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Italien nach der Wahl: Aufbruch oder Stillstand?

Am 4. März fanden in Italien die vorgezogenen Parlamentswahlen statt – und die Mehrheitsverhältnisse sind nun wie erwartet unklar: Während die europakritische Fünf-Sterne-Protestbewegung mit rund 32 Prozent als stärkste Einzelpartei dasteht, erhält das Mitte-Rechts-Bündnis bestehend aus Silvio Berlusconis Forza Italia und der rechten Lega-Partei mit rund 37 Prozent die meisten Stimmen. Was das für Anleger bedeutet, weiß Ulrich Stephan.

BÖRSE am Sonntag

Am 4. März fanden in Italien die vorgezogenen Parlamentswahlen statt – und die Mehrheitsverhältnisse nach der Wahl sind wie erwartet unklar: Während die europakritische Fünf-Sterne-Protestbewegung mit rund 32 Prozent der Wählerstimmen als stärkste Einzelpartei hervorgeht, erhält das Mitte-Rechts-Bündnis bestehend aus Silvio Berlusconis Forza Italia und der rechten Lega-Partei mit rund 37 Prozent die meisten Stimmen.

Von Ulrich Stephan

Diese Situation unklarer Mehrheitsverhältnisse könnte schwierige Verhandlungen zur Regierungsbildung nach sich ziehen. Nach Einschätzungen der Deutschen Bank dürfte das Wahlergebnis allerdings vorerst keinen großen Einfluss auf die Märkte haben. Dies könnte sich ändern, wenn eine mögliche neue Regierung die EU-Mitgliedschaft aufs Spiel setzt – die Wahrscheinlichkeit hierfür ist eher gering.

Italien profitiert vom globalen wirtschaftlichen Aufschwung

Wie auch immer die neue italienische Regierung aussehen wird: Sie steht vor großen Herausforderungen. Darüber können auch die zuletzt positiven konjunkturellen Signale aus der drittgrößten Volkswirtschaft der Eurozone nicht hinwegtäuschen. Die Exporte, die in Italien rund ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts ausmachen, lagen zuletzt rund fünf Prozent höher als noch im Vorjahr. Insgesamt dürfte die italienische Wirtschaft 2018 um 1,4 Prozent zulegen und damit wie schon im Vorjahr über Potenzial wachsen. Die zuletzt stark unter Druck stehenden italienischen Banken konnten ihre Bilanzen in den vergangenen Monaten ein Stück weit sanieren: Das Volumen der notleidenden Kredite in ihren Büchern hat spürbar von 328 Mrd. EUR im ersten Quartal 2017 auf aktuell 274 illiarden Euro abgenommen – wenngleich es nach wie vor deutlich über dem Durchschnitt der Eurozone liegt.

In diesem konjunkturellen Umfeld entwickelte sich auch der italienische Aktienmarkt positiv: Der Leitindex FTSE MIB stieg in den vergangenen zwölf Monaten um 22,6 Prozent – und damit deutlich stärker als der Eurozonenleitindex Euro Stoxx 50 (+6,2 Prozent). Gleichzeitig liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis des italienischen Aktienmarkts basierend auf den Gewinnerwartungen für die kommenden zwölf Monate mit 13,0 auf ähnlichem Niveau wie im Euro Stoxx 50, der aktuell mit dem 12,9-fachen der erwarteten Gewinne gehandelt wird. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Gewinnerwartungen der italienischen Unternehmen zuletzt stetig nach oben korrigiert wurden: Derzeit liegen sie 5,8 Prozent höher als noch vor sechs Monaten.

Italien steht ökonomisch weiterhin vor Herausforderungen

Gute Konjunkturdaten, positive Aktienmarktentwicklung – befindet sich Italien damit endgültig auf dem Weg der Besserung? Eher nicht, denn die jüngsten positiven Signale sind vor allem auf das gute weltwirtschaftliche Umfeld zurückzuführen. Italien selbst steht dagegen weiterhin vor großen Herausforderungen: Die Arbeitslosenquote etwa beträgt fast elf Prozent, unter den Jugendlichen ist sogar mehr als jeder Dritte ohne Job. Entsprechend niedrig sind auch die Lohnzuwächse. Dazu kommen die nach wie vor hohen Staatsschulden: Aktuell machen sie rund 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, während sie zum Vergleich in Deutschland nur 68 Prozent betragen. Kurzfristige Besserung ist südlich der Alpen nicht in Sicht: Die italienischen Haushaltspläne für das aktuelle und vergangene Jahr erfüllen nicht die EU-Haushaltsregeln und haben bereits die Europäische Kommission auf den Plan gerufen.

Zumindest die Rendite zehnjähriger italienischer Staatsanleihen bereitet derzeit keine größeren Sorgen – zwar stieg deren Rendite in den letzten drei Monaten von rund 1,64 Prozent auf aktuell über zwei Prozent an, am Tag nach der Wahl betrug der Anstieg allerdings nur fünf Basispunkte. Kein Vergleich zur Eurokrise 2011: Damals stiegen die Renditen italienischer Papiere auf über sieben Prozent an. Dies ist ein Anzeichen dafür, dass sich der Rentenmarkt für italienische Staatsanleihen strukturell verändert hat (niedrigerer Anteil ausländischer Anleger) und die EZB weiterhin als großer Nachfrager auftritt.

Potentialwachstum in Italien gering

Ein weiteres Problem ist das geringe Potenzialwachstum Italiens – also das unter einer optimalen Kapazitätsauslastung mögliche Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, ohne Inflation zu generieren. Hier gibt es in Italien noch großes Verbesserungspotenzial. Das aktuelle Steuersystem, intransparente Regulierungen und eine zum Teil ineffiziente Bürokratie schaffen nicht gerade hohe Investitionsanreize für Unternehmen. In diesen Bereichen scheinen dringend Reformen notwendig, um die Wettbewerbsfähigkeit der italienischen Wirtschaft zu stärken und die Konjunktur langfristig wieder in Tritt zu bringen. Ob und inwiefern entsprechende Veränderungen zeitnah umgesetzt werden, scheint jedoch nicht zuletzt aufgrund der komplizierten Mehrheitsverhältnisse im Parlament unklar.

In einem solchen Umfeld sind für italienische Unternehmen abseits der Weltkonjunktur wenige Impulse zu erwarten. Das dürfte sich langfristig negativ auf die Gewinnerwartungen und damit den Aktienmarkt auswirken. Zudem könnte die politische Seite immer wieder für Verunsicherung sorgen. Trotz der zuletzt positiven Entwicklung steht die Deutsche Bank dem italienischen Aktienmarkt aktuell zurückhaltend gegenüber. Für entsprechend risikobereite Anleger dürfte es derzeit interessantere Investmentziele geben.

Dr. Ulrich Stephan ist Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank.