Öl & Co. – zähe Marktentwicklung hält an
Dr. Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank, analysiert aktuell die Lage an den Rohstoffmärkten. Er ist der Meinung: Ohne Erdöl geht gar nichts – das ist heute nicht anders als früher.
Ohne Erdöl geht gar nichts – das ist heute nicht anders als früher. Kriege wurden um das sogenannte schwarze Gold geführt, Lieferbeschränkungen und -boykotte brachten die Industriestaaten an den Rand des Abgrunds und noch im Jahr 2006 war der ehemalige US-Handelsminister Donald Evans der Überzeugung, es gebe kein ausreichendes Ölangebot mehr für ein vollumfängliches globales Wachstum.
Das Wohl und Wehe der Welt schien – und scheint! – am Öl zu hängen. Und tatsächlich: Noch in jüngerer Vergangenheit sah es so aus, als könne das Angebot des „Schmierstoffs der Weltwirtschaft“ nicht mit der Nachfrage mithalten. Der Ölpreis kletterte auf immer neue Rekordhochs: Von Anfang 2011 bis Mitte 2014 kostete ein Barrel der Sorte Brent fast durchgängig mehr als 100 US-Dollar. Verbraucher bekamen die Preisexplosion an der Tankstelle zu spüren. Im September 2012 mussten sie für einen Liter Super-E10-Benzin durchschnittlich 1,67 Euro bezahlen – so viel wie nie zuvor.
Und heute? Der Stellenwert von Erdöl für die Weltwirtschaft hat sich kaum verändert. Trotzdem sind Sorgen um das Angebot aktuell kein Thema. Vielmehr befindet sich der Ölpreis seit Mitte 2014 stark unter Druck – ein Barrel Brent-Öl ist derzeit für rund 48 US-Dollar zu haben, ein Abschlag von rund 60 Prozent im Vergleich zum Frühjahr 2012. Gründe für diese rasante Entwicklung gibt es viele. Der wichtigste ist die massive Ausweitung der Förderkapazitäten weltweit.
So rückten durch den technologischen Fortschritt und immer ausgefeiltere Fördermethoden zahlreiche einstmals unwirtschaftlich geltende Ölvorkommen in den Fokus. Dazu gehören Ölsande, über die etwa Kanada in großer Menge verfügt, sowie Vorkommen in der Tiefsee oder an den Polkappen. Seit Jahren presst die US-Fracking-Industrie zuvor unerreichbares Schieferöl aus dem Gestein – und hat die USA so in den vergangenen Jahren zum größten Erdölproduzenten der Welt aufsteigen lassen.
Verstärkt wurden das Überangebot und der damit einhergehende Preisverfall durch die Entscheidung der OPEC, ihre Förderquoten, trotz gefallener Preise, nicht zu senken. Dieses Verhalten mag verwundern, ist aber zwangsläufig: Viele OPEC-Staaten – etwa der Irak, Saudi-Arabien oder Venezuela – beziehen den größten Teil ihrer Staatseinnahmen aus dem Ölgeschäft. Wegen der niedrigen Preise müssen sie am Limit produzieren, um bedrohliche Schieflagen im Staatshaushalt zu verhindern. Dass die OPEC bald den Hahn zudreht und damit zu einer Verknappung des Angebots beiträgt, ist also kaum zu erwarten.
Ganz im Gegenteil: Aller Voraussicht nach wird ein ehemals großer Player an den Weltmarkt zurückkehren – und das Angebot weiter ausweiten. Nach dem absehbaren Ende der Sanktionen gegen den Iran könnte das vorderasiatische OPEC-Mitglied schon Anfang kommenden Jahres 400.000 Barrel Rohöl pro Tag auf den Markt bringen. Je nach Zustand der notwendigen Infrastruktur und dem Umfang notwendiger Instandsetzungen könnte sich diese Menge mittelfristig sogar verdoppeln.
Mit einer signifikanten Erholung des Ölpreises ist in absehbarer Zeit also nicht zu rechnen. Die Deutsche Bank, die im Hinblick auf Rohstoffe schon seit Längerem negativ gestimmt ist, hat ihre Jahresendprognose für den Ölpreis entsprechend weiter nach unten korrigiert. Für die US-Sorte WTI wird nur noch mit 48 US-Dollar pro Barrel (Ende 2016: 54 US-Dollar) gerechnet, für das Barrel europäisches Brent-Öl mit 53 US-Dollar (Ende 2016: 59 US-Dollar).
Eine Stabilisierung der Preise im kommenden Jahr könnte unter anderem damit zusammenhängen, dass die Förderquote in den USA nach unserer Einschätzung zwar weiter steigen wird – die Zuwächse aber deutlich geringer ausfallen sollten als zuvor. Während die Vereinigten Staaten im zweiten Quartal noch für ein Angebotswachstum von 1,4 Millionen Barrel pro Tag sorgten, könnte dieses 2016 bei täglich nur noch 200.000 zusätzlichen Barrel liegen. Grund dafür dürften vor allem vorsichtigere Fracking-Unternehmen sein, die ihre Investitionen aufgrund des niedrigen Ölpreises und ihrer hohen Finanzierungskosten zurückschrauben.
Auf der Nachfrageseite ist auf absehbare Zeit trotz des vergleichsweise niedrigen Ölpreises nicht mit entscheidenden Impulsen zu rechnen. Wir erwarten für dieses Jahr ein Nachfragewachstum von 1,3 und für kommendes Jahr von 1,2 Millionen Barrel pro Tag. Dagegen könnte sich eine Aufwertung des US-Dollar als Dämpfer erweisen: Da Öl in Dollar gehandelt wird, würde der Rohstoff für Importeure aus anderen Währungsräumen teurer – Nachfrageeinbußen könnten die Folge sein.
Angebot schlägt Nachfrage: Öl ist nicht der einzige Rohstoff, der mit niedrigen Notierungen zu kämpfen hat. Industriemetalle wie Kupfer oder Eisenerz liegen sogar schon seit 2011 im Abwärtstrend. Hauptgrund scheint die stagnierende oder sogar sinkende Nachfrage aus China zu sein. Für Rohstoffanleger, die seit Längerem nur wenig Freude an ihren Investments gehabt haben dürften, wird sich daher wohl wenig ändern: Das Preispotential bleibt, freundlich ausgedrückt, begrenzt.