Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Märkte >

Brexit: Immobilienfonds ziehen Notbremse

Milliardenschwerere Immobilienfonds in Großbritannien lassen Kunden kein Geld mehr aus den Anlageobjekten abziehen. Die Preise an der Themse geraten ins Rutschen, und die Anleger sind nun in der Krise gefangen. Mehrere Gesellschaften sind betroffen. Deutsche Immobilienfonds beruhigen ihre Anleger, noch. Es klingt nach dem Pfeifen im Walde.

BÖRSE am Sonntag

Milliardenschwerere Immobilienfonds in Großbritannien lassen Kunden kein Geld mehr aus den Anlageobjekten abziehen. Die Preise an der Themse geraten ins Rutschen, und die Anleger sind nun in der Krise gefangen. Mehrere Gesellschaften sind betroffen. Deutsche Immobilienfonds beruhigen ihre Anleger, noch. Es klingt nach dem Pfeifen im Walde.

Zunächst hatte am Montag die britische Investmentgesellschaft Standard Life Investments den Handel mit Anteilen an einem umgerechnet 3,4 Milliarden Euro schweren Immobilienfonds eingestellt. Grund: Seit dem EU-Referendum in der vorvergangenen Woche sind die Anteilverkäufe in die Höhe geschnellt. 51,9 Prozent der Briten hatten sich für einen Austritt aus der Europäischen Union entschieden, daraufhin war das Pfund von 1,50 Dollar auf 1,31 Dollar gestürzt und Zweifel an den Immobilienbewertungen vor allem in London aufgekommen.

Am Dienstag folgten zwei weitere Vermögensverwalter. Sowohl Aviva als auch M&G Investments schlossen Fonds. Der betroffene M&G Property Portfolio ist mit einem Volumen von umgerechnet 5,2 Milliarden Euro der größte Immobilienfonds des Landes für Privatanleger. Die Tochter des Versicherungskonzerns Prudential begründete den Beschluss damit, dass die Zahl der Kunden, die Anteile abgeben, deutlich angezogen war. Um Notverkäufe aus dem Immobilienbestand zu vermeiden, können Fondsgesellschaften die Verkäufe von Anteilen stoppen. Beim ebenfalls betroffenen „Aviva Investors Property Trust“ sei der Bargeldbestand wegen der „außergewöhnlichen Marktumstände“ stark geschrumpft, so ein Firmensprecher.

Der zunächst geschlossene Fonds „Standard Life UK Real Estate Fund“ investiert beispielsweise in Gewerbeimmobilien in besten Lagen. Der Handel war schon am Montagmittag eingestellt worden. Die Entscheidung über eine mögliche Wiedereröffnung wird bei allen betroffenen Fonds im Abstand von 28 Tagen getroffen. Standard Life hatte bereits in der vergangenen Woche die Vermögenswerte des Fonds um fünf Prozent nach unten korrigiert. „Die Gefahr ist, dass dies erst der Anfang ist und wir mehr Immobilienfonds mit ähnlichen Reaktionen in den kommenden Wochen und Monaten sehen werden“, hatte Laith Khalaf, Analyst bei der Investmentfirma Hargreaves Landsdown gesagt – und sollte schon am Dienstag recht bekommen.

Standard Life hatte am Montag mitgeteilt, dass der Fonds wegen der „erhöhten Abflüsse als Folge der Unsicherheit für den britischen Gewerbeimmobilienmarkt“ erfolgt sei. Das Unternehmen sicherte aber weiter eine Ausschüttung zu, die zuletzt 3,86 Prozent jährlich betragen habe. Allerdings hätten Verkäufe gestoppt werden müssen, um Investoren zu schützen. Der Fonds hatte zum Stichtag 31. Mai über 13 Prozent Liquidität verfügt.

Erinnerungen an das Jahr 2008 werden wach

Die Pleite der Investmentbank Lehman war der Anfang, im anschließenden Chaos an den Finanzmärkten verweigerten vor rund acht Jahren mehrere offene Immobilienfonds die Anteilsrücknahme, inzwischen werden sie abgewickelt. Die Verluste für die Anleger sind teils dramatisch. Und die Lage ist nun beinahe wieder wie 2008: Gegenwärtig schwimmen die deutschen offenen Immobilienfonds im Geld und verweigern teilweise sogar die Annahme von neuem Anlegergeld, weil sie nicht wissen, wohin sie die wegen des Zinstiefs anschnellenden Investments der Kunden so schnell stecken sollen.

Stellvertretend für die anderen Fondsgesellschaften Commerz Real, Deka Bank und Union Investment Real Estate (UIRE), sagt Ulrich von Creytz, Geschäftsführer im Fondsmanagement der Deutschen Bank: „Wir haben nach der Brexit-Entscheidung keine erhöhten Anteilsrückgaben und erwarten auch keine.“ Er fürchtet auch keine Auswirkungen auf die Werte der Fondsimmobilien in Großbritannien. Im Deutsche-Bank-Fonds Grundbesitz Europa entfällt und knapp ein Fünftel des Fondsvermögens auf britische Gebäude, im Grundbesitz Global fast ein Zehntel. Die Fondsimmobilien der Deutschen Bank werden in vierteljährlichem Rhythmus bewertet.

Auch die Fondsmanager von UIRE sehen derzeit „für eine bevorstehende Abwertung der britischen Immobilien keinerlei Anzeichen - und auch keine nachvollziehbaren Gründe“. Dagegen erwartet Frank Pörschke, Deutschland-Chef des Immobiliendienstleisters JLLImmobilien durchaus Wertverluste für Immobilien in Großbritannien. „Zehn Prozent werden es sein“, sagte er auf der Handelsblatt-Immobilientagung in der vergangenen Woche.

Preisrückgänge nur Anzeichen für Normalisierung?

Ob abgewertet wird, entscheiden von den Fondsgesellschaften unabhängige Immobiliensachverständige. Sollten sie die Werte herunterschreiben, geben auch die Anteilswerte entsprechend nach. Commerz Real, Immobilienfondstocher der Commerzbank, erwartet Preisrückgänge, sieht die aber eher als Normalisierung des Marktes und als Chance, günstig zu kaufen. Zumindest kurzfristig rechnet auch Sonja Knorr, Immobilienanalystin der Ratingagentur Scope, nicht mit signifikanten Wertanpassungen in den Fonds-Portfolios aufgrund des positiven Brexit-Referendums. Unter anderem, weil Vergleichswerte aus anderen Transaktionen fehlen: Derzeit ist es ungewöhnlich ruhig auf dem Londoner Investmentmarkt. Das Bewertungssystem der offenen Immobilienfonds ist grundsätzlich so angelegt, dass es Bewertungsspitzen kappt.

Die Gefahr, dass die Anteilswerte sinken, weil das Pfund an Wert verliert, ist gebannt. „Unsere Immobilien in Großbritannien sind gegen fallende Kurse des Pfund komplett durch Devisentermingeschäfte abgesichert“, erläutert von Creytz. Dies gilt auch für die Fonds der Wettbewerber, unter denen der Hausinvest der Commerz Real mit 25 Prozent den größten Großbritannien-Anteil hat.

Zum Null-Tarif gibt es die Kursabsicherung nicht: „Die Absicherung der Pfund-Werte kostet den Anleger rund 0,2 Prozentpunkte Rendite. Die Rendite-Verluste ohne Währungssicherung wären um ein vielfaches höher gewesen“, begründet von Creytz das Sicherungsgeschäft. Die Fondsgesellschaften haben lange vor der Brexit-Diskussion ihre Werte in fremden Währungen abgesichert. Handelsblatt / Reiner Reichel