Die fünf wichtigsten Lehren aus der Lehman-Pleite
In diesen Tagen wird des 10. Jahrestages eines spektakulären Bankzusammenbruchs in New York gedacht. Es geht um das Traditionsbankhaus der aus Deutschland eingewanderten Brüder Lehmann, danach so bekannt wie legendär als „Lehman Brothers“. In den Erinnerungen dieser Tage ist ein gewisser Themenwechsel zu beobachten, weg von der Skandalberichterstattung, hin zu makroökonomischen Betrachtungen. Christopher Smart fragt besorgt: Reicht das?
In diesen Tagen wird in einer Reihe von Rückblicken des 10. Jahrestages eines spektakulären Bankzusammenbruchs in New York gedacht. Es geht um das Traditionsbankhaus der aus Deutschland eingewanderten Brüder Lehmann, danach so bekannt wie legendär als „Lehman Brothers“. In den Erinnerungen dieser Tage ist ein gewisser Themenwechsel zu beobachten. Aber reicht das?
Von Christopher Smart
War zunächst von den traumatischen Erfahrungen jener Wochen zu hören und von den Politikern, die ins Gefängnis gehört hätten, ging es dann um die Vor- und Nachteile der US-amerikanischen Verbraucherschutzorganisation für Finanzdienstleistungen, das Consumer Financial Protection Bureau. War das schon ein abrupter Wandel, sollten die eigentlichen Lehren jedoch die Marktdynamik und die menschliche Natur betreffen. Das würde dann bedeuten, dass wirklich Lehren aus diesem so exemplarischen wie dramatischen Ereignis gezogen würden. Hier sind meine fünf wichtigsten Lehren aus der Lehman-Pleite.
1. Man beachte das Gesetz der Schwerkraft
Wenn ein Gegenstand aus großer Höhe herabfällt, ist ein enormer Puffer nötig, um den Aufprall abzufedern. Bei Banken, die sich allzu sehr verschuldet hatten, konnte man kaum davon ausgehen, dass sie den Aufprall überleben – und das war auch nicht der Fall. Die angemessene Höhe des verlustabsorbierenden Kapitals, das vorgehalten werden muss, wird stets Anlass zu Diskussionen geben, aber es ist fast immer mehr Kapital erforderlich, als man denkt.
2. Investitionen in solide Strukturen sind immer eine gute Idee
Die chaotischen Zustände während der Finanzkrise wurden durch den Umstand verschärft, dass bei vielen Transaktionen niemand mehr wusste, wer die Gegenposition einnahm. Die Einrichtung zentraler Clearingstellen für Derivate sorgte für eine deutliche Verbesserung der Transparenz in der Finanzbranche. Wenn eine Gegenpartei in Schwierigkeiten gerät, kommen keine Zweifel mehr an den Finanzflüssen im gesamten System auf.
3. Pendel schwingen – und überschwingen
Zu viel Regulierung bedeutet natürlich das Ende von Innovation und Wachstum. Zu wenig Regulierung führt zu Nachlässigkeit und Betrug. Es gibt viel am Dodd-Frank-Act auszusetzen – die Namensgeber Christopher Dodd und Barney Frank würden das gewiss selbst einräumen. Aber damals fehlte es dem System insgesamt an Regeln, und insbesondere die Verbraucher mussten besser vor betrügerischen Praktiken und skrupellosen Profis geschützt werden.
4. Menschen und ihre Algorithmen sind emotionsgesteuert
Die Finanzmärkte sind, trotz all ihrer Komplexität, immer noch abhängig von drei konstanten menschlichen Gefühlen: Gier, Angst und Vertrauen. Die ersten beiden wurden bereits in der Wirtschaftswissenschaft, in der Psychologie und in der Literatur ausgiebig untersucht, aber man vergisst nur allzu leicht, dass selbst Transaktionen, die in Kontrakten, Versicherungsverträgen und Garantien zementiert sind, kaum Bedeutung haben ohne ein grundsätzliches Vertrauen darauf, dass die Gegenseite ihre Verpflichtungen erfüllt. Als die Pleite von Lehman unausweichlich war und Anleger nicht wussten, wer eventuell Risiken ausgesetzt war gegenüber Unternehmen, die wiederum gegenüber der kollabierenden Gegenpartei im Risiko standen, war die logische Reaktion, die Geschäfte einzustellen, das Licht auszumachen und so zu tun, als sei niemand zu Hause.
5. Führungsqualitäten zählen
Glücklicherweise standen im Jahr 2008 in den meisten führenden Industrienationen Personen an der Spitze, die entweder entscheidungsfreudig genug waren, um Führungsqualitäten zu zeigen, oder ausreichend verschreckt waren, um sich anzupassen. Was vielleicht noch wichtiger war: Die Finanzaufsichtsbehörden auf beiden Seiten des Atlantiks kannten sich, vertrauten einander und konnten daher außerordentliche Maßnahmen treffen, um für Liquidität im System zu sorgen. Als sich die Staats- und Regierungschefs auf dem G-20-Gipfel in London auf einen Plan verständigten, der die Märkte letztendlich davon überzeugte, dass die Fiskal-, Geld- und Bankenpolitik darauf ausgerichtet würde, die Märkte zu stabilisieren und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, war das Vertrauen wiederhergestellt.
Wie der nächste Crash aussehen könnte
Ist angesichts der geopolitischen Verwerfungslinien von heute, die sich entlang von Themen wie Herrschaft und Handel bilden, bei Entstehung einer neuen Krise eine analoge Kooperationsstrategie denkbar? Sobald der Jahrestag vorüber ist, machen wir uns wieder Gedanken darüber, an welcher Stelle des Konjunkturzyklus wir uns gerade befinden und wie lange diese ausgedehnte Hausse noch andauern wird.
Wahrscheinlich werden wir noch eine ganze Reihe normaler Rezessionen durchlaufen, bevor eine weitere globale Finanzkrise losbricht. Ein langsamer Anstieg der Zinsen verteuert die Geldaufnahme für manche Kreditnehmer, was den Märkten Blasen beschert. So heißt es zumindest in den Lehrbüchern. Die Chancen stehen gut, dass die nächste echte Krise ihren Anfang in Bereichen nimmt, in denen sich die vorherrschende Meinung als grundlegend falsch erweisen wird. Das letzte Mal fanden wir heraus, dass die Hauspreise in Las Vegas durchaus in Zusammenhang stehen mit den Hauspreisen in Miami. Wir haben auch festgestellt, dass ein Paket mit fragwürdigen Schuldtiteln kein AAA-Rating hat, nur weil jemand eine Versicherung dafür bereitstellt.
Ich tippe darauf, dass die nächste Katastrophe ihren Ursprung in den neuen Formen der Finanzierung nehmen wird, die sich außerhalb des Bankensystems entwickeln, das größtenteils transparent und stark reguliert ist. Eine neue Krise könnte auch durch die spannenden Finanztechnologien entstehen, die neue Geschäftsmodelle entwickeln und neue Dienstleistungen anbieten. Ein möglicher Auslöser könnte auch China sein, das heute wesentlich finanzkräftiger und stärker mit den globalen Märkten verflochten ist als noch vor zehn Jahren. Ein griesgrämiger alter Kollege aus dem Investmentbereich ist der Ansicht, dass die aktuellen Märkte zu aufgebläht sind, weil viele der Portfoliomanager von heute in jenen düsteren Tagen des Septembers 2008 nicht mit dabei waren, sodass die Lehren von damals nun weitgehend vergessen sind. Ich bin der Meinung, dass die Finanzkrise weiterhin einen Schatten wirft auf viele, wenn nicht sogar die meisten Anlageentscheidungen.
Wir wissen nicht, wann die nächste Krise kommt oder welche Gestalt sie annehmen wird, aber die meisten von uns sind sich im Klaren darüber, dass die Möglichkeit einer Krise besteht, und tun alles Erdenkliche, um diese Emotionen nicht erneut durchleben zu müssen. Auch wenn wir selbst unser Eigenheim nicht aufgeben mussten und unseren Arbeitsplatz nicht verloren haben, kennen wir mit Sicherheit Leute, die davon betroffen waren. Schmerzhafte Erinnerungen bleiben lange im Gedächtnis.