Die bedeutendsten europäischen Börsenplätze und ihre unbekannten Geschwister
Das Wort Börsenhandel verbinden die meisten Anleger noch immer mit dem Bild eines turbulenten und leicht chaotischen Parketthandels mit Aktien. Es wird laut gerufen, und die Händler stehen, ihre Zettel schwenkend, in großen Trauben in einem großen Saal, an dessen Wänden Kursbänder die aktuellen Aktienkurse anzeigen. Fragt man nun, wo sich diese Räumlichkeiten befinden, werden wahrscheinlich die bekannten und alterwürdigen Börsengebäude in London, Frankfurt und Amsterdam genannt. Doch diese Vorstellung ist längst überholt.
Das Wort Börsenhandel verbinden die meisten Anleger noch immer mit dem Bild eines turbulenten und leicht chaotischen Parketthandels mit Aktien. Es wird laut gerufen, und die Händler stehen, ihre Zettel schwenkend, in großen Trauben in einem großen Saal, an dessen Wänden Kursbänder die aktuellen Aktienkurse anzeigen. Fragt man nun, wo sich diese Räumlichkeiten befinden, werden wahrscheinlich die bekannten und alterwürdigen Börsengebäude in London, Frankfurt und Amsterdam genannt. Doch diese Vorstellung ist längst überholt.
Computerhandel dominiert
Bereits im Jahr 2001 wurde in Deutschland der Handel via Makler und elektronischem Handelssystem (Xetra) gleichgestellt. Was juristisch nach einer gütlichen Aufteilung klingt, hat jedoch mit der Wirklichkeit nicht viel gemein. Denn auf Xetra entfällt längst der Löwenanteil des Handels: Im März 2008 wurden beispielsweise insgesamt 190,5 Milliarden Euro in Aktien umgesetzt – 185 Milliarden davon liefen über Xetra. Und diese Entwicklung ist keineswegs auf Deutschland begrenzt. Weltweit, in Mexico City, Tokio und Wien, wird das Parkett durch Computerplattformen ersetzt. An nicht wenigen Handelsplätzen schließt man gleich die ganze Börse, beispielsweise in Genf oder Basel. Mittlerweile ist Frankfurt sogar die einzige große Börse in Europa, an der es überhaupt noch einen Handelssaal gibt. Konsolidierung kommt Paris teuer zu stehen Mit dem Bedeutungsverlust des Parketthandels setzte auch bei den Börsenbetreibern eine Konsolidierungswelle ein. So wurde am 22. September 2000 die Euronext durch die Fusion der Börsen von Amsterdam, Brüssel und Paris gegründet. Trotz weiterer Übernahmen der Euronext in den Folgejahren und dem Aufstieg zur größten grenzüberschreitenden Börse Europas wurde man am Ende faktisch selbst geschluckt: Durch die Fusion mit der berühmten New York Stock Exchange (NYSE) am 4. April 2007 entstand zunächst der erste transatlantische Börsenbetreiber in der Geschichte. Als zweites Zentrum neben New York schien der Standort Paris damit endlich aus dem Schatten Londons und Frankfurts treten zu können. Doch nachdem das Gemeinschaftsunternehmen Anfang 2008 die American Stock Exchange (AMEX) übernahm, verlor der europäische Teil deutlich an Gewicht. Ablesen lässt sich dies an der nur sechs Monate später verkündeten Entscheidung der NYSE Euronext, das wichtige Rechenzentrum zur Abwicklung des Aktien- und Rentenhandels von Paris nach London zu verlegen. Damit geht Paris nicht nur das Herzstück einer modernen elektronischen Börsenplattform verloren, sondern es drohen auch Nachzieheffekte.
Die fünf wichtigsten Orte für den Aktienhandel
Zwar wird in der Statistik für den Aktienhandel der europäische Umsatz der NYSE Euronext von der World Federation of Exchanges (WFE) noch getrennt aufgeführt, im Hinblick auf die tatsächlichen Verhältnisse ist dieses Volumen jedoch wohl eher den Börsenplätzen New York beziehungsweise London zuzurechnen. Dessen ungeachtet liegt der Börsenplatz London, mit der London Stock Exchange (LSE), trotzdem deutlich vor dem zweitplatzierten, der Deutschen Börse in Frankfurt, die wiederum deutlich vor der an dritter Stelle rangierenden NYSE Euronext (Europe) rangiert. Auf den Plätzen vier und fünf liegen dann die spanischen Börsen (BME Spanish Exchanges) und die Schweizer SIX (Swiss Exchange). Nach London, Frankfurt und Paris spielen also die Finanzplätze Madrid und Zürich in Europa eine große Rolle.
Gewicht von Derivate- und Rohstoffbörsen steigt
Die Statistiken der WFE werden den tatsächlichen Machtverhältnissen jedoch auch aus anderen Gründen nicht gerecht. So hat der Derivatehandel in den letzten Jahrzehnten eine immer größere Bedeutung erlangt: Weltweit stieg das gehandelte Derivatevolumen laut Kienbaum Consultants von rund zehn Billionen US-Dollar im Jahr 1990 auf circa 160 Billionen US-Dollar im Jahr 2006! Diese, im Zuge der Finanzkrise besonders ins Licht der Öffentlichkeit gerückten, Finanzprodukte werden zwar auch im großen Stil abseits der Börsen gehandelt, nichtsdestotrotz stiegen auch die börsengehandelten Volumina in den letzten Jahren explosionsartig an. Und auf diesem Gebiet gibt es in Europa lediglich zwei bedeutende Player, die auch international ganz vorn mitmischen: Die EUREX, eine Tochter der Deutschen Börse und der Schweizer SIX und die in London ansässige London International Financial Futures Exchange (LIFFE), eine Tochter der NYSE Euronext. Im Gegensatz zu Frankfurt nimmt das Finanzzentrum an der Themse, mit der London Metal Exchange (LME), auch auf dem Gebiet des Rohstoffhandels eine wichtige Position in Europa und der Welt ein. Die Entdeckung der Commodities als eigene Assetklasse und der zunehmende Anteil spekulativer Geschäfte am Rohstoffhandel haben auch die Bedeutung der Rohstoffbörsen enorm gesteigert – eine Entwicklung, die sich in Zukunft weiter fortsetzen dürfte. Da die Deutsche Börse London auf diesem Gebiet nichts entgegenzusetzen hat, verwundert es nicht, dass die Frankfurter immer wieder versucht haben, eine der großen amerikanischen Terminbörsen zu übernehmen. Bislang jedoch ohne Erfolg. Doch es gibt noch weitere kaum bekannte Schwergewichte unter den Handelsplattformen.
Schneller, moderner und günstiger
Seit der gesetzlichen Zulassung von sogenannten multilateralen Handelssystemen (MTF) in Europa haben Banken und Hedgefonds eigene Handelsplattformen gegründet, um im Börsenhandel für mehr Wettbewerb zu sorgen. Die MTFs konnten nach ihrem Start dank modernster Technologie und günstiger Gebühren schnell Marktanteile gewinnen und haben ihren eigentlichen Zweck inzwischen erfüllt: Die Gebühren für Kapitalmarkttransaktionen der Großanleger sind gesunken und die Effizienz bei der Abwicklung wurde gesteigert. Der erfolgreichste Emporkömmling ist die Chi-X, die im Jahr 2007 gestartet ist. Nach den etablierten Börsen in London, Frankfurt und der NYSE Euronext ist Chi-X in Europa mittlerweile zum viertgrößten Handelsplatz für Aktien aufgestiegen. Und sie wirbeln die Branche weiterhin kräftig durcheinander.
Der Schnellere gewinnt
So wird der Aufstieg der MTFs, neben Chi-X spielen in diesem Segment vor allem Tourquoise und BATS Europe eine Rolle, auch als Grund für den oben genannten Umzug des Rechenzentrums der NYESE Euronext von Paris nach London genannt. Denn im computergestützten Hightech-Handel geht es mittlerweile um Millisekunden. Es spielt daher eine Rolle, dass Informationen, die sich in den Glasfasernetzen immerhin mit Lichtgeschwindigkeit übermitteln lassen, für 100 Kilometer Kabel ungefähr eine Millisekunde benötigen. Bei gleicher technischer Kapazität ist also der Marktteilnehmer am schnellsten, der die schnellste und/oder kürzeste Datenleitung zum Rechenzentrum der Börse besitzt: „Mittlerweile befinden sich bestimmte Kundengruppen in einem Hightech-Rennen um die besten Algorithmen, die schnellsten Leitungen und die besten Rechner“, äußerte sich bereits im Jahr 2006 ein Vorstand des Systemhauses der Deutschen Börse.
And the winner is:
Unter Berücksichtung der verschiedenen Börsenarten wird deutlich, welche enorme Bedeutung dem Finanzplatz London in Europa, aber auch international zukommt. An zweiter Stelle folgt – mit deutlichem Abstand – Frankfurt. Trotz der jüngsten Entwicklungen rund um die NYSE Euronext rangiert der Börsenplatz Paris noch vor Madrid und Zürich. Zumindest im Bondhandel haben die beiden Letzteren allerdings die Nase deutlich vorn. Auf diesem Gebiet sind die Spanier noch vor der LSE die Nummer eins in Europa.