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Die Zeit ändert sich – die Zeit bleibt gleich

Russische Soldaten übernehmen ukrainische Militäreinrichtungen kampflos. Ein paar Tote hier und da – das ist de facto: kampflos. Die Ukrainer wissen, dass Widerstand zwecklos wäre. Die Regierung in Kiew zieht ihre Truppen von der Schwarzmeerhalbinsel ab. Das ist das Ende der ukrainischen Krim.

BÖRSE am Sonntag

Russische Soldaten übernehmen ukrainische Militäreinrichtungen kampflos. Ein paar Tote hier und da – das ist de facto: kampflos. Die Ukrainer wissen, dass Widerstand zwecklos wäre. Die Regierung in Kiew zieht ihre Truppen von der Schwarzmeerhalbinsel ab. Das ist das Ende der ukrainischen Krim.

Was machen die Märkte? Kippen die Kurse? Oh nein, es herrscht business as usual. Nun, ein Energieversorger bangt um den Verkauf eine Tochterfirma in russische Hände, eine Rüstungsfirma darf ein Kampferprobungszentrum für Putins Truppen nicht liefern, umgekehrt können einige russische Banken nicht mehr auf die Dienste von Mastercard und Visa zurückgreifen – das ist de facto: business as usual.
Man fühle sich an Mechanismen des 19. und 20. Jahrhunderts erinnert, bramabasieren die vereinigten westeuropäischen Gutmenschen. Nein, falsch! Wir sind allesamt mittendrin!

Die Ukraine tritt aus der GUS aus, löst sich damit nun erstmals wirklich von Moskau. 22 Jahre nach dem Gorbatschow-Putsch, 22 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion. Unklar ist, wie die ethnischen Russen im Osten des Landes reagieren. Sie bilden mancherorts die Mehrheit – es riecht nach Blutvergießen im Donez-Becken. Falls es freilich dazu käme, würden die Märkte daran kaum vorbeikommen. Doch so weit ist es noch nicht.

Zeitzeugen in Polen wissen, was die Vertreibung der Polen aus dem Ostteil ihres Landes ab 1945 nebst Wiederansiedlung in Ostdeutschland bedeutete. Zeitzeugen hierzulande können berichten, wie die Vertreibung der Deutschen aus ihrer Heimat in Schlesien, Pommern und Ostpreußen geschah. Es fühlte sich auch damals an, als wären es einzelne Ereignisse, manche fast unspektakulär, manche hochdramatisch. Ein Prozess in Einzelschritten. Ja, die Russen haben Erfahrung darin, Grenzen zu verschieben, um der Macht willen, über Menschenleiber hinweg. Und sie werden auch im 21. Jahrhundert davon weiter Gebrauch machen. Die Übernahme der mehrheitlich russischen Krim, die zudem eine alte russische Geschichte hat, ist da nur ein kleineres Ereignis.

Aber was zählt in der Krim-Krise? Ein völkerrechtlich gültiger Vertrag wurde verletzt, ja, komplett zerrissen. Dass die Ukraine bislang friedlich reagiert, verdient unsere große Bewunderung, denn in den Jahren 1932 und 1933 war das ukrainische Volk Opfer eines millionenfachen Genozids, des Holodomor – angerichtet durch die Sowjets unter Stalin. Angerichtet durch das, was die kommunistische Revolution aus den Russen gemacht hatte.

Den Akteuren im Geschäftsleben und auf dem Finanzparkett ist kaum ein Vorwurf zu machen. Die Geschäfte müssen laufen. Ein Schaden, der durch berechtigte Empörung und Sanktionen gegen Rechtsbrecher eintritt, schädigt gleichwohl zuerst und zumeist diejenigen, die nichts für die jüngste, flagrante Missachtung des Völkerrechts auf der Krim können. So bleibt es dabei – business as usual.
Und währenddessen ändert sich, im wortwörtlichen Sinne, die Zeit auf der Krim. Dort ticken die Uhren ab April genau wie in Moskau. Die neue Zeit setzt ihre Zeichen.