Dax im Höhenflug: Diese Unternehmen verdienen gewaltig
Die Wirtschaftsdaten werden immer schlechter – und an der Börse purzeln die Rekorde. Wie dieser Widerspruch zustande kommt, warum die meisten von uns darunter leidet und ob man selbst davon mit Aktien noch profitieren kann.
Die Wirtschaftsdaten werden immer schlechter – und an der Börse purzeln die Rekorde. Wie dieser Widerspruch zustande kommt, warum die meisten von uns darunter leidet und ob man selbst davon mit Aktien noch profitieren kann.
Bei Wirtschaftsdaten kommt es oft auf die Nachkommastelle an. Und so hat die aktuelle Prognose des renommierten Ifo Instituts für Aufsehen gesorgt, obwohl die Veränderung marginal erscheint: Die deutsche Wirtschaft dürfte laut der Forscher in diesem Jahr um 0,4 Prozent sinken. Im Frühjahr hatten sie noch mit einem Minus von 0,1 Prozent gerechnet. „Die deutsche Wirtschaft arbeitet sich nur ganz langsam aus der Rezession heraus“, sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser.
Schuld daran ist die Teuerung: Die Inflation wird 2023 nur langsam zurückgehen auf 5,8 Prozent – nach knapp sieben Prozent im vergangenen Jahr. 2024 soll sie laut Ifo bei gut zwei Prozent sein, was dem Zielbild der Europäischen Zentralbank entsprechen würde. „Wegen der hohen Inflation sinkt der private Konsum in diesem Jahr um 1,7 Prozent. Erst 2024 wird er wieder zunehmen“, sagt Wollmershäuser.
Insbesondere die Preise für Lebensmittel steigen besonders stark an und das führt dazu, dass nicht zwingend notwendige Einkäufe ausbleiben. Viele Menschen halten ihr Geld zusammen. Erst ab der zweiten Hälfte des laufenden Jahres dürften die Einkommen der privaten Haushalte wieder stärker zulegen als die Preise. Vor allem die Baubranche ist unter Druck, die Investitionen werden auch 2023 und 2024 laut Ifo weiter schrumpfen. Der Mix aus steigenden Zinsen und höheren Preisen für Vorprodukte schreckt ab. Auch weltweit sieht die Lage nicht gerade rosig aus: In China grassiert eine hohe Arbeitslosigkeit unter den jungen Menschen. In den USA droht eine Rezession. Und globale Risiken lasten zusätzlich auf der Stimmung – beim Krieg in der Ukraine scheint kein Ende in Sicht.
All das kann dem deutschen Aktienmarkt nicht viel anhaben. Seit Oktober 2022 ist der Leitindex Dax um mehr als 35 Prozent gestiegen. Vergangene Woche gab es gleich zweimal ein neues Rekordhoch. Wie passt das zusammen? Der Leitindex spiegelt nicht die Lage der meisten Unternehmen hierzulande wider. Viele der 40 dort gelisteten Konzerne verdienen ihr Geld nicht mit deutschen Konsumenten, sondern international. Und sie können steigenden Preise an ihre Kunden weitergeben. So stiegen Umsätze und Gewinne trotz der Rezession in Deutschland im Dax an: 2022 haben die 40 Firmen gut 117 Milliarden Euro Nettogewinn gemacht, nur einmal in der Geschichte des Dax verdienten sie mehr. In diesem Jahr könnte es laut Börsianern sogar einen Gewinn von 125 Milliarden Euro geben.
Zu den Top-Unternehmen mit der höchsten Gewinn-Dynamik gehört Siemens, denn bei den Münchener brummt vor allem die wichtigste Sparte: das Industriegeschäft. Das Ergebnis stieg im ersten Quartal dieses Jahres um satte 50 Prozent. Analysten rechnen für 2023 mit einem Nettogewinn von 8,5 Milliarden Euro. So rasant stiegen die Gewinnschätzungen der Fachleute bei keinem anderen deutschen Unternehmen. Aufträge im Rahmen von über 100 Milliarden Euro sprechen dafür, dass die guten Zeiten nicht so schnell vorbeigehen. Qualität zahlt sich hier aus: Siemens kann höhere Preise bei seinen Kunden gut durchsetzen.
Während der Corona-Pandemie musste die Lufthansa vom Steuerzahler gerettet werden. Diese Überbrückung hat sich gelohnt: Die Airline schreibt im positiven Sinne Rekorde. Für 2023 rechnet der Dax-Konzern mit Verkehrserlösen, die höher sind als je zuvor. Chef Carsten Spohr rechnet mit dem „umsatzstärksten Sommer in der Unternehmensgeschichte“. Wer sich die Zahlen der Fluglinie im Detail anschaut, erkennt schnell, wer den Preis dafür bezahlt: Dasselbe Ticket kostet heute im Durchschnitt 19 Prozent mehr als 2019 – und auch das war schon ein Boomjahr. Passagiere akzeptieren höhere Preise. Die Rezession findet woanders statt, nicht beim Fliegen. Ein Risiko lauert allerdings im eigenen Haus: Es könnte bald zu Streiks der Piloten kommen. Deren Gewerkschaft Cockpit fackelt da bekanntlich nicht lange, was die Verhandlungen für die Lufthansa-Führung nicht einfacher macht.
Noch ein weiteres langjähriges Sorgenkind mutiert in diesen Monaten zur Gewinnmaschine: die Commerzbank. Die steigenden Zinsen helfen dem Geldhaus, die Margen zu päppeln. Der Zinsüberschuss lag im ersten Quartal rund 40 Prozent über dem des Vorjahreszeitraums. Auch hier müssen Kunden bluten: Die Commerzbank gibt die steigenden Zinsen, wie andere Banken auch, nicht vollumfänglich an die Kunden weiter. Mit der Differenz lässt sich prächtig verdienen. Beim Mittelstandsgeschäft blieben Firmenpleiten bisher aus, was sich jedoch bald ändern und die Commerzbank empfindlich treffen könnte.
Am Bau herrscht eher Blues, aber Zement wird dennoch gebraucht. Davon profitiert Heidelberg Materials, besser bekannt unter dem früheren Namen Heidelberg Zement. Der Baustoffhersteller kann steigende Preise gut durchsetzen und verdiente im ersten Quartal 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Heidelberg Materials ist vor allem bei Infrastrukturprojekten aktiv und da gibt es reichlich Bedarf – Stichwort Autobahnbrücken. Zudem investiert die amerikanische Regierung sehr viel in Nachhaltigkeit, was dem Konzern hilft, der in den USA stark vertreten ist. Die Gewinnerwartungen für 2023 stiegen um gut ein Drittel – und der Aktienkurs gleich mit.
Auch über Infineon wurde in den vergangenen Jahren viel Kritisches geschrieben. Derzeit erhöht der Halbleiterhersteller regelmäßig seine Gewinnprognosen. Alle Welt braucht Halbleiter – vor allem die Autohersteller, denn Elektrofahrzeuge brauchen viel mehr Chips als Verbrenner. Und die werden bekanntlich immer häufiger gebaut. Der Rekordgewinn von netto 2,2 Milliarden Euro im vergangenen Jahr dürfte in diesem auf drei Milliarden Euro steigen.
Der Star unter den wichtigsten an der Börse notierten deutschen Firmen ist aber SMA Solar. Für keinen anderen Konzern im Dax und MDax haben Analysten ihre Prognose seit Jahresbeginn so stark erhöht. Kunden rennen dem Hersteller von Solartechnik die Bude ein, Energiewende sei Dank. Das Konzernergebnis vervielfachte sich und mit zweieinhalb Milliarden Euro ist der Auftragsbestand mehr als doppelt so hoch wie 2022.
Dennoch warnen Börsianer davor, nun vogelwild in den Dax zu investieren. Die Mehrheit der Anlagestrategen sieht die Lage an den Finanzmärkten kritisch. Der Aufwärtstrend gilt als fragil. Ein Grund ist, dass die Europäische Zentralbank erneut die Zinsen erhöhte, was Investitionen für Unternehmen erschwert und den privaten Konsum belastet. Zudem gilt der Dax als überverkauft, weil er seit einem Dreivierteljahr praktisch ununterbrochen anstieg. So etwas ist sehr ungewöhnlich. Aber was heißt das schon in diesen widersprüchlichen Zeiten?
Thorsten Giersch
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