Mit „China-Speed“ zum Leitmarkt für E-Autos

Mit günstigen Elektroautos haben chinesische Unternehmen die deutsche Wirtschaft in den vergangenen Jahren in ernste Probleme gestürzt. Doch Branchenexperten skizzieren, wie wir zurückschlagen können.
Von Christoph Sackmann
Gerade erst ist die Automesse in Shanghai zu Ende gegangen, da wird am Tegernsee darüber diskutiert, was die Erkenntnisse aus der Show im Fernen Osten sind. „Das Rennen zwischen Deutschland und China ist offener, als man denkt“, sagt Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der deutschen Automobilindustrie (VDA) auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel am Tegernsee. Sie hat ausgemacht, dass chinesische Hersteller nicht mehr nur mit starken Akkus und bombastischem Infotainment punkten, sondern immer mehr auch auf ‚deutsche‘ Kerntugenden wie Sicherheit achten. „Da sind wir stark“, sagt Müller, „unsere Hersteller hatten jetzt schon eine beeindruckende Präsenz in China.“
Bei Audi haben sie dafür den Umbruch eingeläutet und gleich mehr als ein Dutzend neuer Modelle entworfen. Vorstandschef Gernot Döllner hat ein Projekt eingeführt, dass er „China-Speed in Ingolstadt“ nennt. Konkret geht es darum, die Entwicklung eines Autos so stark zu vereinfachen, dass es vom Reißbrett bis zum Fließband in rund zwei Jahren gelangt. „Das chinesische Entwicklungstempo macht uns nicht nervös, es ist Ansporn“, sagt der CEO kämpferisch.
Xing Zhou von der Unternehmensberatung AlixPartners kennt sich im chinesischen Automarkt bestens aus und kann erklären, woher der „China-Speed“ kommt. „Die meisten Hersteller agieren dort wie Start-ups und fokussieren sich komplett auf das nächste Produkt.“ Einen solchen Tunnelblick können sich alteingesessene Hersteller nicht leisten, denn er kommt neben dem Vorteil der schnellen und guten Produktentwicklung mit einem großen Nachteil: „Von 130 chinesischen Hersteller macht eines Gewinn“, sagt Xing. Dafür hätten die Unternehmen dort aber große Visionen. Wie viele von ihnen das allerdings wirtschaftlich überleben, wagt er nicht abzuschätzen.
Dass chinesische Hersteller so schnell aufholen konnte, verdanken sie vor allem den für ausländische Hersteller verpflichtenden Kooperationen in China. So lernten die Chinesen den Autobau aus Europa und die Software aus den USA. Mittlerweile haben sie ihre Lehrer überholt. Umgekehrt könnten jetzt deutsche Hersteller profitieren. „Die Kooperationen mit chinesischen Herstellern zum Beispiel beim autonomen Fahren sind für uns ganz wertvoll“, sagt Jennifer Reinz-Zettler, Leiterin des Bereichs Mobilität bei Bayern Innovativ. „Wir müssen das chinesische Knowhow gezielt nach Deutschland holen“, sagt Xing. Chinesische Unternehmen würden gerne auch Produktionsstandorte in Deutschland bauen. „Das müssen wir durch eine kluge Ansiedlungspolitik unterstützen“, fordert Müller.
Gute Elektroautos bauen könnten auch die deutschen Hersteller, da sind sich alle einig. Allein, es fehlt in Deutschland an der Kaufbereitschaft, besonders, seit die Umweltprämie weg ist. „Wir müssen die Innovationsfreude wecken“, sagt Audi-Chef Döllner deswegen. Gelingen könnte das mit der passenden Infrastruktur. So wie der Straßenbau vor 100 Jahren den Wandel von der Kutsche zum Auto beflügelte, könnte das heute mit Ladesäulen gelingen. Der Ist-Zustand ist dabei noch bescheiden. „Ein Drittel der Kommunen hat keine Ladesäulen, zwei Drittel keine Schnellladesäulen“, sagt VBDA-Präsidentin Müller. „Wenn wir Ladeinfrastruktur bauen, kommt der Aufbruch von
allein“, sagt Xing. Nur Döllner bremst ein bisschen: „Für mich ist der Strompreis der wichtigste Hebel, der muss viel günstiger sein als der fossile Treibstoff.“ Auf eine genaue Zahl will er sich nicht festlegen, verweist aber darauf, dass schnelles Laden in China für unter vier Cent pro Kilowattstunde möglich ist.
Mit einigen wenigen Stellschrauben könnte es also gelingen, die Lücke zu China wieder zu schließen. „Das Ziel, Deutschland zum Leitmarkt für Elektroautos zu machen, ergibt absolut Sinn“, sagt Döllner. Für ihn ist das Rennen nicht einmal weit fortgeschritten. „Das Elektroauto ist lange noch nicht ausgereift“, sagt er, „Wir haben 100 Jahre am Verbrenner optimiert, am Elektroauto jetzt gerade mal 20 Jahre.“