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Google: Droht der Kodak-Moment?

Die rasante Entwicklung der Künstlichen Intelligenz scheint den Internetriesen Google regelrecht überfahren zu haben. Schon ist die Rede vom „Kodak-Moment“, womit Wirtschaftshistoriker den Augenblick des unwiderruflichen Niedergangs meinen. Werden Microsoft und andere den Platzhirschen tatsächlich verdrängen?

(Bild: Shutterstock)

Die rasante Entwicklung der Künstlichen Intelligenz scheint den Internetriesen Google regelrecht überfahren zu haben. Schon ist die Rede vom „Kodak-Moment“, womit Wirtschaftshistoriker den Augenblick des unwiderruflichen Niedergangs meinen. Werden Microsoft und andere den Platzhirschen tatsächlich verdrängen?

Googles Mutterkonzern Alphabet hat Probleme. Große Probleme. Denn die Suchmaschine besitzt im Internet einen Marktanteil von an die 85 Prozent. Was wie eine positive, gar sensationelle Börsenmeldung klingt, ist aber im Moment die Achillesferse des Konzerns, zu dessen Umsatz und Ertrag Google überwiegend beiträgt. Sundar Pichai, Chef des Suchriesen, wirbelt im Hintergrund, denn die Favoritenrolle seines Unternehmens droht zu schwinden. Nur eines der Probleme, aber wohl das derzeit drängendste, hat mit der sogenannten KI zu tun, Künstliche Intelligenz oder englisch: Artificial Intelligence, AI. Der Angreifer ist vornehmlich auch ein alter Bekannter. Der Softwarekonzern Microsoft, der sich bereits vor längerem mit einem aufstrebenden Unternehmen verbündet hat, das in Sachen Programmierung von KI-getriebenen Suchalgorithmen führend ist. OpenAI, gegründet unter anderem unter Beteiligung von Tesla-Miterfinder Elon Musk, entwickelt einen Chat- und Suchbot namens ChatGPT, und der ist gerade dabei, in die Microsoft-Suchmaschine Bing integriert zu werden. Bei allen Unzulänglichkeiten der KI ist dies ein Quantensprung, vergleichbar der Disruption auf ähnlichen Gebieten, die manche Produkte über Nacht obsolet machte und andere schlicht überholte.

Natürlich arbeitet auch Google an der Integration von KI in seine Suchfunktionen. „Bard“ heißt das Projekt, ist dem Vernehmen nach aber hinter der Konkurrenz vorerst abgeschlagen. Eine öffentliche Präsentation kürzlich geriet zum Desaster. Das ist um so bedenklicher, als nicht nur der Riese Microsoft mit den tiefen Taschen bei OpenAI jede Finanzlücke füllen kann – zuletzt soll Microsoft nochmals zehn Milliarden Dollar zugesagt haben –, sondern es finden sich auf dem neuartigen Spielfeld auch zahlreiche Startups, die begründete Aussicht haben, zu ernsthaften Konkurrenten zumindest auf dem begrenzten Feld der Suche zu werden. Wobei „Suche“ inzwischen weit mehr bedeutet als das Auffinden von Fakten, Bildern oder Ereignissen. Mit KI sind Anfragen möglich, die als Antwort automatisch generierte Texte, Zeichnungen, sogar Programmcode oder ganze Essays erbringen. Und das wird dann im Idealfall auch nahezu perfekt geliefert. Gefährlich werden könnte Google zum Beispiel der Bot des Unternehmens Neeva. Gegründet von einem ehemaligen Google-Manager, baut dieses Produkt natürlich gerade auf typischen Google-Schwachstellen auf. Im Gegensatz zum Favoriten des Netzes soll Neeva nicht durch Werbung finanziert werden, sondern auf Basis eines Abonnementmodells arbeiten. Vorerst mit reinem Schwerpunkt auf den USA werkelt der Suchroboter „You.com“ des deutschen Entwicklers und Gründers Richard Socher. Den Konkurrenten ist teils gemeinsam, dass sie bei ihren Texten und Ergebnissen umfassende Quellenangaben liefern, was bei den Großen bislang nicht der Fall ist. Der Nutzen liegt natürlich klar auf der Hand.

Vor diesem Hintergrund ist Google nun in einer selbstverschuldet besonders misslichen Lage, und das hat mit der Geschichte zu tun und auch mit aktuellen Fehlern. Denn die Suchmaschine hat sich bis heute auf den Ursprungsalgorithmus verlassen, der die Gründer Sergey Brin und Larry Page aus dem Nichts an die Spitze katapultierte und Google fast über Nacht zur dominierenden Findeseite im Netz machte. Das System mit Namen Page Rank ging völlig neuartig mit den Suchergebnissen um, indem es die Sortierung aufgrund von Bedeutung des Funds vornahm. Internetseiten mit besonders vielen Erwähnungen und Verlinkungen erscheinen oben auf der Seite – damit mussten die Nutzer nicht mehr auf gut Glück in langen Listen forschen, was bedeutsam war und was weniger. Das wurde die Stunde der Wahrheit für alte Recken wie Yahoo oder Altavista, die fast ins Vergessen gerieten. Und sogar die Marktmacht von Microsoft hatte dem erst einmal nichts entgegenzusetzen. Bis heute kommt Bing nur auf einen Marktanteil von rund sieben Prozent. Was sich nun wohl ändern wird.

Damit droht Google nun so etwas wie der „Kodak Moment“. Ursprünglich ersonnen als Werbespruch fürs Fotografieren in einer einmaligen, fotografierwürdigen Situation – natürlich mit Kodachrome – wurde der Claim später zu einer Charakterisierung des Niedergangs. Der Kodak-Moment war das Scheitern des Traditionsunternehmens, als die digitale Welle es überrollte und man nichts zu präsentieren hatte, was dem entgegenzusetzen war. Besonders bitter: Kodak hatte schon 1974 die digitale Kamera erfunden, das Projekt aber nicht weiterverfolgt. Weitere disruptive Momente sind legendär – 2007 etwa erschien das iPhone und schockte Blackberry und Nokia. Schöpferische Zerstörung, vielleicht. Die Zerstörten dürfte es nicht trösten.

Einige Entwicklungen lassen nun die Möglichkeit aufscheinen, dass die Suchmaschinen-Revolution der Kodak-Moment für Google sein könnte. Denn der Konzern ist mit seinen Projekten noch nicht so weit. Zudem erscheinen bei Googles Ergebnissen immer mehr Werbelinks. Das mag einträglich sein, verschreckt und verärgert aber viele Nutzer ebenso wie früher die langen ungeordneten Listen bei Yahoo und Co. Google hat aber keinen schnellen Ausweg, denn ohne Werbung kein Gewinn. Eine revolutionäre Idee, dies nutzerverträglicher und doch gleichzeitig einträglich zu gestalten, ist nicht erkennbar.

Und dann hat sich Google mit einer, so Analysten, amateurhaft angepackten Entlassungswelle gerade selbst ein Bein gestellt. Zwar mussten zahlreiche Silicon-Valley-Konzerne jüngst erheblich abspecken. Bei Google jedoch ist nach Aussagen verbliebener Mitarbeiter kein Sinn und Verstand hinter den tausenden von Kündigungen erkennbar. So wurden offenbar wichtige Fachleute vertrieben und vergrault, deren Teams nun wahrhaft kopflos dastehen. Eine geordnete Übergabe hatte die Konzernleitung wohl vergessen, denn meist mussten die Leute von heute auf morgen gehen und verloren von jetzt auf gleich ihre Zugänge zum Firmennetzwerk. In den USA mussten in der Entlassungswelle seit dem 20. Januar sogar Schwangere im 8. Monat gehen, berichtet eine Betroffene beim Karrierenetzwerk „LinkedIn“. In jedem Fall sorgt der Abbau von sechs Prozent der Belegschaft für böses Blut, und die Stimmung unter den Verbliebenen ist im Keller. Zahlreiche Kommentare beklagen, dass Google inzwischen nur ein weiteres Unternehmen sei wie viele andere Großkonzerne auch.

In der Tat ist das selbstgefällige Image von Google schon länger angekratzt. Vergessen wird allerdings, dass Alphabet – wie anderer Tech-Riesen auch – in den Zeiten der Pandemie fast blindwütig Personal einstellte. Und selbst nach der Entlassungswelle sind bei Google mehr Leute beschäftigt als zuvor, gegenüber 2018 liegt der Personalbestand nun bei 165 Prozent. In Deutschland und der Schweiz stellen sich die „Googler“ ebenfalls auf Entlassungen ein. Das Arbeitsrecht verbietet hier aber zahlreiche Auswüchse des Heuerns und Feuerns. Außerdem kommt ein Faktor hinzu, der für Gekündigte einige Beruhigung bringen dürfte: In Deutschland allein fehlen nach Angaben das Branchenverbands Bitkom derzeit rund 140.000 IT-Fachkräfte. Der Jobmarkt ist leergefegt. Der Freistaat Bayern zum Beispiel bemüht sich aktiv um Zuwanderung entlassener Fachleute aus dem Silicon Valley. Wenn hiesige Startups geschickt agieren, und das nötige Kapital finden, können sie sich womöglich auf Kosten von Google und Co. einen Wettbewerbsvorteil verschaffen – während die Suchmaschinenbetreiber einen Brain Drain und schlechte Stimmung zu verkraften haben.

Was die Börse von all dem hält, ist kurvenreich erkennbar: nicht viel. Die Alphabet-Aktie verlor im Zeitraum von April 2022 bis zuletzt von 130 auf knapp unter neunzig Euro, und just im Januar wurde der niedrigste Kurs bei 81 Euro festgestellt. Sundar Pichai hat viel zu tun, und womöglich braucht er nicht so sehr künstliche, sondern einfach menschliche Intelligenz.

Reinhard Schlieker

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