Ohne China? Es wäre die nächste Katastrophe
Angesichts der Erfahrungen mit Russland versuchen viele Mittelständler verzweifelt, ihre Zulieferungen aus China umzudirigieren. Aber es ist nicht einfach, sich aus dieser Abhängigkeit zu befreien. Für den Computerchiphandel wäre es schlicht die nächste Katastrophe.
Angesichts der Erfahrungen mit Russland versuchen viele Mittelständler verzweifelt, ihre Zulieferungen aus China umzudirigieren. Aber es ist nicht einfach, sich aus dieser Abhängigkeit zu befreien. Für den Computerchiphandel wäre es schlicht die nächste Katastrophe.
Taiwan könnte der Traum eines deutschen Einkaufsmanagers sein. Technologisch Weltspitze, demokratisch verfasst und leistungsfähig. Mehr als die Hälfte der Computerchips weltweit kommen von dort. Aber: Wer sich von China unabhängig machen will, sollte tunlichst nicht an der Insel direkt vor der Küste des Riesenreiches anlegen. Die Bedrohung vom kommunistischen Festland wächst und wächst – die Zukunft ist höchst ungewiss: „Um Taiwan mit dem chinesischen Festland zu vereinen, könnte Peking zu militärischer Gewalt greifen. Für die Weltwirtschaft hätte das verheerende Folgen. So bräche beispielsweise die globale Halbleiter-Wertschöpfung zusammen“, formuliert nüchtern das Fachmagazin „Technik und Einkauf“. Der britische „Economist“ erklärte Taiwan schon 2020 zum „gefährlichsten Ort der Welt“.
Wer es also ernst meint mit seinen Plänen, sich von China zu entkoppeln, hat nicht nur ein geografisches, sondern vor allem ein strategisches Problem, und faktisch-wirtschaftliche Nöte kommen hinzu. Denn zum einen haben zahlreiche Firmen eigenes Geld in China investiert und Fabriken aufgebaut – die aufzugeben, würde oft auch Technologie in die falschen Hände geraten lassen, unabhängig vom finanziellen Verlust. Andererseits dauert der Aufbau einer hoch spezialisierten Produktion Jahre. Von seltenen chinesischen Rohstoffen gar nicht zu reden. So schnell also geht ein Wechsel nicht, und auch Zulieferer in anderen Ländern stehen nicht untätig wartend auf der deutschen Matte.
Eine Volkswirtschaft vor der Verwüstung?
Das Ausmaß der womöglich notwendigen Umstrukturierung, sollte sich der Handelskrieg mit China verschärfen, wäre für die deutsche Volkswirtschaft in der Tat verheerend. 2021 importierte Deutschland Güter und Dienstleistungen im Wert von 142,3 Milliarden Euro aus China und lieferte Waren und Dienstleistungen für 103,7 Milliarden, es herrscht also ein Handelsdefizit. China ist inzwischen (und seit Jahren) der wichtigste Handelspartner. Selbst wenn es 2022 eine Trendwende geben sollte. Die liegt zum einen an den durch Pandemie und Krieg gestörten Lieferketten, aber wohl auch beginnend an der Wegorientierung deutscher Unternehmen. Man folgt damit einer Strategie der USA, die vehementes „Decoupling“ betreiben, also Loslösung von einseitigen Abhängigkeiten. Das hat schon unter Präsident Donald Trump begonnen, von der gegenwärtigen US-Regierung ist es aber keineswegs gestoppt worden. Für die Amerikaner gilt als Argument, dass so immerhin Arbeitsplätze in den USA geschaffen wurden.
Ob es analog einen Aufschwung auf dem deutschen Arbeitsmarkt geben würde, halten Wirtschaftsvertreter wie Ökonomen für zweifelhaft. Allein schon der Fachkräftemangel würde dies vereiteln. Was aber klar ist: Für die mittelständischen produzierenden Unternehmen würde es teuer. Erst bei einer Preiserhöhung der Lieferungen aus China von 25 Prozent, etwa durch neue Importzölle, lohnte sich eine Fabrikarbeit in Deutschland wieder.
Also ausweichen nach Vietnam, Malaysia, Singapur, Indien, Südafrika? Was bei Softwarefirmen funktioniert, klappt beim Maschinenbau noch lange nicht. Denn ab dem Jahresbeginn 2023 tritt auch noch das „Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz“ in Kraft, ein Ungetüm nicht nur dem Namen nach. Zunächst für Firmen ab 3000 Beschäftigten, ein Jahr später auch für solche mit 1000 Mitarbeitern besagt es stark vereinfacht, dass Unternehmen ihren Kunden notfalls nachweisen müssen, bei den Zulieferungen auf Standards in Sachen Menschenrechte, Umweltschutz und andere Voraussetzungen geachtet zu haben. Damit wird es früher oder später zum Rückzug aus diversen Staaten kommen müssen, auch wenn das Gesetz zunächst keine zivilrechtliche Haftung begründet. Im Falle Chinas ist damit schon ein Paradebeispiel zur Hand, und die Unternehmen raufen sich die Haare. Und Menschenrechte in Malaysia? Umweltschutz in Indonesien? Es dürfte interessant werden. Und die Kosten beträchtlich.
Amerika könnte helfen - etwas
Im Auftrag des Bayerischen Wirtschaftsverbands vbw hat das Münchener Ifo-Institut lapidar festgestellt: „Ein Handelskrieg mit China würde Deutschland das Sechsfache des Brexits kosten“. Und dies, so ifo-Präsident Clemens Fuest und Kollegen, „auch wenn die USA vieles abfedern würden“: Ohne die Neuorientierung nach Amerika wären die Folgen noch katastrophaler, und chinesische Vergeltung ist selbstverständlich zwingend zu erwarten und daher in die ifo-Modellberechnung eingeschlossen.
Daraus folgt aber, dass man die Entwicklung in Peking ebenfalls mit Beunruhigung zur Kenntnis nimmt. Ein kleines Symptom der neuen Richtung war bereits die Vorstellung des ersten Huawei-Smartphones ohne Android-Betriebssystem im Juni 2021. Die Haltung des Regimes in Peking spiegelt sich in einem Bericht der heimischen Nachrichtenagentur Xinhua: „Ein Entkopplung findet gar nicht statt“, heißt es da. Erst im Juli habe Audi begonnen, eine Fertigung für E-Autos aufzubauen. Internationale Konzerne wie Zeiss, AstraZeneca, Panasonic oder Mars Wrigley hätten Erweiterungsinvestitionen getätigt. „China hat ein Produktions-Ökosystem aufgebaut, das von keinem anderen Land zu kopieren ist“, zitiert Xinhua ein malaysisches Forschungsinstitut. Pfeifen im Walde? Möglich, denn auch China hat viel zu verlieren.
Dennoch: Angesichts der massiven und wohl kaum von irgendjemandem vollständig zu überblickenden Folgen einer Entkopplungsstrategie, oder gar eines Krieges um Taiwan, entwickeln Ökonomen und Praktiker eine abgestufte Form der Trennung vom ungeliebten Handelspartner: „Smart Decoupling“ nennt es das amerikanische Forschungsinstitut Georgetown Center for Security and Emerging Technology (CSET). Danach könnten die USA sukzessive den Zugang Chinas zu ausgewählter Hochtechnologie sperren, etwa Satellitentechnik oder Betriebssystemsoftware, wie im Falle Android. Und hoffentlich zu Hause auf weiteren Hightech-Gebieten eigene Alternativen zu China-Produkten aufbauen. Unter der Schwelle eines Handelskrieges, aber wirksam – sofern die Europäer mitspielen würden und die Sperren nicht als Chance für die eigenen Unternehmen nutzten.
Der britische Economist kommentiert dies bereits: „Die EU und Deutschland sollten nicht in die Falle amerikanischer Decouplingpläne tappen“, heißt es da. Die Kosten, vor allem für Deutschland, seien ruinös.
Es sieht so aus, als würden die Europäer eher dieser Stimme folgen. Beispiel: Airbus. Weil die Amerikaner Boeing als Hochtechnologieunternehmen den Bau einer Fertigung in China untersagten, stößt Airbus gern und schnell in die sich öffnende Lücke: Nachdem China Southern Airlines einen Kauf von 100 Boeing 737 Max stornierte, orderte die Fluglinie umgehend 96 Exemplare des Airbus 320. Beispiel BASF: Am 6. September eröffnete der deutsche Chemieriese feierlich seine neue Kunststoff-Fabrik in Zhanjiang. Der schweizerische Konzern ABB eröffnete gerade eine weltweit einzigartige Roboterfertigung in Schanghai. Nach Boykott oder Rückzug sieht das alles nicht aus, auch wenn die ersten Planungen für diese Projekte natürlich lange zurückliegen. So aber wird der Schaden deutlich, den diese Großkonzerne verbuchen müssten, gälte es, sich aus China zurückzuziehen. Für einen deutschen Mittelständler wären die Kosten vermutlich nicht tragbar und bedeuteten damit das wirtschaftliche Aus. Falls es nicht schon vorher von den heimischen Problemen verursacht wird.
Reinhard Schlieker
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