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EZB: Leitzins auf null – Märkte suchen Orientierung

Die EZB senkt Leitzins auf 0 Prozent, die Negativzinsen für die Einlagen institutioneller Anleger steigen auf 0,4 Prozent. Nach einer kurzer Euphorie folgte an den Märkten die Ernüchterung. Kommende Fed-Entscheidungen sind jetzt verstärkt im Fokus. Dr. Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank, analysiert.

BÖRSE am Sonntag

Die EZB senkt Leitzins auf 0 Prozent, die Negativzinsen für die Einlagen institutioneller Anleger steigen auf 0,4 Prozent. Nach einer kurzer Euphorie folgte an den Märkten die Ernüchterung. Kommende Fed-Entscheidungen sind jetzt verstärkt im Fokus. Dr. Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank, analysiert die Lage.

Eine bekannte Börsenweisheit bringt die Funktionsweise der Aktienmärkte prägnant auf den Punkt: „Die Kurse werden nicht nur von Erwartungen in der Zukunft beeinflusst, sondern auch von den Erwartungen an diese Erwartungen.“ Was für die Kapitalmärkte seit jeher gilt, scheint in der jüngeren Vergangenheit in immer stärkerem Maße auch auf die Geldpolitik zuzutreffen: Ausschlaggebend sind weniger die eigentlichen geldpolitischen Entscheidungen als vielmehr die Frage, ob sie die Hoffnungen der Marktteilnehmer bestätigen oder enttäuschen.

Im Dezember vergangenen Jahres war dieser Zusammenhang exemplarisch zu beobachten. Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi senkte damals den Einlagezins für Banken auf -0,3 Prozent und beließ den Leitzins bei historisch niedrigen 0,05 Prozent. Trotzdem reagierten die Investoren verärgert – sie hatten eine noch lockerere Geldpolitik erwartet und straften die Märkte umgehend ab: Der deutsche Leitindex DAX verlor noch am gleichen Tag rund drei Prozent.
Dementsprechend moderat waren die Erwartungen an die EZB hinsichtlich der jüngsten Zinsentscheidung vom 10. März – nur um abermals nicht erfüllt zu werden.

Dieses Mal allerdings lieferte Mario Draghi mehr als erwartet. Und das nicht nur im Hinblick auf den EZB-Leitzins, der auf 0 Prozent abgesenkt wurde. Denn darüber hinaus verkündete er den zunehmend überraschten Zuhörern ein ganzes Bündel an weiteren Maßnahmen: So zum Beispiel die Auflage neuer Langfristkredite zur Versorgung der Banken mit Zentralbankgeld (TLTRO II), die Absenkung des Sonderrefinanzierungssatzes auf 0,25 Prozent und des Einlagezinssatzes auf -0,4 Prozent sowie die Ausweitung des monatlichen Ankaufvolumens von Anleihen um 20 auf 80 Milliarden Euro – zum Beispiel auch durch Ankäufe von Unternehmensanleihen guter bis sehr guter Bonität (Investment Grade).
Insbesondere der letzte Punkt sorgte für Überraschung: Erwartet wurde lediglich eine vorgezogene temporäre Erhöhung, jedoch keine Gesamtaufwertung des Programmvolumens.

Die Gründe für sein umfangreiches Maßnahmenpaket lieferte Draghi gleich hinterher: In erster Linie seien es die Abwärtsrisiken für die Konjunktur in der Eurozone und die nach unten korrigierten Inflationsprognosen aufgrund des nach wie vor niedrigen Ölpreises, die der EZB Sorgen bereiteten. Die europäischen Notenbanker senkten ihre Prognosen für Inflation und Wachstum deutlich: Für das laufende Jahr rechnen sie nur noch mit einer Inflationsrate von 0,1 Prozent und einem Wirtschaftswachstum in der Eurozone von 1,4 Prozent. Die eingeleiteten Maßnahmen sollen unter anderem dazu beitragen, die Kreditvergabe an die Realwirtschaft zu stimulieren.

Die Reaktionen der Investoren ließen nicht lange auf sich warten. In der ersten Euphorie legten die Kapitalmärkte deutlich zu: Der Kurs des DAX gewann in wenigen Stunden rund drei Prozent dazu. Gleichzeitig verlor der Euro im Vergleich zum US-Dollar deutlich. Insbesondere die Worte Draghis hinsichtlich der Erreichung des Inflationsziels und der Stimulierung des Wirtschaftswachstums stützten die anfänglich positive Stimmung.

Bereits im Verlauf der EZB-Pressekonferenz kippte die Stimmung allerdings. Denn Draghi beließ es nicht bei seinem Maßnahmenpaket. Vielmehr machte er deutlich, dass nach aktueller Datenlage in absehbarer Zeit nicht mit weiteren Zinsschritten zu rechnen sei. Der Zinszyklus komme damit zu einem Ende. Daraufhin fielen die Aktienkurse, und der Euro konnte sich deutlich erholen: Der DAX schloss mit einem Tagesverlust von mehr als zwei Prozent – ein Abschlag von rund 500 Punkten im Vergleich zum Tageshöchstkurs. Der Euro verteuerte sich zum US-Dollar um 1,8 Prozent.

Für Anleger bedeuten die Entscheidungen der EZB vor allen Dingen eines: Die Zinsen dürften auf absehbare Zeit niedrig bleiben. Auf der Suche nach Renditen könnten dadurch Immobilieninvestments, Unternehmensanleihen und – trotz der zuletzt stärkeren Schwankungen – für entsprechend risikobereite Anleger auch Aktien in den Investmentfokus rücken. Dabei können Ausschüttungen von Dividendentiteln einen wichtigen Beitrag zur Performance leisten.

Die Auswirkungen der zunehmend expansiven Geldpolitik auf die Realwirtschaft hingegen liegen noch im Dunkeln. Es bleibt abzuwarten, ob sie die gewünschten Effekte – eine Steigerung der Gewinne und der Investitionen bei den Unternehmen der Eurozone – bewirken kann. Auf der anderen Seite sind zudem auch die Risiken einer solchen Geldpolitik gestiegen: So führen die noch einmal gesunkenen Zinsen zunehmend zu einer Verzerrung der relativen Preise, Produktionsstrukturen und Kapitalallokation.

Wie die Entwicklung in den kommenden Wochen und Monaten tatsächlich verläuft, wird maßgeblich auch von einer anderen Notenbank abhängen: Erst wenn die nächsten Zinsentscheidungen der US-Notenbank Fed nach ihrem abwartenden Signal vom 16. März erkennbar werden, dürfte das momentan trübe Bild an den Märkten wieder aufklaren.