Marktbereinigung fürs Depot
Die hohen Schwankungen an den Kapitalmärkten und das niedrige Zinsniveau machen es Anlegern immer schwerer, die Ausgewogenheit ihres Portfolios zu wahren. Interessante Ansätze könnten Investments bieten, die in der Regel von den allgemeinen Marktentwicklungen abgekoppelt sind. Dr. Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank, analysiert die aktuelle Lage.
Die hohen Schwankungen an den Kapitalmärkten und das niedrige Zinsniveau machen es Anlegern immer schwerer, die Ausgewogenheit ihres Portfolios zu wahren. Interessante Ansätze könnten Investments bieten, die in der Regel von den allgemeinen Marktentwicklungen abgekoppelt sind.
Von Ulrich Stephan
Noch vor ein paar Jahren galt unter Investoren der Grundsatz, dass sich Aktien und Anleihen innerhalb eines Depots optimal ergänzen: Ging es an den Börsen aufwärts, war das gut für die Gesamtrendite des Portfolios, ging es bergab, konnten steigende Anleihekurse die Aktienverluste häufig kompensieren. Die ausgewogene Verteilung des Kapitals auf „gegenläufige“ Anlageklassen diente als Schutz vor größeren Verlusten und bescherte Anlegern in der Regel langfristig vergleichsweise stabile Erträge.
Niedrige Zinsen haben Anlageumfeld grundlegend verändert
Mittlerweile ist diese Wechselwirkung zwischen Aktien und Anleihen jedoch immer weniger zu beobachten. Der Hauptgrund dafür sind die nach wie vor extrem niedrigen Zinsen. Denn anders als in der Vergangenheit ist das Renditepotenzial von Anleihen heute sehr eingeschränkt. Das gilt insbesondere für Papiere guter bis sehr guter Bonität: Ihre Verzinsung liegt teilweise nahe 0 Prozent und größere Kursgewinne aufgrund noch weiter fallender Zinsen sind kaum zu erwarten. Als Absicherung für mögliche Aktienverluste kommen sie aktuell nur noch bedingt in Betracht.
Anlegern stellt sich daher immer häufiger die Frage, wie in diesem Marktumfeld überhaupt noch interessante Erträge zu adäquaten Risiken erzielt werden können. Eine mögliche Antwort darauf könnte sein, nicht nur auf eine klassische Diversifizierung über Anlageklassen oder Regionen zu vertrauen, sondern zusätzlich auch auf unterschiedliche, sehr konkrete Investmentideen zu setzen.
Konkrete Investmentideen stärker in den Fokus rücken
Ein Beispiel: Ein Anleger ist davon überzeugt, dass das Thema Elektromobilität in Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen und der Absatz von Elektroautos deutlich zulegen wird. Seine Investmentidee lautet: „Die Aktienkurse der Hersteller von Elektroautos werden langfristig steigen.“ Klassischerweise könnte er nun in zwei oder drei Unternehmen investieren, die Elektroautos bauen. Damit allerdings würde er sich automatisch das allgemeine Aktienmarktrisiko mit ins Portfolio holen, denn keine Aktie kann sich vollständig den Schwankungen an den Börsen entziehen.
Um dieses Schwankungsrisiko zu senken, wird der Markt „verkauft“. Das bedeutet: Auf die Indizes, in denen die Aktien der Elektroautohersteller notieren, wird eine „Short-Position“ aufgenommen, die bei fallenden Kursen positive Erträge erzielt und entsprechend bei steigenden Kursen verliert. Dadurch ist das Investment in die Elektroautohersteller weitgehend unabhängig vom allgemeinen Marktgeschehen – und konzentriert sich auf das Renditepotenzial der ursprünglichen Investmentidee.
Interessante Alternative zum reinen Denken in Anlageklassen
Diese Art des „Anlageideen-Investments“ funktioniert selbstverständlich nicht nur mit Aktien, sondern in allen Anlageklassen. Ist ein Anleger etwa davon überzeugt, dass die Briten Mitte des Jahres für einen „Brexit“ stimmen, also ihren Austritt aus der Europäischen Union, und die Wirtschaft Großbritanniens daraufhin unter Druck gerät, so kann er im einfachsten Fall Abstand von Investments im Vereinigten Königreich nehmen und woanders investieren. Das Problem: Auch andere Kapitalmärkte könnten aufgrund möglicher Abstrahleffekte eines Brexits unter Druck geraten. Seine Investmentidee könnte daher lauten: „Bei einem Brexit wird die britische Wirtschaft leiden und das Pfund gegenüber anderen wichtigen Währungen abwerten.“ Um das Brexit-bedingte Schwankungsrisiko der Kapitalmärkte aus seinem Gesamtportfolio zu eliminieren, nimmt der Anleger eine Short-Position auf das Pfund auf.
Breite Ideen-Diversifizierung reduziert Anlagerisiken
Im Endeffekt geht es beim Investieren in Anlageideen also darum, gezielt Nebenrisiken auszuschalten, sodass im Kern nur die Idee übrig bleibt. Die Hauptrisiken einer solchen Anlagestrategie liegen auf der Hand: Zum einen, dass das erwartete Marktszenario nicht eintritt – zum Beispiel der Brexit. Zum anderen, dass sich die Investmentidee, auch wenn das Marktszenario eintreten sollte, als falsch herausstellt – zum Beispiel, dass das Pfund nach einem Brexit abwertet. Hinzu kommt, dass bei stark steigenden Märkten die Performance einer reinen Aktienanlage nicht erreicht wird.
Um interessante Ertragsmöglichkeiten zu generieren und das Risiko intelligent zu streuen, bedarf es also nicht nur einer einzigen, sondern einer Vielzahl unterschiedlicher Investmentideen, die gleichzeitig umgesetzt und nachhaltig verfolgt werden. Im besten Fall lässt sich so das Gesamtrisiko der Anlage senken, auch weil die meisten Anlageideen aufgrund ihrer individuellen Ausrichtung kaum Gemeinsamkeiten untereinander aufweisen.
Die Umsetzung einer solchen Anlagestrategie setzt großes fachliches Know-how und zeitliches Engagement voraus, weshalb sie vor allen Dingen von institutionellen Investoren wie Pensionskassen oder Investmentfonds verfolgt wird. Letztere eröffnen auch Privatanlegern mit langfristigem Anlagehorizont und entsprechender Risikobereitschaft die Möglichkeit, vergleichsweise marktunabhängige Erträge zu generieren und ihr Portfolio zu diversifizieren.
Dr. Ulrich Stephan ist Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank.