Europa: Zwischen Krise und Hoffnung
Alexis Tsipras hat es geschafft: Der griechische Ministerpräsident der linken Syriza-Partei wurde in seinem Amt bestätigt. Ein Befreiungsschlag ist das für die Eurozone nicht. Doch zumindest bleiben mit Tsipras bekannte Verhandlungspositionen bestehen – allein das ist für die europäische Währungsgemeinschaft schon eine gute Nachricht.
Alexis Tsipras hat es geschafft: Der griechische Ministerpräsident der linken Syriza-Partei wurde in seinem Amt bestätigt. Ein Befreiungsschlag ist das für die Eurozone nicht. Doch zumindest bleiben mit Tsipras bekannte Verhandlungspositionen bestehen – allein das ist für die europäische Währungsgemeinschaft schon eine gute Nachricht.
Um zu verstehen, was Kontinuität für die Eurozone derzeit so wertvoll macht, reicht ein Blick in die Vergangenheit. Auf dem Höhepunkt der Euro-Krise 2011/12 wurde ein „Grexit“ diskutiert, Portugal oder Irland mussten mit Milliardensummen gerettet werden. Gab es damals bereits eine gewisse Kontinuität in der Entwicklung der Euroländer, so zeigte der Trend steil bergab.
Seither hat sich in den „Krisenländern“ Spanien, Portugal oder Irland einiges zum Positiven gewandelt. Alle drei Staaten haben bewiesen, dass Haushaltskonsolidierung und Wachstum keine unvereinbaren Gegensätze sind. In Spanien ist das Haushaltsdefizit seit 2012 kontinuierlich gesunken: Von mehr als 10 Prozent auf von der Deutschen Bank erwartete 4,6 Prozent für das Jahr 2015. In Portugal könnte das Staatsdefizit im gleichen Zeitraum sogar von 11,2 auf 3,1 Prozent sinken. Gleichzeitig verbesserte sich die konjunkturelle Lage erheblich: Nach dem wirtschaftlichen Kollaps im Jahre 2008 und einer langsamen Erholungsphase dürften Spanien und Irland in diesem Jahr deutlich stärker wachsen als der Durchschnitt der Euroländer. Ein Trend, der sich 2016 fortsetzen dürfte. Portugal zumindest liegt wieder im Euro-Mittel. Andere Euroländer haben es dagegen versäumt, Reformen anzustoßen und durchzuführen. Italien dürfte in diesem Jahr gerade einmal ein Konjunkturplus von 0,8 Prozent erwirtschaften. Frankreich liegt mit 1,1 Prozent ebenfalls unter dem Schnitt aller Euroländer.
Die Zahlen zeigen, wie wichtig Reformen für die Entwicklung der Euroländer sind – und sie werden in Zukunft noch wichtiger werden. Ein Ende der Krise in der Eurozone ist nicht zu erkennen. Ein Großteil der positiven Wirtschaftsaussichten beruht auf kurz- bis mittelfristigen Faktoren. Es handelt sich eher um einen zyklischen als um einen nachhaltigen Aufschwung. Erstens profitieren Unternehmen und Verbraucher von niedrigen Energiekosten und treiben dadurch den Binnenkonsum an. Zweitens führen verbesserte Finanzkonditionen zu einer verstärkten Nachfrage nach Krediten, die sich ebenfalls unterstützend auf die Konsum- und Investitionsneigung auswirken sollte. Und drittens beschert die derzeitige Euroschwäche den Exportunternehmen aus der Eurozone eine gute Ausgangsposition: Ihre Produkte werden an den globalen Märkten wettbewerbsfähiger.
Statt jedoch diesen wirtschaftlichen Rückenwind zum Aufbau einer trag- und zukunftsfähigen Volkswirtschaft zu nutzen, lassen einige Staaten, darunter auch Deutschland, ihre ambitionierten Reformagenden schleifen, andere fühlen sich in ihrer ablehnenden Haltung bestätigt. Sollte die EZB ihr Anleiheankaufprogramm, wie jüngst von Draghi angedeutet, über den September 2016 hinaus verlängern, sehe ich sogar eine zunehmende Reformlethargie heraufziehen. Unsicherheiten bergen die Regierungsbildung in Portugal und die Parlamentswahlen in Spanien. Mit dem Zustrom von Flüchtlingen ist eine neue, große Herausforderung auf die Euroländer zugekommen. Die Aufnahme von Flüchtlingen ist richtig – umso wichtiger, dass sie nicht als Feigenblatt für das Aussetzen von dringend notwendigen Reformen missbraucht wird.
Was aber bleibt von einer Eurozone ohne die Konjunkturtreiber Ölpreis, Zinstief, Euroschwäche? Die weltwirtschaftliche Dynamik der zwei Jahrzehnte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wird es nicht mehr geben. Die Sonderkonjunktur durch die Erschließung neuer Märkte in Osteuropa, China und Indien flacht ab, der Welthandel bewegt sich strukturell wieder auf „normalem“ Niveau.
Deutschland und die Eurozone mit ihrer starken Exportorientierung müssen sich neu positionieren, um eine langfristig wettbewerbsfähige Währungsunion zu schaffen. Dazu bedarf es mehr als den lockeren Staatenverbund der Gegenwart. Es braucht einen Staatenbund mit festen Handlungs- und Sanktionsregeln, an die sich gehalten wird. Oder einen Bundesstaat mit einer gemeinsamen Finanz- und Wirtschaftspolitik unter Beibehaltung der staatlichen Selbstbestimmung. Ohne ein Mehr an Verlässlichkeit und Gemeinschaft könnten die Euroländer in Zukunft den Anschluss verlieren. Neben einer Fortführung der Reformpolitik ist in der Eurozone also auch etwas mehr Mut vonnöten.
Wie man sich hingegen in einer zunehmend dynamischen und vernetzten Welt aufstellt, zeigen die Unternehmen in Europa. Einige haben bereits umgesetzt, woran es auf Staatenebene noch hakt: enge Kooperationen mit internationalen Handelspartnern, effizientes Management und eine stringente Kostenkontrolle. Für Anleger ist das eine interessante Entwicklung. Denn dadurch könnten sich Anlagemöglichkeiten auch in Regionen ergeben, die beim Blick auf die rein volkswirtschaftlichen Daten weniger aussichtsreich erscheinen.