Erholungssignale in Frankreich
Wird die französische Wirtschaft allmählich tugendhaft? Angesichts eines Haushaltsdefizits, das zuletzt unter die Marke von drei Prozent gesunken ist, ist die Versuchung groß, dies zu glauben. Mit 2,6 Prozent für das Gesamtjahr 2017 und 2,1 Prozent für das letzte Quartal des vergangenen Jahres ist diese Versuchung sogar sehr groß.
Wird die französische Wirtschaft allmählich tugendhaft? Angesichts eines Haushaltsdefizits, das zuletzt unter die Marke von drei Prozent gesunken ist, ist die Versuchung groß, dies zu glauben. Mit 2,6 Prozent für das Gesamtjahr 2017 und 2,1 Prozent für das letzte Quartal des vergangenen Jahres ist diese Versuchung sogar sehr groß.
Von Philippe Waechter
Schaut man sich aber die Zahlen sowie die Beschaffenheit der Staatsfinanzen im Verhältnis zum ansteigenden Wirtschaftswachstum des Jahres 2017 an, so platzt diese Blase. Denn das Haushaltsdefizit vollzieht den Aufwärtstrend beim Wachstum, das sich zwischen 2016 und 2017 von vormals 1,1 auf jetzt glatt zwei Prozent praktisch verdoppelt hat, lediglich eins zu eins nach. Somit haben sich die Staatsfinanzen natürlich verbessert. In Frankreich gibt es eine eindeutige Übereinstimmung zwischen dem Haushaltsdefizit und dem realen Wirtschaftswachstum mit einer zeitlichen Verzögerung von zwei Quartalen. Das Defizit verbessert sich also analog zum Wirtschaftswachstum. Wenn das Wachstum allerdings nachlässt, wird es schwer werden, haushaltstechnisch Kurs zu halten.
Die jüngsten wirtschaftspolitischen Maßnahmen hatten lediglich einen sehr begrenzten Effekt. So sind die Ausgaben um 2,5 Prozent angestiegen – ohne Berücksichtigung der Zinskosten beträgt der Anstieg sogar 2,7 Prozent. Im Vergleich dazu lag das nominale BIP-Wachstum im Jahr 2017 bei durchschnittlich 2,8 Prozent. Es gab außerdem kaum Bestrebungen, die Ausgaben zu senken, und so sind die Ausgaben von 56,6 Prozent des BIP aus dem Jahr 2016 lediglich auf einen Anteil von 56,4 Prozent in 2017 zurückgegangen. Die Einnahmenseite profitierte hingegen vom konjunkturellen Aufschwung, denn die Einnahmen kletterten um vier Prozent nach oben. Gleichzeitig stiegen auch die Pflichtabgaben von 44,6 Prozent des BIP in 2016 auf 45,4 Prozent im Jahr 2017 und damit auf das höchste absolute Niveau seit dem Beginn der Erhebungen im Jahr 1959 an.
In diesem Jahr wird sich nun die Frage stellen, inwieweit das Haushaltsdefizit reduziert werden soll, wenn das Wachstum nicht zeitgleich anzieht. Berücksichtigt man die Prognosen der französischen Statistikbehörde INSEE, die für die ersten beiden Quartale des Jahres mit einem Wachstum von 0,4 Prozent rechnet, wird das Wirtschaftswachstum in Frankreich auch weiterhin bei fast zwei Prozent liegen. An dieser Stelle wird sich dann zeigen, welche konkreten Auswirkungen die wirtschaftspolitischen Maßnahmen sowie die Intention der Regierung, die bestehenden Ungleichgewichte abzubauen, tatsächlich haben. Aus diesem Grund wird 2018 ein interessantes Jahr werden. Die Senkung des Haushaltsdefizits wird in Zukunft wohl nicht mehr „nur“ eine unmittelbare Folge eines sich beschleunigenden Wachstums sein.
Die Sanierung der Staatsfinanzen muss langfristig angelegt sein und erfordert wesentlich weitreichendere Budget-Entscheidungen. Angesichts des im Januar verabschiedeten Haushaltsplanungsgesetzes werden wir aber nicht unbedingt Zeugen einer haushaltspolitischen Revolution werden. Da das Wachstum jedoch systematisch über dem Wachstumspotenzial liegt, ließe sich ein ausgeglichener Haushalt im Sinne dieses Gesetzes erst 2022 erreichen. Die Regierung wird also noch weitere Überzeugungsarbeit leisten müssen, wenn sie wirklich als tugendhaft durchgehen und auf der Ausgabenseite noch weitere Fortschritte machen möchte.
Die Veröffentlichung detaillierter Wachstumszahlen für das vierte Quartal hilft bei der Feinjustierung dieser Konjunkturprognose. Wir möchten darauf hinweisen, dass der Übertragungseffekt beim Wachstum für 2018 per Ende 2017 bei 0,9 Prozent gelegen hat. Falls also die Wirtschaftsaktivitäten nicht in allen vier Quartalen des Jahres 2018 zulegen sollten, beträgt das durchschnittliche Wachstum 0,9 Prozent. Da man für 2018 aber in jedem Quartal mit einem Wachstum von 0,42 Prozent rechnet, wird das durchschnittliche Wachstum für das Gesamtjahr rund zwei Prozent betragen. Per Ende 2016 belief sich der Übertragungseffekt beim Wachstum für das Jahr 2017 lediglich auf 0,4 Prozent.
Wir möchten ferner darauf hinweisen, dass sich die Gewinnmargen von Nicht-Finanzunternehmen im letzten Quartal des Jahres 2017 zwar auf 31,8 Prozent verbessert haben, aber noch nicht wieder auf das Niveau zurückgekehrt sind, auf dem sie vor der Krise von 2008 gelegen hatten. Zwischen 1986 und 2007 schwankten die Gewinnmargen zwischen 31,5 Prozent und 33,5 Prozent und kletterten zwischenzeitlich sogar auf 34 Prozent. Mit dem jüngsten Anstieg ist also gerade einmal das niedrigste Niveau des früheren Korridors erreicht worden. Dieser Umstand gibt Anlass zur Sorge, weil der Zyklus inzwischen zwar bereits in einem fortgeschrittenen Stadium ist, sich ein Gleichgewicht bisher aber noch nicht wieder eingestellt hat.
Die Auswirkungen des volkswirtschaftlichen Schocks infolge der Finanzkrise sind auch zulasten von Nicht-Finanzunternehmen gegangen. Seitdem ist eine allmähliche Anpassung zu beobachten – und zwar trotz des französischen Steuergutschriftprogramms CICE und des dortigen „Verantwortungspakts“. Man kann erkennen, dass diese beiden Maßnahmen lediglich darauf abzielten, die Folgen des Schocks von 2008 zu korrigieren. Unternehmen werden häufig dafür kritisiert, die Vorteile der CICE-Steuergutschriften und des Verantwortungspaktes zu nutzen, ohne im Gegenzug entsprechend zu investieren oder neue Mitarbeiter einzustellen. In ihrer Gesamtheit haben sich die Firmen bislang aber noch nicht wieder auf Vorkrisenniveau erholt.
Ich hatte bereits angemerkt, dass Frankreich insofern sehr speziell ist, als die Löhne im Gegensatz zu anderen Industrienationen auch während der jüngsten Krisenphase angestiegen sind. Gleichzeitig sind die Sparraten der Privathaushalte nach wie vor niedrig und liegen immer noch deutlich unter dem seit 1995 ermittelten Durchschnitt: Seit 2013 haben die Privathaushalte ihre Sparraten verringert, um stattdessen mehr ausgeben zu können. Dies steht jedoch vollkommen im Einklang mit der Geldmarktpolitik der EZB, die darauf abzielt, die Zinsen langfristig und über alle Laufzeitensegmente hinweg sehr niedrig zu halten, um auf diese Weise höhere Ausgaben zu fördern. Das hat auch gut funktioniert – vielleicht sogar zu gut, denn auch die Kreditaufnahme der Privathaushalte ist zuletzt angestiegen, weil die Einnahmen nicht mehr ausreichten, um den Finanzbedarf der Privathaushalte zu decken. Dieses Verhältnis ist auch nicht wirklich ermutigend.
Volkswirtschaftliche Überlegungen
In einem aktuellen Artikel haben Benoit Mojon und Xavier Ragot erläutert, dass am Arbeitsmarkt mittlerweile ein rasanter Anstieg der Arbeitslosigkeit bei über 55-jährigen Arbeitnehmern zu beobachten ist. Von den sieben Millionen Arbeitsplätzen, die seit 2013 im Euroraum geschaffen worden sind, waren diesem Artikel zufolge sechs Millionen für Arbeitnehmer über 50 Jahre vorgesehen. Gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit der 55- bis 64-jährigen in den OECD-Ländern aber in den letzten 20 Jahren von 33 Prozent auf 55 Prozent angestiegen. In Frankreich klettert diese Zahl alle zehn Jahre um etwa zehn Prozent nach oben. Parallel dazu hat sie in Deutschland von 40 Prozent aus dem Jahr 2003 bis 2016 auf 72 Prozent zugelegt.
Warum sollte man sich diese Zahlen so detailliert anschauen? Den beiden Autoren zufolge beeinträchtigt diese steigende Arbeitslosigkeit bei den über 55-jährigen das Lohnwachstum und verhindert, dass die Gehälter trotz eines Beschäftigungswachstums ansteigen. Eine höhere Erwerbsquote bei den über 55-jährigen würde die Lohninflation jedoch erheblich eindämmen. Dies könnte auch ein Grund dafür sein, dass derzeit kein Lohndruck herrscht, obwohl in der Wirtschaft doch einige neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Aus volkswirtschaftlicher Perspektive möchten wir anmerken, dass der kurzfristige Konjunkturtrend im Euroraum sowie in Japan momentan stagniert. So deuten die Markit-Indizes ebenso wie der deutsche ZEW-Index und die Zahlen zum Geschäftsklima in Frankreich darauf hin, dass die Wirtschaftsaktivitäten nicht mehr auf Monatsbasis anziehen, obwohl nach wie vor ein kräftiger Aufwärtstrend vorliegt. Dies spricht dafür, dass der Erholungstendenz in Ermangelung neuer Impulse allmählich die Luft ausgeht. Parallel dazu verbessert sich der Markit-Index für die USA hingegen. Darin spiegeln sich auch die erwarteten Auswirkungen der dortigen Haushaltspolitik wider.
Umschau in einigen weiteren Volkswirtschaften
Wir möchten ferner darauf hinweisen, dass die Ausgaben der britischen Privathaushalte inzwischen nicht weiter ansteigen. Die Einzelhandelsumsätze sind in den letzten Monaten zurückgegangen sind, während die realen Löhne gleichzeitig nicht angestiegen sind. Ein weiterer erwähnenswerter Aspekt ist der Umstand, dass die Inflation in Großbritannien nachlässt. So betrug die Teuerungsrate im Februar nur noch 2,7 Prozent, nachdem sie im November noch einen Höchststand von über drei Prozent, nämlich 3,1 Prozent, erreicht hatte. Außerdem hat auch die Kern-Inflation auf 2,4 Prozent nachgegeben. Sollte sich dieser Trend bestätigen, wäre es vernünftig, wenn die Bank of England bei der Geldmarktpolitik zunächst abwarten würde. Auf ihrer letzten Sitzung beließen die Währungshüter den Leitzins bei 0,5 Prozent, während sie gleichzeitig andeuteten, dass sie aufgrund der exzessiven Nachfrage eher auf eine lediglich moderate Verschärfung der Geldmarktpolitik setzen würden. Die BoE kann von dieser Strategie nicht abrücken, weil die Inflation bereits deutlich über ihrer Zielvorgabe liegt und die Bank ja ihre Glaubwürdigkeit sichern muss. Meiner Meinung nach wäre es jedoch am besten, wenn man vorerst gar nichts tut, bis im Hinblick auf die Brexit-Verhandlungen mehr Klarheit herrscht.
Was die USA betrifft, so sorgen das Beharren des Weißen Hauses auf den Einfuhrzöllen von bis zu 60 Mrd. US-Dollar auf chinesische Produkte sowie die Reaktion Chinas darauf für ein hohes Maß an Unsicherheit. Diese Lage ist und bleibt also bedrohlich. Im Hinblick auf die Einfuhrzölle auf Stahl und Aluminium sollte man sich den Kommentar von Adam Posen, Präsident des Peterson Institute, vor Augen führen: „Jedem einzelnen US-Arbeitnehmer, der in der Metallproduktion tätig ist, stehen mehr als 40 Arbeitnehmer aus den metallverarbeitenden Industrien gegenüber. Deren Besteuerung zugunsten der erstgenannten Gruppe macht also überhaupt keinen Sinn.“
In Italien wurde derweil der Wahlsieg der „Lega“ sowie der „Fünf Sterne“-Bewegung offiziell, denn beide Parteien ernannten ihre Sprecher für den Senat und das Parlament. Der italienische Staatspräsident muss nun einen Ministerpräsidenten ernennen und diesen mit der Bildung einer Regierung beauftragen. Angesichts des Zusammenschlusses der Lega mit der Fünf Sterne-Bewegung könnte zukünftig ein gemeinsamer Kandidat beide Parteien repräsentieren und eine stark anti-europäisch ausgerichtete Regierung formieren. Als politische Plattform könnten dabei die notwendigen Arbeitsmarkt- und Rentenreformen fungieren. In diesem Fall dürfte die Lage in Europa noch wesentlich unsicherer werden – eine problematische Entwicklung.
Philippe Waechter ist Chief Economist bei Ostrum Asset Management.