.

Etwas turbulenter dürften die Finanzmärkte auf einen Brexit reagieren. Preißler erwartet eine starke Abwertung des britischen Pfundes gegenüber allen anderen Hauptwährungen. Und auch die Aktienmärkte dürften zumindest vorübergehend unter Druck geraten – vor allem die Londoner Börse. Markus Herrmann, Chef-Analyst der Landesbank Baden-Württemberg, hält ein Minus von 30 bis 40 Prozent für möglich. Da es wegen der zweijährigen Übergangsfrist vor dem endgültigen EU-Austritt keine kurzfristigen handelspolitischen Konsequenzen gibt, sollte der Schock aber nur kurz währen, betont Finanzmarkt-Experte Jörg Rahn von Bankhaus Marcard, Stein & Co. Außer für Großbritannien seien die Effekte marginal.

Professionelle Anleger agieren mit Blick auf den möglichen Brexit sehr vorsichtig. Investmentfonds haben ihre Anteile an britischen Wertpapieren auf das niedrigste Niveau seit November 2008 heruntergefahren, wie aus einer monatlichen Umfrage von Bank of America Merrill Lynch hervorgeht. Die Bank befragte 205 Häuser mit einem verwalteten Fondsvermögen von 619 Milliarden Dollar. Die Teilnehmer der Studie sehen in einem möglichen Brexit ein größeres Risiko für die Weltwirtschaft als in einer weiteren Abkühlung der chinesischen Konjunktur und einer Abwertung der dortigen Währung.

Verbleib in der EU würde Kursfeuerwerk auslösen

Auch an den Anleihemärkten erwartet Preißler im Falle eines „Ja“ zum Brexit einen vorübergehenden Anstieg der Risikoprämien. Er rechnet aber nicht mit dauerhaften Verwerfungen an den Märkten. „Mittel- bis längerfristig wird sich die Lage wieder normalisieren – mit einer nachhaltigen Korrektur der Finanzmärkte infolge eines Brexits rechnen wir daher nicht“, sagt der Bantleon-Experte. Sollten die Buchmacher aber recht behalten und die Briten sprechen sich sehr klar gegen einen Brexit aus, dürften die Märkte das feiern. Eckhard Sauren glaubt auch eher an dieses Szenario: „Der Brexit wäre schlecht für Europa, aktuell sieht es jedoch nicht danach aus.“ Handelsblatt / Jessica Schwarzer / Vorspann: sig